Textatelier
BLOG vom: 19.05.2008

Kölliken: Römisch angehauchte Ziegelei-/SMDK-Geschichte

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Das Wort „Römer“ ist in der Aargauer Geschichtsschreibung so intensiv vertreten wie „Habsburger“. Ein spezielles Kapitel Römer-Geschichte wird im Moment im Strohdachhaus Kölliken im aargauischen Suhrental lebendig. In diesem Quertal zum Aaretal wie auch im angrenzenden Wynental und im übrigen Aargau gab es eine grössere Anzahl römischer Gutshöfe (Villae Rusticae). Sie dürften von Angehörigen der helvetischen Oberschicht betrieben worden sein, die sich in die Römer-Kultur einfügten, und sie dienten nicht allein der Produktion von Lebensmitteln, sondern auch der Kontrolle des Hinterlands. Sicher ist sicher.
 
In Kölliken produzierten Legionäre Leistenziegel (Flachziegel mit Aufkantungen an den Längsseiten) und andere Tonwaren, weil dort eine Lehmgrube entdeckt worden war. Mit dem Tonerdeverbrauch und der Ziegelherstellung, die nach einem langen Unterbruch bis 1976 anhielt, hängt auch die heutige Berühmtheit von Kölliken zusammen. Denn auf dem ausgebeuteten Areal an der Safenwilerstrasse wurde ab 1978 die Sondermülldeponie Kölliken SMDK eingerichtet. Hier, an einem der oberen Enden des grössten Grundwasserstroms der Schweiz, der unterirdisch dem Aaretal und dem Rhein entgegen fliesst, wurden 350 000 Tonnen Zivilisationsexkremente von der übelsten, toxischsten Sorte eingelagert, selbst aus dem Ausland. Früher verzweigten sich in jener Gegend Suhre, Uerke und Kölliker Dorfbach und faserten in blind endende Bewässerungskanäle aus. Mit Ausnahme der damaligen Behörden wie dem Gewässerschutzamt war das allgemein bekannt.
 
Die zu jener Zeit verantwortlichen Aargauer Kantonsbehörden, welche den Giftmüll an einem einzigen und damit vermeintlich kontrollierbaren Ort beisammen haben wollten, hatten das Gefühl, die Tongrube sei dicht, und deshalb könne nichts passieren. Wäre das der Fall gewesen, wäre die Wanne eines Tages übergelaufen, weil es auch in Kölliken gelegentlich regnet und schneit und die Niederschläge jedes dichte Gefäss mit der Zeit auffüllen. Doch dicht war die Grube auch nicht, wie sich bald einmal herausstellte; das Grundwasser war stark gefährdet. Und seit Jahresbeginn 2008 müssen die rund 550 000 t einer undefinierbaren Giftmischung ausgebaggert und einer befriedigenden „Entsorgung“ zugeführt werden. Das geschieht innerhalb des grössten, stützenfreien Hallenkomplexes hinter verschlossenen Türen und bei leichtem Unterdruck seit Beginn des Jahres 2008. Inzwischen hat sich das Material im Innern bereits 2 Mal selbst entzündet. In dieser Gifthölle wird unter grössten Sicherheitsmassnahmen gearbeitet. Die Kosten für die Sanierung überschreiten eine halbe Milliarde CHF deutlich: nach oben ist noch alles offen. Wir haben uns an Milliardenverluste aus stinkenden Geschäften ohnehin gewöhnt.
 
Doch in diesem Blog geht es nicht um Sondermüll oder anderweitige Dreckgeschäfte, sondern um die Ziegelherstellung seit den Römerzeiten und um das Dorfmuseum Kölliken. An Pfingsten, 11.05.2008, habe ich die Ausstellung „Von den Römern zur SMDK“ besucht und auch die dazu gehörige informative Schrift der Museumskommission Kölliken (Präsident: Kurt Widmer) gelesen; aus den Angaben in dieser Broschüre und meinen persönlichen Ausstellungseindrücken ist dieses spezielle Römer/Kölliker-Tagebuchblatt herausgewachsen.
 
Das Ortsmuseum im Strohdachhaus
Die Ziegelei-Ausstellung ist zurzeit ein Teil des Angebots des Kölliker Ortsmuseums. Dieses ist im markanten Strohdachhaus an der Hauptstrasse 43 untergebracht, in einem Ständerbau mit 4 Hochstüden; ein Hochstud ein Firststständer, das heisst ein Balken, der zusammen mit anderen den Firstbalken trägt. Die schrägen Dachträger werden Rafen genannt. Das Gebäude wurde 1802 zum Preis von 5000 Franken erbaut. Das Walmdach des denkmalgeschützten Hauses mit seiner Firsthöhe von 13 m wurde 1983 von holländischen Schilfdachdeckern mit 40 t Stroh (Schilf, ursprünglich wurde Roggenstroh verwendet) neu bedeckt. Das Dach wechselte bereits von Hellgelb zu Grau und wird schliesslich ein schönes Moosgrün erhalten. Das Moos schützt gegen Funkenwurf aus dem Kamin, verlangsamt aber das Trocknen des Strohs nach Niederschlägen (Quelle: Karin Suter: „Strohhäuser des Kantons Aargau“, vervielfältigte Blätter, 1997), und so setzt ein langsamer Kompostierungsprozess ein.
 
Seit dem Jahr 1865, als mit der Einführung des Aargauer Brandversicherungsgesetzes der Bau von brandgefährdeten Strohdachhäusern verboten wurde, verschwanden solche Bauten zunehmend aus der Landschaft; der Aargauer Grosse Rat setzte 1874 sogar Prämien für die freiwillige Beseitigung von Strohdachhäusern aus: 20 % der Versicherungssumme.
 
Das Strohdachhaus Kölliken ist die ideale Unterkunft für ein Ortsmuseum (seit 1987). Ortsmuseen haben allein schon durch ihre Existenz eine segensreiche Wirkung: Man weiss dann, wo man altes Handwerks- und Haushaltgerät abgeben kann, das sonst nutzlos und platzfressend herumstehen würde. Und damit werden solche Sachen von der Kehrichtverbrennungsanlage verschont.
 
Im Kölliker Strohhaus des Johann Suter-Suter (1770‒1832), das 1981 von der Einwohnergemeinde für 315 000 CHF erworben und mit über 500 000 CHF restauriert wurde, gehören die Küche mit Sparherd, eine Stube mit Kachelofen und Kunst sowie eine Salzkammer mit einer Salzwaage zum festen Inventar; wegen des Salzverkaufs während mehrerer Generationen bis 1941 wird das Strohdachhaus auch „Salzmehuus“ genannt. Auf der Heubühne sind Gerätschaften zu sehen, wie sie früher die Land- und Forstwirtschaft einsetzten wie ein Aargauer Pflug, ein Heu-Elevator, eine Dreschmaschine, ein Entgranner, ein Röndler usf. Auch die Werkzeuge für Strohdachdecker, Wagner, Zigarrenmacher („Ammann“), Metzger, Schreiner und Zimmerleute sind vertreten. Und jetzt ist in dem grosszügig konzipierten ehemaligen Einfachwohnhaus noch die Ziegel-Sonderausstellung dazu gekommen, zu der die Stiftung Ziegeleimuseum Cham einige bezeichnende Exponate beisteuerte.
 
Die Kölliker Ziegelei-Geschichte
Der erste Ziegelbrennofen dürfte in Kölliken im 1. Jahrhundert entstanden sein, als sich die 13. Legion der Römer (entsprechend einer heutigen Division) in Vindonissa einrichtete, die in der Regierungszeit von Kaiser Claudius (41‒54 n. u. Z.) von der 21. Legion abgelöst wurde. Die Bautätigkeit war in diesem Militärstützpunkt (wie auch in Augusta Raurica) enorm. Laut dem Historiker Markus Widmer-Dean (in: „Kölliken. Geschichte eines Dorfes“, 1998) dürfte der Kölliker Ziegelbrennofen zusammen mit denjenigen von Rupperswil und Hunzenschwil als ausgelagerte Wirtschaftseinheit des Legionslagers Vindonissa gedient haben.
 
Wahrscheinlich war der Brennofen in Kölliken vor allem in der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts bis spätestens 101, als die 11. Legion Vindonissa verliess, in Betrieb. Für die nachfolgenden Jahrhunderte gibt es keine Funde mehr, welche auf die Lehmgewinnung und den Betrieb von Brennöfen hinweisen. Erst in die Zeit zwischen 1450‒1500 wird wieder ein Brennofen datiert, der 1947 ausgegraben worden ist und welcher offenbar vom Zisterzienserkloster St. Urban betrieben worden war, für das Gebiet der Schweiz einzigartiger Fund. Gleichzeitig wurden Boden- und Grabplatten mit Ornamenten und Figuren entdeckt, die für einen Priester in Kölliken hergestellt worden sind.
 
Zahlreiche Funde bestätigen die Anwesenheit der Römer in Kölliken, wie in zahllosen anderen Gemeinden des heutigen Kantons Aargau auch. So wurde bereits 1750 von einem Hirtenknaben ein Kölliker Münztopf aus gebranntem Ton mit Münzen aus der Römerzeit gefunden; der Topf ist heute in der Münzsammlung der Bibliothek Bern. Hoffentlich erhielt der arme Bub einen angemessenen Finderlohn. 1850 wurden erste römische Ziegel und Ziegelfragmente gefunden. Nach solchen wurde später systematisch gegraben. 1922 wurden auf dem Grundstück von Gottlieb Matter („Mugglis“) am Rain in Kölliken römische Mauerreste festgestellt. 1 Jahr später förderten Ausgrabungen Reste eines römischen Ziegelbrennofens zutage. Unter den Bruchstücken waren 4 Leistenziegel mit dem Stempel der 21. Legion. 1960 wurden Abfallgruben in der Nachbarschaft des römischen Brennofens ausgegraben. Und beim Bau der Autobahnunterführung Kölliken‒Muhen kamen römische Ziegel mit Legionsstempeln, eine Doppelaxt und römische Mauerreste ans Licht.
 
Die letzte Ziegelei in Kölliken wurde 1823 von Rudolf Hilfiker, dem Sohn eines Gemeinderats, gegründet, und 3 Generationen der Hilfiker-Familie betrieben das Handwerk weiter. 1909 fiel die gesamte Fabrik einem Brand zum Opfer; denn es musste ja eine grosse Hitze zum Brennen erzeugt werden: Zum Aufheizen des Brennofens waren jeweils 4 bis 5 Ster Holz nötig. Anschliessend entstand eine neue Fabrik mit verbesserter Technik. 1914 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt; doch in den Kriegsjahren hatte das Unternehmen Absatzprobleme. Die AG löste sich wieder auf und wurde in die Einzelfirma Rudolf Frey-Sommer umgewandelt. Die nächste Veränderung war 1923 fällig, genau 100 Jahre nach der Gründung. Die Ziegelei wurde zur Ziegelfabrik Kölliken AG mit Rudolf Frey als Direktor, und 1928 wurde der Betrieb von der Ziegelei Keller & Cie. AG, Pfungen und Dättnau, übernommen; die Produktion wurde durch den Ausbau der technischen Anlagen verdreifacht.
 
Die Qualität der Dachziegel war wegen der Beschaffenheit des Tons aus den Gebieten Aegerten und Im Hof ungenügend und musste bald aufgegeben werden. Doch die übrigen Produkte wie Isolier-Mauersteine, Isoliertonplatten, Deckensteine und Drainageröhren wurden weit herum geschätzt. In den 1960er- und 1970er-Jahren beschäftigte das Unternehmen bis zu 40 Arbeiter und 5 Angestellte. 1976 wurden die letzten Backsteine und Tonröhren gebrannt; die Fabrik diente nur noch zu Lagerzwecken. Heute sind auf dem Fabrikgelände Wohnmobile eingestellt. Der Brennofen wurde 1978 abgebrochen, und das Drama „SMDK“ begann 1979 auf dem Areal, das vorerst noch den Tonwerken Keller AG gehörte. Es wurde erst am 12.04.1994 vom Konsortium Sondermülldeponie Kölliken erworben.
 
Die SMDK-Geschichte ist ein Bestandteil der Ziegelei-Ausstellung im Strohdachhaus, und dort habe ich ein eigenes, stark vergrössertes Bild von der geöffneten Deponie entdeckt – ich hatte die SMDK journalistisch intensiv begleitet und durch detaillierte Berichterstattungen im „Aargauer Tagblatt“ meinen Teil zur Schliessung beitragen können.
 
Im Strohdachhaus wurde über die ältere und jüngere Vergangenheit lebhaft diskutiert, und Vreni und Kurt Matter-Meier, die das Museum an Pfingsten betreuten, machten mich auf viele Attraktivitäten aufmerksam, so auf einen Dünkelbohrer, mit dessen Hilfe früher von Hand Baumstämme zu Röhren ausgehöhlt wurden, sowie ein weiteres umfangreiches handwerkliches Schaffen, eine breite örtliche Kulturgeschichte. Und mir wurde einmal mehr bewusst, dass es grundfalsch wäre, dieses Kölliken nur auf die Sondermülldeponie zu reduzieren. Es hat, gerade auch wegen seinem Traditionsbewusstsein, seine liebenswerten Seiten. Die Elemente Erde, Wasser (und die dazu gehörigen Holz- und Tonröhren) und Feuer bestimmten die Geschichte überdurchschnittlich mit, der sich eine verheissungsvolle Zukunft anschliessen dürfte.
 
Hinweise
Öffnungszeiten der Ziegelei-Ausstellung im Strohdachhaus: Anfragen: Tel. +62 724 91 07 (Daniel Rau oder Bärbel Schwarz).
 
Hinweis auf die Beschreibung der SMDK im Textatelier.com
 
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