BLOG vom: 11.08.2008
Vom Bänkerjoch zur Wasserflue: Viel Asche auf dem Haupt
Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
Vom Küttiger Oberdorf aus sieht die Wasserflue wie eine Bergspitze aus, die etwas nach Osten abgebogen ist. Sie ist in einen Laubwald eingehüllt, der im obersten, fast senkrecht abfallenden felsigen Teil nur schwer Wurzeln schlagen konnte; bloss einigen Bäumen ist es gelungen, hier Wurzeln zu schlagen. Das stotzige Gebiet gehört zum Waldreservat Egg-Königsstein, das auch den Brunnenberg westlich der Bänkerchlus einschliesst. In etwa 250 m Distanz vom Wasserflue-Aussichtspunkt, wo auch die Triangulationsmarkierung (843 m ü. M.) ist, befindet sich westwärts ein grosser Sendemast für Radio, Mobiltelefonie und Fernsehen, welcher innerhalb dieser gebirgigen Unförmigkeit die Vertikale markiert. Wie früher die Kirchen, suchen sich heute die Sendemasten die besten Aussichtslagen aus.
Im Blog vom 23.02.2007 „Benkerjoch, Wasserflue: Barock geformte Weltverlorenheit“ habe ich dieses Gebiet, das zu den Gemeinden Küttigen und Oberhof gehört, ausführlich beschrieben, insbesondere den Aufstieg auf diesen Juragipfel vom Weiler Hard in Erlinsbach AG (675 m) her. Man erreicht diesen über die Passstrasse Erlinsbach‒Salhöhe (779 m): Wer mit dem Auto kommt, kann dieses auf dem Parkplatz bei einer Spitzkehre am Südhang unterhalb der Passhöhe loswerden.
Am Sonntagnachmittag, 03.08.2008, kundschaftete ich eine andere, für mich neue Route zum Wasserflue-Gipfel aus, nämlich jene vom Bänkerjoch (Benkerjoch) aus. Dies ist ein anderer Juraübergang, der seinen Anfang in Küttigen nimmt, an der Papiermüli vorbei durch die Bänkerchlus und dann nordwärts zwischen Brunnenberg und Achenberg (Acheberg) dem Fischbach entlang und anschliessend durch einen fast reinen Buchenwald hinauf aufs Benkerjoch (674 m) führt. Auch ein Postauto absolviert diese Strecke (Verbindung Aarau‒Oberhof‒Frick). Die Strasse ist 1977 komfortabel ausgebaut worden; das Verkehrsaufkommen ist eher bescheiden.
Auf dem Benkerjoch stehen grosse ACS/TCS-Parkplätze, eine Wanderkarte, deren Plastikfolie etwas gelitten hat, und ganze Büschel von gelben Wanderwegweisern zu Diensten, wovon einer mit „Wasserflue 1 Std.“ beschriftet ist und nach Westen zeigt. Und man erfährt auch, dass man 1 Std. 50 Min. von der Salhöhe entfernt und der Hund Phuri, ein schwarzer Tibet-Terrier, entlaufen ist. Ob das aus politischen Gründen geschah, ist nicht auszumachen.
Der Wanderweg von Benkerjoch zur Wasserflue ist zuerst ein ziemlich steil ansteigendes Landwirtschaftssträsschen, das dem Waldrand entlang führt, und wo ich noch eine Waldhimbeeren-Spätlese vornehmen konnte. Die Brombeeren hatten die Zeit der Reife noch nicht erreicht und ihre Kraft vor allem im Ausbau ihres dornigen Rankenwerks verpufft. Dafür blühten die Wegwarten und Johanniskräuter. Weiter oben, bei der Schwäfelschür (Punkt 749), endet der Wald, und die Strasse verzweigt sich. Landwirtschaftsflächen tun sich zwischen Sommerholden und Egghalden auf; die Pilgerhöf und die Salhöf haben sich hier etabliert. Zwischen auslaufenden Waldbeständen wird noch ein Blick zur Telli-Überbauung in Aarau freigegeben, und der südwestliche Schwarzwald liegt ebenfalls offen da. Etwas tiefer unten nährten sich robuste Highland Cattles (Schottische Hochlandrinder), die noch richtige, seitlich abstehende Hörner tragen dürfen, von einer saftigen Wiese.
Ich schickte mich nun an, auf einer zuerst abwärts führenden Mergelstrasse die Wasserflue im Gegenuhrzeigersinn zu umrunden, vorbei an Ebereschen (Wilden Vogelbeeren) mit ihren knallig roten, Vitamin-C- und Karotin-haltigen Früchten, Lärchen und Linden und anderen Bäumen auf Hügeln. Im feinen Kalkbelag des Wegs wuchs eine Kamille heran – als ob in dieser Einsamkeit noch Beruhigungsmittel nötig wären. Hier war ich voll der Sonne ausgesetzt und freute mich, dass der Weg nach etwa 500 m dem kühlen Egghalden-Wald zusteuerte, wo einige Maschinen wie Heuwender am Schatten die Sonntagsruhe genossen haben.
Die Aargauer Wanderwege haben auch im Wasserflue-Umfeld einwandfreie Arbeiten geleistet. Der Weg zum Aussichtspunkt ist durchgehend bestens markiert und kann nicht verfehlt werden. An einer Feldwegkreuzung („Egghalden 720 m“) ist wieder das ganze gelbe Wegweiser-Sortiment aufgetürmt, und man liest hier, dass es zum Aussichtspunkt Wasserflue noch 35 Minuten dauern werde.
Die verlorene Höhe muss jetzt wettgemacht und sogar noch aufgestockt werden. Man zweigt nach einer scharfen Linkskurve von der Waldstrasse nach rechts in den Wald hinein ab. Der bescheidene Waldweg steigt zielstrebig an. Er wird zur Treppe mit langgezogenen Stufen. Die quer im Boden verankerten Eichenbalken sind mit einem Netz aus schrägen Kerben versehen, einem Autopneu ähnlich, damit der Wanderer weniger Gefahr läuft, auszurutschen. Ein Wanderweg-Service von der vorbildlichen Art. Wenn dann diese Treppe endlich aufhört, ist man auf der Krete mit ihren Höhe- und Tiefpunkten, auf der man dem Wasserflue-Gipfel zusteuert. Der Wanderweg verläuft oft etwas südlich unter der Krete, damit die Absturzgefahr gegen den Nordhang vermindert wird.
Dieser Weg erfordert die gesamte Aufmerksamkeit; man muss immer darauf achten, wohin man seine Füsse setzt. Denn die Jurakalksteinschichten sind hier meist schräggestellt, und zwischen den einzelnen aus dem Boden ragenden Steinen sind V-förmige Vertiefungen ohne jede Regelmässigkeit eingefügt. Dazwischen hat sich das Wurzelwerk der Bäume durchgearbeitet, und dazu kommt das ständige topografische Auf und Ab. Die Fussgelenke werden nach allen Seiten gebogen und wunderbar gelockert. Besonders unförmig ist der Weg zwischen Antenne und Aussichtspunkt. Zahlreiche Grenzsteine haben sich hier eingefunden.
All die kleinen Mühen lohnen sich. An jenem Sonntag war die Sicht bis kurz vor die Alpen strahlend klar; die Alpen selber waren praktisch unsichtbar. Am gegenüberliegenden Brunnenberg war eine grössere Erdrutschstelle auszumachen. Ansonsten waren die Juraketten unversehrt, der Blick gegen den Schwarzwald mit Feldberg und Habsberg hinter dem Wölflinswiler Strihen ohne Fehl und Tadel, und unten zeigte sich im Detail, wie das Aaretal (im Vordergrund Küttigen und Aarau) mit Bauwerken aller Art allmählich aufgefüllt wird. Dahinter waren Rossberg, Lindenberg, Hallwilersee, Rigi und Tödi auszumachen. Auch der Engelberg vor dem Wildhorn VS und Gantrisch war da, und hinter dem Säli und dem Born hatten sich Moléson und La Dôle aufgebaut.
Auf dem Sendemast ist eine Schwenkkamera angebracht für alle jene, welche die Aussicht lieber am Bildschirm geniessen wollen: www.wasserflue-aarau.ch. Die Webseite ist mit hervorragenden, beschrifteten Panoramazeichnungen ausstaffiert, und bei diesigem Wetter weiss man dann, was man verpasst hat. Die Kamera an der Wetterscheide zwischen Mittelland und Fricktal/Rheintal leistet wirklich gute Dienste. Sie bietet jederzeit Entscheidungsgrundlagen, je nachdem, ob man von der Sonne beschienene Landschaften oder stimmungsvolle Nebellagen aufsuchen möchte.
Auf dem Aussichtsgipfelpunkt lag eine dicke Asche-Schicht, und es drängte sich die Frage auf, ob sich die Wasserflue wohl Asche aufs Haupt gestreut habe. Aber sie hatte nichts zu bereuen, nicht einmal die vom Feuer angesengten Haselnussbüsche, die dort aus Gründen der freien Sicht ohnehin nicht toleriert werden können. Die Asche war die Hinterlassenschaft des Höhenfeuers, wie es hier oben alljährlich entfacht wird, um dem In- und Ausland in Erinnerung zu rufen, dass die Schweiz gerade Geburtstag feiert. 1291 hat die Erfolgsgeschichte angefangen.
Das Aussichtsplateau ist von einem schützenden Hag umgeben. Dahinter ist noch etwas Fels, und dann geht es im Norden, Osten und Süden senkrecht in die Tiefe. „Du, Papi, bricht dieser Stein ab, wenn ich darauf stehe?“, fragte ein Mädchen, das von seinem Vater soeben in die Schönheit des Rundblicks eingeweiht worden war. „Ja“, antwortete dieser aus Gründen der Unfallverhütung, „aber wohl kaum alles“, fügte er beruhigend hinzu. Und der jäh abfallende Felskopf hielt, wie immer.
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