BLOG vom: 19.09.2008
Wirtegeschichten (VI): „Diebische Elster“, geiziger Professor
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
Eine Wirtin aus dem Landkreis Lörrach D, die mir gut bekannt ist, war 7 Jahre im „Schlössle“ in Laufenburg (1994‒2001) tätig. An einem ruhigen Nachmittag erzählte mir die agile, freundliche und sich für die Gäste aufopfernde Frau, schier unglaubliche Dinge aus ihrem langen Leben als Serviererin, Wirtin und Gesellschafterin.
Der Koch hatte keine Lust mehr
Die folgende Geschichte stammt aus der Zeit, als meine Bekannte als Serviererin in einer grösseren Gaststätte wirkte. An einem Sonntag war eine Gesellschaft angesagt. Der Koch war auf panierte Schnitzel eingestellt. Nur eine Dame wollte einen Sonderwunsch, nämlich Schnitzel natur. Als die Frau dem Koch diesen Wunsch mitteilte, bekam dieser einen Wutanfall, schleuderte ein Schnitzel auf die Herdplatte, dann auf den Boden und anschliessend mit der Bemerkung „Nun hat sie ein Schnitzel natur“ in die Pfanne.
In ihrem Landgasthof hatte sie es mit einem krankhaft nervösen Koch zu tun. Immer, wenn eine grössere Gruppe auftauchte und speisen wollte, wurde er unruhig, lief wie ein gehetzter Hund durch die Küche. Er war völlig aufgelöst. Als an einem Silvesterabend 90 Personen auftauchten, streikte der Koch, verliess die Küche und setzte sich regungslos hin. Die Wirtin musste eine neue Speisekarte schreiben. Auf dieser waren nur 4 Gerichte. Mit Hilfe der Bedienungen konnte sie dann doch noch alle Gäste zufrieden stellen. Anschliessend wurde der Koch gefeuert.
Der überforderte Koch zeichnete sich ab und zu durch Scherze der besonderen Art aus. So schmuggelte er einmal eine scharfe Peperoni in die grünen Bohnen. Die Gäste hatten an diesem Tag Tränen in den Augen. Nicht vor Rührung, sondern als Reaktion auf die ungewöhnliche Schärfe.
Einige Zeit hatte die Gastgeberin mit einem elsässischen Armeekoch zu tun. Er konnte kein frisches Gemüse zubereiten, da er immer Dosengemüse für die Soldaten verwendete. Sie musste ihm genau zeigen, wie frisches Gemüse zubereitet wird. Ein anderer Koch stand ebenfalls mit dem Frischgemüse auf Kriegsfuss. Als er seine Stelle antrat, hatte er schon den Kosenamen „Dosen-Günter“. „Am liebsten hätte er die geöffneten Dosen auf der Herdplatte erwärmt“, so die Wirtin. Auch ihm trieb sie diese für das Geschäft wenig förderliche Eigenschaft aus.
Geiziger Professor
Ein Familienfest bei einem Laufenburger Professor war angesagt. Es wurde ein Essen für 4 Personen und 4 Kinder bestellt. „Sie brauchen nichts Ungewöhnliches machen, wir sind einfache Leute“, meldete sich der Professor, der als Lehrer in einer Fachschule wirkte. Die Gastgeberin schlug Wild mit Spätzle vor. Der Lehrer war einverstanden, dann fragte er, wie viel er für die Kinder zahlen müsse. „Für Kinder den halben Preis“, war ihre Antwort.
Am Tag des Festes tauchte der Professor mit Anhang auf und verzehrte die köstlichen Speisen. Als Lore die Rechnung brachte, stutzte der Gast und reklamierte diese. „Hier kann etwas nicht stimmen, Sie haben für die Kinder den vollen Preis berechnet.“
Die Wirtin erwiderte, sie sehe keine Kinder. Dann deutete der Professor auf die „Kinder“ – das jüngste war vielleicht 21 Jahre ‒ und meinte: „Das sind meine Kinder!“
Er bestand hartnäckig auf dem ausgehandelten halben Preis. Dann bemerkte er noch mit stolzgeschwellter Brust: „Sie wissen gar nicht, wer ich bin!“ Die Wirtin wurde sehr ungehalten, verkniff sich jedoch die Bemerkung: „Hauen Sie ab, Sie brauchen nichts zu bezahlen.“ Dann fasste sie sich wieder einigermassen und meinte im höflichen Ton: „ Ziehen Sie ab, was Sie möchten.“ Der Geizkragen nahm die Rechnung und teilte den Preis für die „Kinder-Mahlzeiten“ durch 2. Er zahlte, gab keinen Pfennig Trinkgeld und rauschte mit Anhang aus dem Laufenburger Schlössle. Die Begebenheit verbreitete sich in ganz Laufenburg, und noch lange war diese Unverschämtheit Tagesgespräch.
„Diebische Elster“
Ein Mitglied einer Frauengruppe entpuppte sich als „diebische Elster“. Beim allgemeinen Aufbruch beobachtete die Wirtin, wie eine Frau die nicht billige Keramikvase mit Biedermeierstrauss vom Tisch nahm und unter ihren Mantel versteckte. Beim Abschied streckte die Diebin ihre Hand frech Lore entgegen. Meine Bekannte übersah diese, griff blitzschnell mit ihrer Hand unter den Mantel der Frau und zog die Vase samt Strauss hervor. Die Frau war so perplex, dass sie ohne Kommentar das Weite suchte. Auch die Wirtin sagte kein Wort.
An einem anderen Abend war eine ältere Männergruppe in ihrer Wirtschaft in Huttingen. Es wurde ausgiebig gezecht und manch eine Rede geschwungen. Als auch die letzten Gäste verschwunden waren, fiel Lore auf, dass 11 Bestecke fehlten. Sie dachte sich, die Diebe könnten nur aus der Männergruppe stammen. Als einige Tage darauf wieder die Gruppe auftauchte und altes Besteck auf dem Tisch lag, meinte einer: „Habt ihr kein neues Besteck?“
Die Gastgeberin entgegnete schlagfertig: „Nein, man kann es nicht mehr ergänzen!“
Es ist unglaublich, was in Wirtschaften gemopst wird. So nahmen im Laufenburger Schlössle Langfinger 2 Figuren von einem sehr alten Schachbrett mit. Die Figuren waren unersetzlich. Nachbildungen dieser Figuren hätten zu jener Zeit über 1000 DM gekostet.
Unwirsche Ehehälfte
Nach einer Besichtigung des Zimmers im Laufenburger Schlössle beschwerte sich eine Dame, dass auf ihrem Zimmer kein Telefon und kein Fernseher seien, ausserdem gebe es nur kaltes Wasser. Die damalige Wirtin ging an den besagten Ort und fand den von der Frau übersehenen Fernseher, dann drehte sie am Wasserhahn. Tatsächlich floss am Hahn mit dem roten Punkt kaltes Wasser heraus. Die Wirtin testete den anderen Hahn mit dem blauen Punkt ‒ und siehe da, es kam heisses Wasser zum Vorschein. Wie sich später herausstellte, hatte der Monteur die Hähne falsch montiert. Da im Zimmer wirklich kein Telefon war, meinte Lore, sie könne jederzeit von ihr ein Handy bekommen.
Ursprünglich wollte die Frau mit ihrem Ehemann nur eine Nacht bleiben, dann entschlossen sie sich, doch länger hier zu weilen. Die am Vortage so unwirsche Frau entschuldigte sich vielmals. Sie hätten eine anstrengende Reise hinter sich gehabt, und sie wäre übernervös gewesen. Die „Liebe“ ging dann so weit, dass die Frau ihr zu Weihnachten einen netten Brief schrieb.
„Wir bleiben hier!“
2 Wanderpärchen, die sich kurz vorher auf dem Westweg Pforzheim nach Basel kennen gelernt hatten, rasteten in einem Huttinger Gasthaus. Nachdem sie einige Biere intus hatten, meinte einer: „Wir bleiben hier!“ Allerdings war kein Zimmer mehr frei. Dann meinten die „glorreichen Vier“, sie könnten ja auch auf Matratzen in der Wirtschaft oder in einem Schuppen nächtigen. Dies schlug die Wirtin jedoch aus. Sie könnten höchstens eine kleine Kammer mit 2 auseinander stehenden Betten haben. Sie würde dann in die Besucherritze, den Zwischenraum zwischen den Betten, 2 Matratzen legen.
Am nächsten Tag wollte die Gastgeberin die Betten neu herrichten, bemerkte aber eine Unberührtheit dieser Liegestätten. Die Matratzen dagegen waren benutzt. Als sie die am Frühstückstisch sitzenden Gäste fragte, wo sie denn geschlafen hätten, meinte einer: „An der Wand im Stehen.“ Im Gästebuch wurde folgendes eingetragen:
„Es kamen vier Wanderer aus Mauchen, die konnten kaum mehr krauchen. Im Landgasthaus zum Rebhang machten wir die Beene lang. In einem Bett zu Viert – es hat sich wirklich keiner verirrt.“
Nach diesem intensiven Kennenlernen wollten die Vier die Reststrecke nicht mehr zu Fuss bewältigen, sondern fuhren wohl nach Hause.
Durchs Fenster ins Freie
Immer, wenn unsere Wirtin Brötchen beim Bäcker holt, schliesst sie den Haupteingang ihrer Gaststätte ab. Dies tut sie auch, wenn Gäste im Hause nächtigen, denn nach 10 Minuten ist sie ja wieder zurück. Eines Tages hatte sie jedoch sehr schnelle Gäste, die ihre gepackten Koffer unbedingt schon vor dem Frühstück ins Auto befördern wollten. Aber, oh weh, die Tür war zu, was tun? Es blieb nur der Weg über das Fenster. Die Wirtin bekam ihr Fett mit einem Eintrag ins Gästebuch ab. Ein Schreiber verewigte sich wie folgt: „Hier geht die Gastfreundschaft so weit, zum Hereinkommen ist die Tür immer offen, aber beim Hinausgehen muss man durchs Fenster!“
„Dem Pfaffen verbieten...“
Am 30. August 2003 kann man folgenden Eintrag im Gästebuch lesen: „Es war hier sehr gemütlich, das Essen lecker und die Bedienung freundlich... Aber dem ,Pfaffen’ sollte man verbieten, morgens um 6 Uhr schon seine Glocke zu läuten.“
Durchnässtes Paar
Die wahre Gastfreundschaft zeigt sich dann, wenn Gäste mit ungewöhnlichem Aussehen oder völlig durchnässt eine Wirtschaft aufsuchen und freundlich hereingebeten werden. Dieses Erlebnis hatte auch ein Freiburger Arztehepaar, das völlig durchnässt im Eingangsbereich zur Gaststube in Höhe der Bar stehen blieb und sich umsah. An diesem Tag waren alle Plätze belegt. „Kommen Sie nur rein und trocknen Sie sich ab. Wir finden schon ein Plätzchen“, bemerkte unsere Wirtin. Die Frau war völlig aufgelöst und hatte Tränen in den Augen. Dann erfuhr Lore, dass das nasse Ehepaar in einer anderen Wirtschaft abgewiesen wurde, obwohl genügend freie Plätze vorhanden waren. Die Inhaber dieses gastronomischen Betriebes haben wohl noch nicht begriffen, dass der Kunde König ist. Sie brauchen sich dann nicht zu wundern, wenn die Umsätze rückläufig sind.
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