Textatelier
BLOG vom: 02.08.2008

Bundesfeier in Biberstein AG: Da ist wirklich nichts passiert

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Sie, liebe Leserin, lieber Leser, brauchen dieses Blog nicht zu lesen. Es handelt bloss von der Bundesfeier in meinem Wohnort Biberstein AG, ein vorbildlich unspektakulärer Anlass im Schlosshof, in dem aus pyrotechnischen Gründen kein Feuerwerk abgefeuert werden darf; das Verbot gilt auch fürs Dorfzentrum. Wir wollen ja unser Schloss und unser schönes, abgetrepptes Dorf erhalten. Deshalb gehe ich alljährlich dorthin. Ich kann ganz gut ohne Schiesslärm und ohne Giftgase leben. Aber den dezenten Bratwurstduft schätze ich schon.
 
Der Kulturvertreter aus dem Gemeinderat Biberstein, René Bircher, der mir auch wegen seines Berufs (Handbuchbinder) sympathisch ist, sprach um 19.30 Uhr einige Worte der Begrüssung. Er hielt keine Rede, beschwor nicht in pathetischen Worten die Freiheit und Unabhängigkeit der Schweiz herauf, wie dies oft auf nationaler Ebene geschieht – worauf dann genau das Gegenteil eingefädelt wird. Der Bibersteiner Gemeinderat muss die Demokratie nicht verbal auferstehen lassen. Er praktiziert sie. Besser als umgekehrt.
 
Der Abend wurde von Alphornbläsern eingestimmt und vom Jodlerklub „Haselbrünneli“ Biberstein geprägt. Der Name stammt von einer Rodungsfläche (Haselmatt) am Jura oberhalb des Dorfs, wo das herrliche Quellwasser ein Brünneli speist. Man könnte in Biberstein gleich als flüssiges Nonplusultra dieses einheimische Wasser trinken, aber man begnügt sich, bescheiden wie wir nun einmal sind, mit etwas Herznacher Wein, einem Bier, Mineralwasser oder so etwas. Und die würzigen Bratwürste lieferte die Metzgerei Suter aus Oberflachs hinter dem Jura, hinter der Gisliflue. Die Gemeinde gibt diese zusammen mit chüschtigem Brot an Interessenten gratis ab. Und dann kann man noch zu christlichen Preisen hausgemachtes Gebäck kaufen; ich wählte ein dickes Stück Gleichschwerkuchen nach Hausfrauenart mit Himbeer-Fundament für 2 CHF.
 
Ich sass am Tisch einem bestandenen Jodler gegenüber, dessen Name ich nicht kenne. Er stammt aus Kienberg SO, gleich hinter dem Benken, und wohnt zusammen mit seiner Frau, ebenfalls aus Kienberg stammend, in Rohr AG, von Biberstein aus gesehen gleich auf der anderen, rechten Aareseite. Ich unterhielt mich mit ihm über seine Tracht, die eher der Berner Festtagstracht als dem typischen Aargauer Festtagskleid glich. Schliesslich waren wir ja gerade im ehemaligen Berner Aargau; der Berner Bär erklimmt noch immer die Südfassade des Schlosses, die der Aare zugewandt ist. Er trug eine Hose aus dunkelbraunem Halbleinen, eine schwarze Jacke, bestickt mit Edelweissen, Enzianen und stilisierten Alpenrosenblüten, darunter ein weisses Leinen mit geometrischem Stickmuster im Umfeld der Knöpfe. Und der schwarze Knopf ist dort, wo der oberste Hemdenknopf den Hals erdrosseln will.
 
Die Allrounder-Jodler grillierten Würste und Steaks, gruppierten sich dann wieder zum Jodelgesang auf hohem Niveau. Ein junger Mann aus dem Schloss, wo einige Behinderte eine schöne Unterkunft gefunden haben, dirigierte die Jodlerinnen und Jodler, und auch wenn er in seinem Rausch der Klänge das Tempo der bedächtigen Gesänge deutlich überholte – die Sänger liessen sich nicht aus der Ruhe bringen, Sturmfestigkeit beweisend.
 
Mit dem erwähnten Jodler unterhielt ich mich über die Neubelebung der Volkskultur – Jodelgesänge, Ländler und faire Sportarten wie das Schwingen erleben in der Schweiz eine neue, ungeahnte Blütezeit. Die Amerikanisierung der Schweizer, um die sich vor allem die elektronischen Medien mit so viel Hingabe seit Jahrzehnten bemüht haben (und es noch immer tun), hat ihren verdienten und hoffentlich endgültigen Schiffbruch erlitten. Es spricht sich langsam herum, dass man nicht nur in englischer Sprache Songs von sich geben kann. Das stimmt zuversichtlich. Hoffentlich schnallen das auch die Musikverantwortlichen von Radio DRS 1, die schliesslich allmählich ihr kulturelles Krabbelalter-Niveau überwinden und aus dem Mainstream auftauchen müssten, bevor sie darin untergehen.
 
Von einer provisorischen Bühne ertönte vertraute Unterhaltungsmusik mit „Pit Sound“, wie es im Programm hiess, hervorgezaubert von einem Alleinunterhalter, der von einem ganzen elektronischen Orchester untermalt zu sein schien, und der versuchte, den Publikumsgeschmack zu treffen.
 
Auf dem Rütli am Urnersee, wo 1291 einige Rebellen die Schweiz gegründet hatten, war wenige Stunden vorher die nachmittägliche Bundesfeier ins Wasser gefallen. Ein böses Gewitter war losgebrochen, um die Politiker aufzurütteln: Tragt zur Schweiz Sorge – mit Taten, nicht mit hohlen Sprüchen, die gleich zur Makulatur verkommen. In Biberstein waren solche meteorologischen Sturmzeichen unnötig. Entgegen der offiziellen Wetterprognose war der Abend mild und trocken, so weit er für die Bundesfeier benötigt wurde. Man soll ja auch den Wetterpropheten nicht alles glauben, und mögen sie ihre Fehlprognosen noch so apodiktisch vortragen.
*
Wie gesagt: Sie haben dieses Blog auf eigenes Risiko gelesen. Passiert ist nichts, nicht einmal ein bodenständiges Gewitter. Das war eine landesübliche Bundesfeier mit ein paar unbedeutenden Besonderheiten, die sie dennoch unverwechselbar machen.
 
Am Weiterbestand der Schweiz hat sie nichts verändert. Abgesehen vom Aufwecken von etwas Zuneigung zu überlieferten Werten.
 
Es wäre falsch, das gering zu schätzen.
 
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