Textatelier
BLOG vom: 14.05.2008

Globalisierung: Die tödliche Vernichtung aller Unterschiede

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
„Wollt ihr die Unterschiede vernichten, hütet euch, dass ihr nicht das Leben tötet.“
Leopold von Ranke, deutscher Historiker (1795‒1886)
 
Seit vielen Jahren fahnde ich im Internet mit Hilfe der phänomenalen Dienstleistung Google Alerts nach dem Begriff Globalisierung, das heisst nach neuen Meldungen, in denen dieser Begriff auftaucht. Bis vor wenigen Monaten wurde er nur selten gebraucht. Niemand wusste so richtig, was denn unter Globalisierung eigentlich zu verstehen sei, und wohl jedermann bastelte sich seine eigenen Vorstellungen davon: Es muss sich dabei um etwas Weltumfassendes handeln, also etwas, das die gesamte Erde (wohl inklusive Umgebung) erfasst, eine kugelrunde Sache also. Der Philosoph Peter Sloterdjik führt das Wort Globalisierung auf den runden Globus zurück. In seinem neuen Buch „Weltinnenraum des Kapitals“ gibt er bekannt, die Globalisierung habe begonnen, als die ersten europäischen Schiffe nach der Erdumrundung in ihren Heimathafen zurückkehrten.
 
Die Gegenwart ist immer ein Produkt der Geschichte, und das ist auch die Globalisierung als Produkt des Grössenwahns beziehungsweise des unaufhörlichen Grössenwachstumswahns, weil die meisten Menschen nicht einzusehen vermögen, dass ein unendliches Wachstum auf einer begrenzten Erde eine Illusion ist. Was aber theoretisch gelingen könnte, das ist die Vereinheitlichung der Lebensäusserungen, also die Ausrottung oder Vernichtung der kulturellen Unterschiede bis hin zur persönlichen Identität. Sämtliche Herrscher weltlicher und klerikaler Natur wirkten darauf hin, wie die Geschichtsbücher lehren. Sie alle wollten ein gleichgeschaltetes, gefügiges Volk und selbstverständlich eine Ausdehnung ihres Machtbereichs, der auf möglichst elegante Weise zu führen sein musste. Daraus resultierten denn auch die ständigen Unruhen, die Kriege mit ihren Zerstörungen, das menschliche Elend, das immer herbeigeführt wurde.
 
Die Kunst der Manipulation
Die Mittel, die zur Gleichschaltung führen, basieren auf dem jeweiligen Stand der Manipulationstechnik. Hatte das Volk früher über mündlich weitergegebene Überlieferungen hinaus noch kaum Zugang zum Wissen und zur Bildung überhaupt – Bücher wurden von Hand geschrieben und blieben weitgehend den Religionsmachthabern und Klöstern vorbehalten –, liegt heute dank der Drucktechnik und der elektronischen Medien eine Riesenmenge von Informationen abrufbereit. Um zu verhindern, dass die Menschen infolge einer höheren Bildung kritisch zu denken anfangen und wegen eines ausgeprägten Individualismus ungemütlich werden, müssen die öffentlichen Bildungsangebote reduziert werden. Eine weitere wichtige Massnahme ist der Aufbau einer alles dominierenden Spasskultur unter Einbezug des Sports, damit eine gewisse Verblödung um sich greift; diese Aufgabe der Ablenkung vom Fundamentalen und damit zur Ruhigstellung des Volks erfüllten schon die römischen Spiele in den riesigen Arenen. Durch Verkürzungen der Infos wird erfolgreich verhindert, dass Zusammenhänge erfasst werden können. Statt eines ganzen Filetstücks wird nur noch Hackfleisch serviert. Die wichtige Aufgabe einer auch nur einigermassen umfassenden Orientierung nehmen die durch layouterische Kapriolen ausgedünnten Publikationsorgane nicht einmal mehr ansatzweise wahr.
 
Das sind die idealen Massnahmen für eine Führung der Massen in Richtung globale Vereinheitlichung. Die Menschen sind ins System fest eingebunden und überwachen sich selber; denn wer sich der Masse nicht anpasst oder ihr sogar den Rücken kehrt, wird abgestraft. Fusionen gehören zu den Werkzeugen für die Bildung von vermassten Grosseinheiten: Das Lädelisterben im Interesse der Grossverteiler, die sich ihrerseits wieder zusammenschliessen, ist ein bezeichnendes Beispiel dafür. In der gleichen Richtung laufen die Fusionen von Industrieunternehmen zu immer grösseren Einheiten. Über allem stehen internationale Organisationen, die globalisierende US-amerikanische Vorgaben umsetzen.
 
Selbst Armeen fusionieren, etwa zur Nato. Selbst die sonst auf ihre Unabhängigkeit stolze Schweiz, ein jahrhundertealtes Erfolgsmodell, ist darauf hereingefallen. Die Bundesräte Adolf Ogi und sein rabulistischer Nachfolger Samuel Schmid haben die Schweiz in die Nato hinein gelogen genau wie die Amerikaner die Weltöffentlichkeit in den Irak-Krieg. Fusionen und gewaltsame oder hinterlistige Annektierungen sind wesentliche Elemente der Gleichmachung und damit der Globalisierung: Jede Gemeindefusion, jeder Länderzusammenschluss nach EU-Beispiel und auch Schulharmonisierungen (wie in der Schweiz das angestrebte, zentral geleitete System HarmoS, das die Stimmbürger in den Kantonen entmündigt) gehört in den Rahmen der Globalisierung. Sie ist mit einem eklatanten Abbau der Volksrechte verbunden, und allen Parteien, die diesem Trend Vorschub leisten (in der Schweiz sind es die Sozialdemokratische Partei SP mit den Grünen und die Christlich-demokratische Volkspartei CVP) muss man mit grösster Skepsis begegnen.
 
Das Diktat des Markts
Auf dem Weg zur Globalisierung werden öffentliche Güter wie Wasser, Verkehrsinfrastrukturen, Schul- und Gefängniswesen und auch Kommunikationseinrichtungen privatisiert und damit der rein profitorientierten Globalisierung gefügig gemacht. Selbst kleinbäuerliche Betriebe werden über Subventionen der Grossproduzenten und den Zwang zum Freihandel mit seinen selbstzerstörerischen Effekten zum Aufgeben gezwungen. Nur der Grösste und Brutalste (Globalisierteste) hat eine Überlebenschance. In der Schweiz wirkt bei der Ankurbelung solcher Vorgänge an vorderster Stelle die CVP-Bundesrätin Doris Leuthard mit, unbesehen des Umstandes, dass gerade wegen solcher Machenschaften bereits viele Länder in Hungersnöte getrieben wurden, weil die eigene bäuerliche Infrastruktur zerstört ist und die Weltmarktpreise auch für Lebensmittel deshalb in Höhen geschnellt sind, dass sie sich ärmere Menschen nicht mehr leisten können. Die Schweiz hat noch das Gefühl, sich unter dem Titel Innovation jeden Blödsinn leisten zu können.
 
Die Globalisierungsgewinner und die Spekulanten können sich diese Situation zunutze machen. Selbst die Nahrung ist zu einem Fall für die Warenterminbörsen geworden, und ein grosser Teil des Preisanstiegs ist spekulationsbedingt (wie beim Erdöl auch).
 
Vor der Globalisierung ist nichts sicher: Die Schweizerische Nationalbank hat unter dem Druck des Internationalen Währungsfonds IWF 1300 Tonnen Gold zum Schleuderpreis verkauft (weil eine Anbindung des Frankens ans Gold vom IWF verboten worden ist), und sie meldet nun Verluste – trotz Höhenflügen des Goldpreises. Was geht wohl in Köpfen vor, die solches inszenieren? Für Diskussionen über solche fundamentalen Vorgänge fehlt die Zeit. Unser Fernsehen DRS präsentiert fast jeden Tag zur besten Sendezeit Lotto- und Ratespielchen, statt über Wesentliches zu informieren, so lange die Leute noch einigermassen wach sind (wichtigere Sendungen werden in die Zeit des Gähnens vor Mitternacht abgeschoben).
 
Die Zentralgewalt
Das Grauenvollste an der Globalisierung, deren Führer überall dreinreden und Zwang ausüben (verüben), ist der Umstand, dass die Geschäftsleitung von den USA und ihrem finanzmafiösen Klüngel mit einem auf Lug und Trug spezialisierten und unter Bildungsarmut leidenden Präsidenten wahrgenommen wird. Wenn der Inhaber der Zentralgewalt ein Trottel ohne jede Spur von Ethik ist, der nicht einmal vor Kriegsverbrechen zurückschreckt (Hillary Clinton wäre nach ihren eigenen Aussagen dazu in Bezug auf das erdölreiche Iran ebenfalls bereit), dann gute Nacht! Das ist eine Förderung von Elend und Terrorismus in Reinkultur.
 
All diese Abläufe brachte bisher kaum jemand in den Zusammenhang mit der Globalisierung nach neoliberalem Muster: Konzentration der Macht und des Geldes bei einer US-amerikanischen oder Amerika-hörigen „Elite“; früher hätte man dem „Geldadel“ gesagt. Doch nun wird die Globalisierung, die auch als Zentralismus bezeichnet werden könnte, endlich zum Thema, vor allem wegen der Hypothekengaunereien (verharmlosend Hypokrise genannt), ein Schachzug des US-Finanzwesens zur Belebung der landesinternen Wirtschaft. Nachdem es immer schwieriger wird, die US-Schuldenmacherei, Folge eines verschwenderischen, gedankenlosen Lebensstils, verbunden mit einer gigantischen Aufblähung der Kriegsmaschinerie, über den Zerfall der Weltwährung Dollar global zu verteilen, musste man sich einen neuen perfiden Raubzug einfallen lassen. Und die US-hörige Welt mit ihrem offensichtlich geistigen Totalschaden fiel wieder einmal auf US-Ramsch herein.
 
Grosssysteme und Grosskatastrophen
Alle die Hyposchrott-Milliarden, welche die USA der runden Erde für einmal nicht über den Dollarzerfall, Sammelklagen oder als Kriegsbeuten gestohlen haben, dienten wenigstes zur Aufrüttelung, zum Nachdenken darüber, was Globalisierung bedeutet: Wenn Grosssysteme angeschlagen sind, resultieren Grosskatastrophen, die nicht lokalisiert, sondern eben globalisiert sind. Innerhalb des zusammenhängenden, zentral geleiteten Systems reissen sie alles in Mitleidenschaft.
 
Ein aktuelles Exempel dafür ist auch die oben bereits angesprochene Hungerkrise: Die kleinbäuerlichen Strukturen sind oder werden durch die WTO-gelenkte Politik zerstört. Wegen der Finanzkrise suchen die Finanzmanipulatoren (Spekulanten mit dem Paradepferd Hedge-Fonds) ihr Glück in Rohstoffen, zu denen auch Grundnahrungsmittel wie Getreide (inkl. Reis) und Mais gehören. Hinzu kommt die verfluchte Schnapsidee „Biosprit“, dem man besser „Agrotreibstoff“ sagen würde. Um den Amerikanern in Zeiten der Erdölverteuerung das Herumkarren mit ihren treibstofffressenden Dreckschleudern zu ermöglichen, wird ein Teil der Lebensmittel in umgewandelter Form in Automotoren verheizt.
 
Die Hypo- und die Hungerkrise haben in gemeinsamer Anstrengung jetzt endlich aufgerüttelt, das Wort „Globalisierung“ aus dem Schattendasein geholt, und die US-begeisterten Globalisierungsturbos, die darin eine gewaltige Chance zu erkennen glaubten, in einen Argumentationsnotstand versetzt. Die Globalisierungsschäden sind nicht mehr zu übersehen, falls man vor lauter Fussball- und Olympiakult überhaupt noch hinschaut und nicht in den Tiefschlaf der kritiklosen Verblödung gefallen ist.
 
Die Gleichmacherei ist auch deshalb fatal, weil sie die Eigeninitiative und -anstrengung zum Versiegen bringt, wie in jeder Masse (siehe Kommunismus). Gemeinsam bedeutet, dass man selber nichts tun muss, wenn die anderen nichts unternehmen. Man darf schlafen, wenn es die anderen ebenfalls tun.
*
Vielleicht hat die Globalisierung begonnen, als Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden und sich in der raueren Welt behaupten mussten. Wären sie Chinesen gewesen, würden wir noch immer globalisierungsfrei im Paradies leben, weil sie dann den Apfel ignoriert und dafür die Schlange aufgegessen hätten. Jetzt aber haben wir es mit Schrecklicherem als allen Giftschlangen zusammen zu tun: Mit nimmersatten Kraken, welche über Leichen gehen, die sie selber erzeugt haben. Falls ich damit ehrenwerte Tiere beleidigt haben sollte, täte es mir Leid.
 
Das Volk, zur Fähnchen schwingenden und Arme emporwerfenden Jubelkultur aufgeheizt, würde wahrscheinlich in eine unheilbare Depression verfallen, könnte es wahrnehmen, was mit ihm tatsächlich geschieht. Ausgebaute Kontroll- und Ablenkungssysteme verhindern das erfolgreich. Die Unterschiede werden weiterhin vernichtet.
 
Buchhinweis
Hess, Walter, und Rausser, Fernand: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com GmbH, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7. CHF 37.20, EUR 24.10.
 
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