Textatelier
BLOG vom: 21.05.2008

Streubomben-Konferenz Dublin: Abwesende u. Verwässerer

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Als am Dienstagmorgen, 20.05.2008, im Ratespiel „Morgenstund’ hat Gold im Mund“ von Radio DRS1 ein munterer Pensionär gefragt wurde, wo denn die 12-tägige, von Norwegen veranlasste Konferenz über ein weltweites Verbot von Streumunition stattfinde, blätterte er aufgeregt in Zeitungen, fand aber nichts. Er müsse passen, sagte er, und schied aus dem Spielchen aus.
 
Für mich war das ein bezeichnendes Erlebnis: Die Medien berichten kaum über diesen Anlass in Dublin; Radio DRS ist eine erfreuliche Ausnahme. Es rief dieser Tage in einer ausführlichen Sendung in Erinnerung, wie die Armee von Israel im unmotivierten Krieg gegen den Libanon dieses Land mit Riesenmengen solch perfider Bomben überzogen hat, die zu rund 10 % zu Blindgängern werden und deren Einsatz durch nichts zu entschuldigen ist. Nach Uno-Schätzungen sollen bisher 13 000 Menschen, darunter viele Kinder, durch Streubomben ums Leben gekommen sein, die meisten in Laos, Vietnam, Afghanistan, im Irak und eben im Libanon. Etwa 30 Länder sind bereits mit Streubomben-Blindgängern verseucht. Diese Waffen wurden vom Westen im Kalten Krieg angeblich gegen die Panzerverbände des Warschauer Pakts erzeugt und dann anderweitig bei jeder Gelegenheit eingesetzt – ausserhalb strategischer Ziele.
 
Wer Streubomben einsetzt oder nur schon besitzt (also einsatzbereit hält), zeigt keine hohen moralischen Qualitäten. Dazu gehören die Grossmächte USA, Russland, China, Israel, Indien und Pakistan, die sich nicht einmal nach Dublin ins Croke Park Sportstadion bemüht haben und dafür garantieren, dass ein Streubombenverbot zumindest von diesen Atommächten nicht umgesetzt würde, sollte es überhaupt vereinbart werden. Grossbritannien setzt sich mit anderen Staaten wie der Schweiz (siehe unten) für Verwässerungen des angestrebten Abkommens ein.
 
Immerhin fanden sich Vertreter von rund 100 Regierungen in Irland zusammen, die sich hoffentlich wenigstens auf eine Konvention über die Ächtung dieser himmeltraurigen Waffen einigen werden. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon hatte die Delegationen in einer Video-Botschaft aufgefordert, „wagemutig und visionär“ auf die Ächtung von Streumunition hinzuarbeiten. Er kritisierte Streubomben als „verborgene Schrecken“, die unzuverlässig seien und nicht zwischen Zivilisten und militärischen Zielen unterscheiden könnten, wie einem SDA-Bericht zu entnehmen ist. Sogar Papst Benedikt XVI. drängt zu einem Verbot der tödlichen Waffen; die Zeit des Kanonen-Segnens scheint in der römisch-katholischen Kirche vorbei zu sein. Sie entwickelt sich also doch.
 
Die Schweizer Delegation ihrerseits wäre gescheiter daheim geblieben. Denn sie will sich, wohl auf Geheiss unseres Nato-hörigen Verteidigungs- und Armeeministers Samuel Schmid, gegen ein Totalverbot wehren und sich für ein Teilverbot stark machen. Was für eine inkonsequente, schäbige Haltung! Wahrscheinlich ist das wieder so ein Bückling der US-beherrschten Nato gegenüber, in die uns der Bundesrat über die 1994 gegründete „Partnership for Peace“ (PfP), wie die euphemistische Bezeichnung für die militärische Unterwerfung unter die Nato lautet, bereits 1996 hintenherum und ohne Bedürfnis zur Orientierung des Volks geführt hat, ein Verrat an der Neutralität obendrein. Seither wird die Schweizer Armee, die bisher eine reine Verteidigungsarmee war, so umgebaut, dass sie „gemeinsam mit den Nato-Streitkräften operieren“ kann. Und solche Kriegsvorbereitungen geschehen unter dem verlogenen Titel „Friedenspartnerschaft“, dieser Vorstufe zum vollwertigen Nato-Mitglied.
 
Jeder Streubombenbesitz ist verwerflich, jeder Einsatz dieser heimtückischen Waffe ein Kriegsverbrechen. Ich kann mir keine andere Ursache für die traurige Rolle, welche die Schweizer Delegation in Dublin spielen muss, ausdenken als eben diese Unterwürfigkeit unters Nato-Diktat, als eine Rücksicht auf besonders edle Freunde, die von einer unbändigen Kriegslust befallen zu sein scheinen und sich nicht von ihren schmutzigen Waffen trennen möchten. Ich bin entsetzt und schäme mich für die Schweiz, besonders auch weil mein Land, das daneben auch viele sehr gute Seiten hat, selber solche Streubomben besitzt.
 
Die offizielle militärische Schweiz rechtfertigt ihr durch nichts zu rechtfertigendes Verhalten damit, dass sie Streubomben von ganz besonderer Qualität habe (200 000 Kanister mit „Streubombe M85“), was eine üble Notlüge ist. Diese schrecklichen Waffen wurden vom israelischen IMI-Waffenkonzern entwickelt und vom Schweizer Rüstungskonzern RUAG in Lizenz hergestellt. In der Schweiz lagern dieselben Geschosse, die bei der Zerstörung des Südlibanon 2006 von Israel im grossen Stil abgeworfen wurden. Laut IKRK liegen im Libanon seither gegen eine Million Blindgänger herum – ein wirklich grossartiges Qualitätsmerkmal … und ein Hinweis auf die Ruchlosigkeit der Armee Israels. Seit Kriegsende wurden im Libanon davon mehr als 200 Zivilisten durch Blindgänger verletzt oder getötet. Das scheint niemand zu kümmern. Der Ansehensverlust, den das Streubombengeschäft und der aktive massive Einsatz dieser schmutzigen Waffen bringt, scheint Israel ebenfalls gleichgültig zu sein.
 
Das Departement Samuel Schmid und die CH-Armeeführung leugnen, dass die in der Schweiz lagernden M85-Bomben mit jenen M85-Bomben identisch sind, die Israel in des Nachbarn Garten geworfen hat, sondern sie hätten einen zweifachen Selbstvernichtungsmechanismus. „Wer so etwas behauptet, lügt“, sagte der Direktor von Handicap International Schweiz, Paul Vermeulen, dazu. Aber auf eine Lüge mehr oder weniger kommts auch nicht mehr an.
 
Streubomben öffnen sich in der Luft und können bis zu mehrere hundert Mini-Sprengsätze über ein weites Gebiet verteilen, die oftmals nicht sofort detonieren und somit als Landminen liegen bleiben. Nach allen ernstzunehmenden Berichten töten lediglich etwa 90 % der verstreuten Bomben alles Leben sofort, und der Rest liegt als Blindgänger herum – als „Waffen, die nie mit dem Töten aufhören“, wie der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, der Schweizer Jakob Kellenberger, treffend feststellte. Auch wenn nur 1 % der Streumunition als Blindgänger herumliegen würde, wäre das ein hinreichender Verbotsgrund. Der andere, ebenso schwergewichtige ist, dass Streubomben nicht gezielt, sondern radikal das Leben in ihrem Einflussbereich auslöschen. Ein zielloses Töten ist der Gipfel menschlicher Kriminalität, dem Abwurf des hochtoxischen Total-Herbizids Agent orange durch die USA im Vietnamkrieg vergleichbar, das unendlich viele Menschen zu Krüppeln machte. Es gibt keine zuverlässige Streumunition, keine die genau trifft, also keine, die nicht ein „ernsthaftes humanitäres Risiko“ ist.
 
Wenn also jede Bombe nach dem Zufallsprinzip eine Vielzahl kleinerer Bomben versprüht, die nur zum Teil detonieren, ist das mit keinem Kriegsrecht vereinbar. Denn Zivilisten und insbesondere Kinder dürften nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Es gibt wahrhaftig bereits genug Elend auf dieser Erde. Die Meldungen, die uns aus Burma (Sturm) und China (Erdbeben in Sichuan und Umgebung) erreichen, sind schwer zu ertragen. Müssen Katastrophen auch noch künstlich herbeigeführt werden?
 
Ich frage mich wirklich, was wir denn für Politiker haben, auf welch abgrundtiefem Niveau die Weltpolitik ist, die Diskussionen um Streubomben, über radioaktive Sprengköpfe und darüber, ob das Foltern zulässig sei, nötig macht. Und deren Repräsentanten fühlen sich als Repräsentanten des Guten.
 
Die guten Streubombardierer haben ein Rezept parat: Die Hilfe für die Opfer von Streumunition soll verbessert werden.
 
Vielleicht gibts in Zukunft einen kleinen Beitrag an Krücken, wenn einem unschuldigen Kind bei einer Blindgänger-Explosion beide Beine abgetrennt worden sind.
 
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