Textatelier
BLOG vom: 21.06.2008

Kuriose Fussball-EM: Bemalte Schwangere, Kinder und Tiere

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„So weit war es in Ordnung. Ich bin in einem schönen Hotel und bekomme immer schönes Essen.“
(Der deutsche Nationalspieler Bastian Schweinsteiger über den bisherigen Verlauf der EM in Österreich und der Schweiz)
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„Immerhin bleibt die Schneefallgrenze so hoch, dass davon der EM-Spielbetrieb nicht negativ beeinflusst werden sollte. Selbst hoch geschlagene Flanken sollten noch ohne Vereisung des Balles im Strafraum ankommen.“
(Der Deutsche Wetterdienst zur erwarteten Schafskälte in den ersten Tagen der EM)
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In meinem Blog „Fussball-EM-Blödsinn: Der Asterix von Basel trotzt der UEFA“ vom 03.06.2008 berichtete ich in einer Vorschau über Besonderheiten über das drittgrösste Sportereignis der Welt, der Fussball-EM 2008 (EURO 2008). Jetzt folgt nach den Vorrundenspielen ein Zwischenbericht über Kuriositäten und besonders „kluge“ und witzige Aussprüche von Fernsehreportern und Zeitungsschreibern.
 
„Wir sind alle Nati“
„Wir sind alle Nati“, so titelte „Blick“ am 09.06.2008 als die Schweizer Welt noch in Ordnung war. Unglaublich, was vor und in den ersten Tagen der Euro 2008 so alles mit den Nationalfarben eingefärbt war. So hatte ein Baby einen Schnuller im Mund, der mit einem weissen Kreuz auf rotem Grund und einigen Fussbällen bemalt war. Da konnte sogar der Kleine jubeln, wenn er nicht gerade in die Windel gemacht hatte. Einige trugen sonderbare Haartrachten, entweder in den Nationalfarben oder einrasiert „Hopp Schwiiz“. Gesichtsbemalungen, bei der ein Indianer vor Schreck wohl umgefallen wäre, waren „in“. Aber es ging noch weiter mit dem Irrsinn. Autos wurden in den jeweiligen Nationalfarben umgesprüht. Die holde Weiblichkeit glänzte mit künstlichen Fingernägeln, die mit aufgemalten Schweizer Fahnen versehen waren.
 
Ein Mann schoss den Vogel ab: Er lief als Fussball durch Basel. Die Hose war nicht voll, sondern in Rot gehalten, die Oberarme waren dick eingepackt und mit einem weissen Kreuz auf rotem Grund versehen. Die Haare des Herumirrenden waren weiss und rot gefärbt. Da wusste jeder: Das ist ein Schweizer Fussballfan. Später wurde auch ein Deutscher in dieser sonderbaren Fussball-Kleidung gesehen. Ich dachte mir, als ich das Foto sah, wenn der umfiele, könnte er nicht mehr aufstehen. Wenn er keine Helfer habe, könne er sich nur noch ins Stadion rollen.
 
In Basel fuhr ein Auto mit dem folgenden Nummernschild herum: MY BASEL N.C. Sheriff´s Association. Am Heck desselben Autos entdeckte ich eine Schweizer Fahne und ein CH-Schild.
 
Nicht nur der „Blick“, sondern auch die deutsche „Bild“ liess sich einiges einfallen. So wurden die Leser aufgefordert, Fotos von „Schwarz-Rot-Schwangeren“ einzusenden und dann die Schönste zu ermitteln. Die Damen, die abgelichtet wurden, hatten die Farben der deutschen Flagge oder einen Fussball auf ihren Bauch gemalt. Die Schönste wird mit 2008 Euro belohnt.
 
Leser-Reporter sandten noch ganz andere Bilder ein. So hatte eine junge Frau einen aufgemalten Fussball auf dem Po. Eine verzierte ihre Brüste mit den 3 Farben der deutschen Flagge. Eine andere schrieb quer über ihre Brüste „We are the Champions“.
 
Auch Babys und Tiere wurden bemalt. So waren Hunde mit Kappen, Schals, Fussball-Trikots und Girlanden um den Hals – auch hier in den Nationalfarben gehalten – zu sehen. Auch Pferde und Kühe mussten sich den Pinseleien unterwerfen.
 
„Bild“ bemerkte euphorisch: „Wenn Herrchen und Frauchen jubeln, bellen die Hunde mit. Einfach zum Wiehern.“
 
Damit noch nicht genug: Auch Torten und Gebäck wurden mit den Nationalfarben versehen. Bei Schwarz-Rot-Gold wurden Heidelbeeren, Erdbeeren und Ananas auf den Obstkuchen gesetzt. Es gab aber auch scharfe Schweinesteaks mit den Farben Schwarz-Rot-Gold, die auf den Grill zum Brutzeln gelegt waren.
 
Die Basler wehrten sich gegen das Euro-Bier (der Hersteller tritt als Sponsor der Euro 2008 auf) aus dem Ausland. Sie platzierten an einem Haus in der Nähe des Marktplatzes ein Transparent mit der folgenden Aufschrift auf: „Bier von hier, statt Bier von dort.“ Herrlich, diese Idee. Persönlich hätte ich nur das einheimische Bier getrunken.
 
Markante Schlagzeilen und Pressestimmen
Nachdem die armen Schweizer trotz eines 2:0-Sieges gegen die B-Mannschaft von Portugal (die Stars wurden geschont) aus dem Wettbewerb flogen, titelte die „Bild“ mitleidsvoll: „Sieg für die Leidgenossen.“
 
Und die „Badische Zeitung“ vom 13.06.2008 tröstete die Schweizer und brachte dies zur Kenntnis: Die Schweiz ist amtierender Europameister im Aufstellen von Radarfallen, als Heimatland für Millionäre, im Schokoladen-Dreicksbau (Toblerone), im Design seiner Berge (Matterhorn, Gipfel formvollendeten Natur-Designs), im Hornussen und Schwingen, im Vermehren von Fremdgeld. Das sind gewaltige Trostpflaster. Da kann sich jeder Schweizer stolz fühlen!
 
In demselben Spiel bemerkte Bernhard („Beni“) Thurnheer, der populäre, gerade in Scheidung begriffene Schweizer SF2-Reporter, nachdem der Schiedsrichter auf seine Uhr geblickt hatte: „Der Schiedsrichter hat 2 Uhren am Arm – und dabei ist er gar kein Schweizer.“
 
Derselbe Sportreporter, den ich mit seinen oft kuriosen und lustigen Bemerkungen ganz gerne höre, brachte im Spiel Schweiz–Türkei (1:2) die Gedanken eines türkischen Spielers, der in Berlin geboren wurde, zu Gehör: „Ich habe die deutsche Kampfstärke und ein türkisches Herz. Diese Kombination ist gewinnbringend.“
 
Als ein Türke mit zerrissenem Trikot herumlief, bemerkte Thurnheer: „Das ist von schlechter Qualität, darf man nur bei 30 °C waschen, der Regen hat 60°C.“ Im Spiel goss es nämlich in Strömen. Dann bemerkte Thurnheer: „Der liebe Gott hat den Regen geschickt… Die Schweizer profitieren vom nassen Rasen.“
 
Als der Schweizer Spieler Barnetta ausgewechselt wurde, betonte der Reporter, das wäre verständlich, weil er ja lange verletzt war. „Er stand mit leeren Batterien da, kann man so sagen.“
 
Die türkischen Reporter gingen nicht gerade sanft mit den Schweizer Spielern um. „Fotosport“ schrieb nach dem Sieg gegen die Schweiz: „Ihr seid für solche Siege geboren. Wir küssen euch die Stirn. Die Schweizer, die verzogenen Kinder der Fifa und der Uefa, haben ihre Antwort bekommen.“ Und in „Fanatik“ war dies zu lesen: „Die verrückten Türken haben uns wieder eine unglaubliche Nacht beschert. Ihr habt an der Schweizer Schokolade geknabbert – lasst es euch schmecken.“
 
Auch das Spiel Frankreich gegen Rumänien (1:1) kommentierte Thurnheer sehr amüsant und meinte: „Einigen wir uns auf folgende Formel: Das Spiel ist unglaublich langweilig, aber auf hohem Niveau.“ Als ein spanischer Stürmer von 2 Rumänen bedrängt wurde, gab Thurnheer dies kund: „Zuviel Gelbe (Rumänen) verderben den Angriffsbrei.“
 
„Blick“ berichtete am 09.06.2008 über das Spiel Holland gegen Italien (3:0) dies: „Orkanje! Holland tanzt den Weltmeister aus. Italien liegt nach seinem Auftaktspiel angeschlagen auf der Intensivstation. Donadonis Azzuri werden von Holland abgeschossen.“
 
Als die Österreicher gegen Polen (1:1) in der Nachspielzeit den Ausgleich durch einen Elfmeter erzielt hatten, sagte ARD-Reporter Wolf-Dieter Poschmann: „Das ist kein Stein, das ist kein Fels, das ist der Grossglockner, der ihnen runterfällt.“
 
Zum spanischen 2:1-Erfolg gegen Schweden gab es auch einige originelle Pressestimmen. Hier eine kleine Auswahl:
„Villa (spanischer Stürmer, der 2 Tore schoss) taucht mit dem letzten Atemzug auf. El Ninjo (Torres) und Villa sind die tödlichste Angriffswaffe der EM.“ („Sport“, Spanien).
„Spanien hat uns auf die Hörner genommen…“ („Aftonbladet“, Schweden).
Zum vorzeitigen EM-Aus der Griechen nach dem 0:1 gegen Russland: „Russen lassen die Griechen siechen. Einziger Trost: Wir Schweizer sind nicht mehr allein mit unserem Frust. Auch der Europameister (von 2004) ist vorzeitig ausgeschieden.“ („Sonntags Blick“, Schweiz).
 
Nach Córdoba, kein Wunder von Wien
Vor dem Spiel Deutschland gegen Österreich in Wien kochten die Wogen hoch. Da wurde das 3:2 der Österreicher gegen die Deutschen bei der Fussball-Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien in Erinnerung gerufen. Damals ging das Spiel von Córdoba in die Annalen der Sportgeschichte ein. Edi Finger, der österreichische Reporter, konnte sich nicht mehr zurückhalten, als Hans Krankl das Siegtor schoss. „Tor, Tor, Tor, Tor, Tor – I wer` narrisch!!“, schrie er ins Mikrofon. Aber das nützte keinem, da beide schon vorher ausgeschieden waren. Aber es war für die Österreicher das höchste Glück. Besiegten sie doch die Deutschen nach langer Zeit wieder einmal. Dieser Sieg blieb danach der einzige bis heute.
 
Sein Sohn Edi Finger junior (59) ist heute auch Sportreporter. Auf die Frage, wie er sich dieses Phänomen erkläre, antwortete er: „Es ist ein unheimliches, ein nicht zu erklärendes Phänomen. Wir sagen scherzhaft: Österreich hat eine neue Zeitrechnung: 30 n. Chr. – nicht nach Christus, sondern nach Córdoba.“
 
Fingers Sohn hat den legendären Satz seines Vaters „I wer’ narrisch“ in lärmende Schlüsselanhänger gepackt und mehr als 270 000 davon schon verkauft. Wurden wohl nur von den narrischen Österreichern gekauft, oder?
 
Bevor das Spiel Österreich–Deutschland im Ernst-Happel-Stadion in Wien angepfiffen wurde, versuchten beide Seiten die Situation zu verschärfen. So titelte „Bild“: „Wir hauen die Wiener Würstchen weg.“ Der österreichische Spieler Martin Harnik sagte in einem kräftigen Deutsch: „Die Deutschen stehen jetzt unter Druck (weil sie mindestens ein Unentschieden benötigten, um weiter zu kommen) und werden sich in die Hosen scheissen.“
 
Während des Spiels wurde eine österreichische Zuschauergruppe mit einem Transparent eingeblendet. Darauf stand: „Heilige Johanna von Córdoba hilf!“
 
Nun an diesem Tag siegten die überlegenen Deutschen mit 1:0 und die Österreicher schieden aus dem Wettbewerb aus. Oliver Polzer, 35, der das Spiel fürs das Österreichische Fernsehen kommentierte, war nach dem Supertor von Michael Ballack in der 49. Minute sprachlos. 21 Sekunden war vom Reporter nichts zu hören.
 
Leider half auch die Heilige von Cordoba nicht. Die war sicherlich anderweitig beschäftigt.
 
Gerd Delling, der mit Günther Netzer die Spielszenen nach dem Match kommentierte, war von dem mit unheimlicher Wucht geschossenen Ball von Ballack so beeindruckt (es wurden 121 km/h gemessen), dass er dies sagte: „Der Ball ist so schnell geflogen, da wäre er (der Schütze) in Österreich geblitzt worden.“
 
Die Schweizer Zeitung „Blick“ titelte am 16.06.2008: „Deutsche knacken Wiener Würstchen.“
 
Dann las ich den darunter stehenden Text: „Die am Ende stilsicheren Deutschen stoppten den im Vorfeld grossmauligen Österreichern am Ende verdient die ,Goschn’.“
 
Nachtrag: „Ballermänner mit bums!“
Für das Viertelfinale haben sich zum Zeitpunkt der Niederschrift des Blogs Portugal, Deutschland, Kroatien, Türkei, Niederlande, Russland, Spanien und Italien qualifiziert.
 
Und ganz aktuell: Deutschland hat in einem dramatischen und aufregenden Spiel gegen Portugal mit 3:2 am 19.06.2008 das Halbfinale erreicht. Vorsorglich nahm ich vor dem Spiel eine Magnesiumtablette ein, um ein solches „Herzinfarktspiel“ durchzustehen. Es wurde ja besonders dramatisch, als der Portugiese Helder Postiga in der 87. Minute das Anschlusstor zum 3:2 erzielte. Da gab es in den restlichen Minuten (4 Minuten wurden nachgespielt) Dramatik pur. Aber die anstürmenden portugiesischen Filigrantechniker, die mit aller Macht auf den Ausgleich drängten, konnten sich gegen das deutsche Bollwerk (Abwehr) nicht durchsetzen. Dann war der Jubel grenzenlos. Schon vorher zückte ein Nachbar von mir bei jedem Tor seine Trompete und blies kräftig hinein, dass es nur so schallte. Nach dem Schlusspfiff wurde die Beschallung fortgesetzt. Dann fuhren die Fans mit ihren Autos hupend durch Schopfheim.
 
Die Online-Ausgabe von „Blick“ (www.blick.ch) hatte dann am nächsten Tag diese Schlagzeile kreiert: „Ballermänner mit bums!“ Und die „Badische Zeitung“ titelte „Dieser Sieg macht Lust auf mehr“.
 
Internet
www.badische-zeitung.de/em (mit Texten, Fotos und Videos über das Spiel Deutschland gegen Portugal in Basel)
 
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