Textatelier
BLOG vom: 15.05.2008

6 Mal über den Römerweg Effingen: Kein Karren-Schmarren

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Wichtige militärische Stützpunkte der alten Römer waren im Aargau Augusta Raurica (Kaiseraugst neben Augst BL) und Vindonissa (Windisch). Die nächste Verbindung zwischen diesen beiden Städten führte über den Bözberg. Westlich der heutigen Gemeinde Unterbözberg, im südlichen Bereich der Jurahügel Homberg bzw. Stelli, ist das Gelände im Wald vor Effingen etwas steil. Die schwer beladenen, von Pferden oder Ochsen gezogenen Wagen mit den Eisenreifen hinterliessen dort bis etwa 40 cm tiefe Rillen im Jurakalk. Sie entstanden vor allem bei den Abwärtsfahrten mit zum Teil blockierten Rädern. Zugtiere sind eher zum Ziehen als zum Bremsen geeignet. Über diese „Römerstrasse“, die noch heute zu sehen ist, führt ein beschilderter Wanderweg. Die Fahrrillen im Fels sind ein eindrückliches historisches Dokument, das zudem noch einwandfrei erhalten ist und offen gehalten wird.
 
Am sommerlich heissen Samstag, 10. Mai 2008, reiste ich also ins Dorf Effingen, ein altes Weinbaudorf an der Bözbergstrasse zwischen Frick und Brugg. Die Gemeinde, die noch dem Berner Aargau zugerechnet wird, hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer beliebten Wohngemeinde entwickelt und zählt jetzt etwa 600 Einwohner. Ich folgte beim Dorfeingang dem unscheinbaren Wegweiser „Römerweg“, dem obersten eines ganzen Hinweistafeln-Sortiments, und stellte den Prius bei der Schul- und Gemeindehausanlage ab. Letztmals war ich im April 2008 dort gewesen, als die Bevölkerung zur Verteidigungsschlacht am Bözberg aufrüstete, weil dort, am Eingang zum „Kästal“, die Jura Cement (JC), Wildegg, Kalkstein und Mergel im grösseren Stil abbauen möchte, was der Verein Pro Bözberg (www.pro-boezberg.ch) unbedingt verhindern will; selbst Probebohrungen werden durch Einsprachen bekämpft. Das Volk bleibt härter als der dortige Mergel.
 
Ich folgte dem durch das Abbauprojekt gefährdeten Haubach neben einer Hecke auf der asphaltierten Strasse bis zur Brücke „Im Berg“, wo der Wanderweg nach rechts abzweigt und am jenseitigen Ufer am Stelli-Fuss gegen Osten dem Römerweg zustrebt. Die befahrbare Naturstrasse und dann der Wanderweg sind gut signalisiert. Die Route führt an einem Plakat vorbei, das zu einem Nein gegen eine „Zahnlücke am Bözberg“ aufruft und deren Umrisse auf einer Karte zeigt. Der südlich davon gelegene Römerweg käme gerade noch knapp ungeschoren davon.
 
Etwas unsanft hat die Waldwirtschaft am Waldeingang mit schwerem Gerät ihre Schneisen zwischen die Bäume gerissen – das alles hat noch nichts mit dem Römerweg zu tun. Es sind Försterwege. Vorerst steigt man durch den im Moment frühlingshaften Buchen-Föhrenwald auf einer Krete kontinuierlich hangwärts auf, von der Hoffnung auf den Anblick von Römerspuren beflügelt. Zwischen Weg und dem Abhang des 589 m hohen Stelli-Hügels befindet sich ein tiefer Graben, von dem ich annehme, dass die Römerstrasse damals dort unten verlief und längst durch Rutschmaterial und organische Substanz, wie sie Wälder produzieren, zugedeckt wurde.
 
Der Wanderer wird dann in einer Rechtskurve mit einer einfachen Brücke aus Rundholz über ein Bachtobel geführt und erreicht nach wenigen Schritten einen Platz mit 2 einfachen Sitzgelegenheiten aus Rundholz, neben dem sich die ersten Karrenspuren im Jurakalk abzeichnen; ihr Abstand beträgt zwischen 108 und 110 cm. Es gibt sie also wirklich! Die Eintiefungen, die 1968 freigelegt wurden und seither offen gehalten werden, sind unten abgerundet, und oft erhält man das Gefühl, noch Metallspuren von den Eisenreifen an den geschliffenen Steinflächen zu erkennen. Folgt man diesem Weg aufwärts, wird nach der Passage einer vertikal geschichteten Felswand sogleich die ganze Wucht dieses Römerwegs sichtbar: Ein wohl gut 50 m langes Kunstwerk, das aus Gütertransporten entstanden ist, höchst eindrücklich. Im Mittelbereich ist der Fels unregelmässig abgetreppt. Oben, kurz bevor sich diese altrömische Strasse im Landwirtschaftsland verliert, ist ein Felsdurchbruch durch die Juranagelfluh, dessen Wände unten mit etwas neu erstelltem Mauerwerk aus Kalksteinen am Umkippen gehindert werden. (Vielleicht gab es sogar 2 Strassen: Im Gebiet Rüti, Höhe 592, etwa 1,5 km westlich von Oberbözberg, sind 1970 ebenfalls in den Fels eingetiefte Geleisespuren mit gleichem Abstand gefunden worden; diese „Katzensteigstrasse“ soll bis um etwa 1400 in Betrieb gewesen sein.)
 
Vom Schiessplatz Oberzeihen her waren die akustischen Grüsse von gezielten Einzelschüssen zu vernehmen, und deshalb musste nach dem Verlassen des Walds der obere Weg zum Gebiet Alt Stalden gewählt werden. Etwas weiter oben war am Waldrand soeben eine muntere Kinderschar mit einem Leiter eingetroffen. Ich fragte sie, ob sie denn alte Römer seien. Ein Mädchen antwortete, das wäre sie schon gern, weil sie dann nicht zur Schule müsste. Ich musste es dahingehend belehren, dass die Römer die Bildung nicht vernachlässigt hatten und die Lektionen entweder zu Hause oder eben in der Schule erteilt wurden, wobei die Schulzeit für Mädchen allerdings etwas kürzer als für Knaben war. Aber das Lesen und Schreiben mussten sie auf jeden Fall beherrschen.
 
Ich zeigte der Gruppe den Eingang zum Römerweg. Wenig später hatte ich die Erleuchtung, ich könnte den Römerweg doch zusammen mit den Kindern fotografieren. Ich eilte hinterher, kam aber zu spät. Die Gruppe hatte die faszinierende Strecke offenbar ohne anzuhalten hinter sich gebracht. Ich erinnerte mich an die Erkenntnis, dass man nicht sieht, wovon man nichts weiss. Ich begab mich also wieder nach oben – und da war gerade eine zweite Gruppe von der „Jungschi Brugg“ (Jungschar) angekommen. Ich vereinbarte mit den Leitern einen Fototermin, der mir ohne weiteres zugestanden wurde, und eilte voraus, brachte mich in Fotoposition und hielt den Durchmarsch der Jungschar fest.
 
Als Dank hielt ich vor den höchst interessierten Kindern einen Kurzvortrag über die Bedeutung dieses Wegs im Rahmen der Geschichte in einer derart gerafften verkürzten Form, wie die heutigen Medien ihre Nutzer abspeisen. Ein Mädchen fragte angesichts der Unebenheiten im Gestein zwischen den Rillen, wie denn hier die Pferde hätten gehen können. Ich erfand die Antwort vor Ort: Wahrscheinlich war der felsige Untergrund seinerzeit ebener und damit pferdegängiger gewesen; doch inzwischen hat die Witterung einige der obersten Kalksteinschichten abgesprengt, besonders in eiskalten Wintern. Ein anderes, quirliges dunkelhäutiges Mädchen belebte die Veranstaltung mit der Bemerkung, seine Familie besitze ein hölzernes Wagenrad mit einem Eisenreif – es sei an einer Wand aufgehängt. Die Bemerkung passte grossartig zu den Geleisen, und ich verabschiedete mich beeindruckt.
 
Beim 3. Aufstieg auf dem Römerweg dachte ich, was für ein wunderbarer Beruf doch Lehrer sein müsse, wenn man immer ein solch wissbegieriges, aufmerksames Publikum um sich hat. Demgegenüber ist das Schreiben ein einsames Geschäft; Rückmeldungen, die es zwar gibt, sind aber schon Seltenheiten.
 
Bei intensiver Sonnenbestrahlung spazierte ich neben einem Weizenfeld hinauf auf das Bözberg-Hochplateau gegen die ersten Häuser des Weilers Alt Stalden (583 m) in der Gemeinde Unterbözberg. Ich kam an einer Liegenschaft vorbei, über deren Eingangstor Mons Vocetius zu lesen steht, die römische Bezeichnung für Bözberg. Weiter oben, bei einem äusserst gepflegten, eingehagten Gemüsegärtchen, stützte sich eine weisshaarige Frau, von der Arbeit an der Sommerhitze ermüdet, auf ihren Rechen und bewegte sich dann langsam zum Haus. Ich fragte sie, ob hier vom Römerweg nichts mehr zu sehen sei. Sie verneinte; er verlief irgendwo zwischen ihrem Haus und dem nahen Waldrand Endi. Und Frau Marie Huber-Kohler fügte bei, man sage diesem Gebiet Spannagel. Vielleicht beruhe das darauf, dass die Römer vor den Abwärtsfahrten mit ihren beladenen Karren Nägel zwischen die Speichen schieben mussten, um die Räder zu blockieren. Mir leuchtete das ein, auch wenn Spannagel (was auch ein Familienname ist) eher deutsch statt lateinisch tönt – ein eingespannter Nagel (so meine persönliche Interpretation).
 
Ich kehrte um, schlenderte durchs Gebiet „Im Rank“ zur Römerstrasse zurück, passierte sie in Folge zum 6. Mal ohne Blockaden in den Beinen, voller Bewunderung für die Leistungen der Römer, auch was die Anlage dieser Route betraf. Ein Bauer in Effingen, mit dem ich über dieses Werk gesprochen hatte, vertrat die Auffassung, dass die Römerstrasse, die auf dem Blatt „Frick“ (1069) der Landeskarte 1:25 000 verzeichnet ist, die intelligentere Führung als die jetzige Kantonsstrasse über den Bözberg habe. Denn sie meidet den Nordhang des Barnig, ist also im Winter weniger vereist und verschneit. „Viel dümmer als wir waren die Römer auch nicht“, fügte er in weltmännischer Art hinzu. Ich gab ihm aus voller Überzeugung Recht. Für die Heimfahrt wählte ich die fragwürdige Route über den Bözberg, an Neu Stalden und den Vier Linden vorbei, bis Umiken.
 
Bei der Auffahrt Richtung Gallenkirch hatte ich noch einen kurzen Blick zur alten Römerstrasse hinüber geworfen und beschlossen, alle jene, die behaupten, dieser alte Verkehrsweg habe nie einen römischen Ochsenkarren gesehen und sei jüngeren Ursprungs, für einmal links liegen zu lassen – wie die von mir hoch geschätzten Betreuer des Inventars historischer Verkehrswege der Schweiz IVS. Von ihnen wird weniger die Römerstrasse am Steilhang nicht als solche, sondern bloss das Alter der Karrengeleise in Frage gestellt (Quelle: http://prod.swisstopogeodata.ch/kogis_apps/ivs2b/kh/ag_kantonsheft.pdf).
 
In diesem Fall hätte ich der Jungschi wirklich einen Karren-Schmarren erzählt. Und das könnte ich mir nie verzeihen.
 
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Hinweis auf ein Buch zum Bözberggebiet
Keller, Heiner: „Bözberg West. Landleben zwischen Basel und Zürich“, Verlag Textatelier.com GmbH, Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-2-3, Preis: CHF 29.50; € 19.50.
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