Textatelier
BLOG vom: 29.09.2008

Katastrophen-Kapitalismus, Schocktherapien, Biedermänner

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Wie in der Genesis, dem 1. Bibel-Buch über die Erschaffung der Welt, nachzulesen ist, war die Schöpfung alles andere als ein Meisterwerk, wohl eher ein Pfusch, jedenfalls was die Menschen anbelangte. Ansonsten hätte Gott wohl nicht also zu Noah gesprochen (1. Mose 6, 13): „Das Ende alles Fleisches ist bei mir beschlossen, denn die Erde ist voller Frevel von ihnen; und siehe, ich will sie verderben mit der Erde.“ Noah musste einen Kasten aus Tannenholz für die „reinen und unreinen Tiere“ machen, und dann war alles für die Sintflut bereit, die den ganzen Schöpfungsschrott hinweg zu fegen hatte (7, 21): „Da ging alles Fleisch unter, das sich auf Erden regte, an Vögeln, Vieh, an wildem Getier und an allem, was da wimmelte auf Erden, und alle Menschen.“
 
Dieser gigantische Befreiungs- und Terroranschlag im Interesse des Ausmistens gehört zu den Grundlagen der jüdisch-christlichen Werte, zum Religionsfundament. Selbstverständlich wird man mir eintrichtern, das alles sei nur gleichnishaft zu verstehen, was ich bei der mir anerzogenen Gutmütigkeit gelten lassen will. Doch gestatte man mir immerhin die Frage, ob denn auf solch einer Grundlage am Ende etwas Vernünftiges herausschauen könne. Ich stellte diese Frage bloss, weil ich die Antwort gleich selber geben möchte: Nein.
 
Die Erde ist nach wie vor voller Gewalttaten. Sie nehmen ständig zu, über die Kriege hinaus zu Wirtschaftskriegen, bestehend aus hinterlistigen Plünderungen und zu Psychoterror, den man jetzt gerade Mobbing nennt, eine Sündenflut, weil die Sintflut offensichtlich nichts nützte. Nun mag man natürlich mit einem gewissen Recht einwenden, das habe es doch schon immer geben, zumal sich die Menschen schon ganz am Anfang der Bibel zu erschlagen begonnen haben und der Bibelgott ja vorgemacht habe, wie man durch Massenmorde mit Missratenem aufräumen kann.
 
Die jüngsten, auf Plünderung ausgelegten US-Kriege in Afghanistan und im Irak können als Folge dieses Denkens ausgelegt werden. „Die Invasion im Irak (2003) markierte die grausame Wiederkehr der alten Techniken des Kreuzzugs für den freien Markt – die Zufügung des denkbar grössten Schocks, der alle Hindernisse für den Aufbau des Modells eines ungestört korporatistischen Staates mit Gewalt beiseite fegen sollte.“ Dies schreibt die Kanadierin Naomi Klein (*1970), die in Toronto lebt, in ihrem Buch „Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus“, erschienen bei S. Fischer, Frankfurt 2007. Ich habe das Buch über die Krisendoktrin der Weltregierung in den letzten Tagen gelesen.
 
Bemerkenswert ist Naomi Kleins zutreffende Beobachtung, dass Katastrophen und Krisen ausgenutzt werden, um voranzukommen, was mit anderen Worten heisst, dass sie wesentliche, unabdingbare Antriebskräfte der neoliberalen Globalisierung sind. Und somit wird denn Schock-Strategien durch Einsatz unverhohlener oder versteckter Gewalt ermöglicht, im Krankheitssektor etwa durch das Aufbauschen von Zivilisationsseuchen wie Aids (als Sammelbegriff für eine Serie von Immunschwächekrankheiten, der man mit Kondomen begegnen will …) oder der Vogelgrippe, neben vielen anderen. Wenn alle diesbezüglichen Prophetien eingetreten wären, würden wir seit Jahren nicht mehr leben. An tatsächlichen Bedrohungen ist die Kriegsmacht USA mit Abstand die grösste, auch wenn der Westen gerade wieder mit dem Aufbau des Feindbilds Russland begonnen hat. Und überall auf der Welt werden Unruhe und Zwietracht geschürt. So schufen zum Beispiel die Angriffe der US-gelenkten Nato auf Belgrad (1999) „die Voraussetzungen für rasche Privatisierungen im ehemaligen Jugoslawien – ein Ziel, das schon vor dem Krieg feststand“ (Klein), nach bewährtem Muster, das immer wieder aus der Mottenkiste geholt wird.
 
Mit dem ständig neu erzeugten Pulverdampf können die typischen neoliberalen Forderungen (Privatisierung, Deregulierung und tiefe Einschnitte bei den Sozialausgaben und bei der Bildung – verdummte Menschen sind einfacher regierbar) vernebelt werden. Weil so etwas bei allen Völkern unpopulär ist und selbst die Mainstreammedien mit ihren Helfershelferdiensten unter Glaubwürdigkeitsverlusten nicht so richtig weiterkommen, wurde „dasselbe ideologische Programm mit den denkbar schlimmsten Zwangsmassnahmen durchgesetzt: unter militärischer Besatzung nach einer Invasion oder unmittelbar nach einer Naturkatastrophe. Der 11. September (2001) schien Washington grünes Licht gegeben zu haben, Länder gar nicht mehr zu fragen, ob sie die amerikanische Version von ,Freihandel und Demokratie’ überhaupt haben wollen, sondern sie ihnen mit militärischer Gewalt, mit Schock und Entsetzen einfach aufzuzwingen.“ Diese fundamentalistische Form von Kapitalismus habe schon immer Desaster gebraucht, um voranzukommen, schrieb Klein. Und wenn sie sich nicht von selbst einstellen, hilft man eben etwas nach.
 
Beim Lesen des Buchs von Naomi Klein, das einen schockieren würde, hätte man nicht alles selber bereits beobachten können, kommt man heute nicht um eine thematische aktualisierende Ausweitung der Aussagen auf die Finanz- und damit die Wirtschaftswelt herum. Denn mit der von den USA zweifellos durch eine jahrelange, masslose Schuldenwirtschaft – ein Leben weit über die eigenen Möglichkeiten hinaus – zweifellos willentlich herbeigeführten Finanzkrise – es gab keine Ansätze, sie zu verhindern – handelt es sich um einen neuen Schock, den gerade jüngsten, der die hereingefallenen Traumatisierten veranlassen wird, die angestrebte Durchregulierung der Finanzmärkte und damit der Wirtschaft im US-amerikanischen Sinn und Geist und zum Nutzen der USA gedanken- und kritiklos hinzunehmen.
 
Ein verhältnismässig geringfügiges Musterexemplar lieferten die Schuldenkrisen in Südamerika und Afrika in den 1980er-Jahren, die viele Länder zwangen, entweder zu privatisieren oder zu sterben. Im Klein-Buch heisst es dazu: „Von einer Hyperinflation gebeutelt und in der Regel zu verschuldet, um Bedingungen ablehnen zu können, an die Auslandskredite geknüpft waren, akzeptierten die Regierungen eine ,Schockbehandlung’, die ihnen versprach, vor noch schlimmeren Katastrophen bewahrt zu werden.“
 
Das ist genau wieder die Tonart, auf welche die selbst ernannten „Retter“ der gegenwärtigen, von hinterlistigen Gaunereien verursachte weltweite Bankenkrise (eine Weltwirtschaftskrise) die Massen einstimmen: Das Volk müsse bezahlen (in den USA sollen es 700 Milliarden USD sein), damit alles nicht noch schlimmer komme und die Bankenpleiten in Serie abgestoppt werden könnten. „Der Markt funktioniert nicht mehr, wie er soll“, las Präsident George W. Bush von einem Blatt ab, womit er wenigstens zugab, dass die Idee von der Selbstregulation des Markts eine Illusion war. Aus diesem Grund müsse sich der Kongress jetzt in den Markt einschalten und zwar schnell, sagte der Grosse: „Sonst steht uns eine lange und schmerzhafte Rezession bevor.“ Die hat er ja schon. Und weiter: „Die Werte privater Rentenversicherungen würden verfallen, ebenso die Immobilienpreise. Millionen Amerikaner könnten ihre Jobs verlieren und selbst Leute, die kreditwürdig sind, könnten zunehmend Schwierigkeiten haben, Geld für ein neues Auto oder ein Universitätsstudium aufzunehmen.“ Unglaublich. Davon, dass man ja zuerst auch einmal sparen könnte, bevor man ein neues Auto kauft, hat Bush wohl noch nie gehört.  Die Ausgabenorgie auf Pump geht bei Privaten und beim maroden Staat weiter.
 
Inzwischen leben die Amerikaner also weiterhin über ihre Verhältnisse, was niemanden ausser mich zu ärgern scheint, sondern wie ein Naturereignis hingenommen wird. Alle plappern nach, es gelte nun wieder Vertrauen in die Finanzmärkte zu schaffen. Auf dass – und das wird nicht gesagt – die faulen, zum Himmel stinkenden wertlosen Papiere, die ja nicht aus der Welt geschafft sind, sondern weiterhin herumgeschoben werden, den Anlegern wieder angedreht werden können.
 
Für mich besteht diesbezüglich keine Gefahr; ich setze mich genügend ins Bild, um solchen Schlaumeiereien ausweichen zu können. Ich meide alle Papiere, die mit Dollars oder den USA zu tun haben, konsequent, wie seit je. Was aber auch mich wie jedermann betreffen wird, sind die Auswirkungen der sich abzeichnenden globalen Spielregeln für Handels- und Währungspolitiken. Das tönt zwar auf den ersten Blick nicht schlecht – wer hat denn etwas gegen die Unterbindung wenigstens der übelsten Auswüchse der von den USA vorgemachten, raffgierigen Abzockermentalität? –, doch das grosse Elend wird daher rühren, dass die neue Weltwirtschaftsordnung wie die bisherige wieder von den USA bestimmt und ihren eigenen Interessen dienen wird, eine Fortschreibung der Globalisierungskatastrophe. Und die einzigen, die sich nicht daran halten werden, werden wieder die Amerikaner sein, wie bei den ständigen Verletzungen der WTO-Spielregeln – die Welthandelsorganisation ist eines der Unterjochungswerkzeuge der USA. Im Moment wird gerade die desolate US-Autoindustrie, die den Erdölumsatz ankurbelte und nichts von Sparautos hielt, mit einem milliardenschweren Hilfspaket vom Staat wettbewerbsverzerrend unterstützt. So etwas dürfte sich kein anderes Land leisten. Es würde mit Handelsboykotten fertig gemacht.
 
Dass die grosse Mehrheit wieder, wie es die schöne Tradition will, auf all die Machenschaften rund um die US-Finanzkrise hereinfallen wird, hat sich bereits bei den bisherigen Diskussionen deutlich abgezeichnet: Kaum jemand schiebt die Schuld auf die Täterschaft, ja Amerika wird, ganz im Sinne des abgetakelten Präsidenten George W. Bush, sogar noch für das forsche Eingreifen gelobt, für diese jüngste Schocktherapie, die selbst in Amerika umstritten ist und deren Details zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Zeilen noch unbekannt sind. Das Parlament hat sich erst auf die Grundzüge der Aktion geeinigt. Die Details folgen später.
 
Die Börsianer in aller Welt hatten zu Beginn der Fahrt ins Blaue rund um die Milliardenspritze etwas voreilig gejubelt, und sie mussten anschliessend zusehen, wie sich die Demokraten mit den Republikanern über das milliardenschwere Paket, über das so genannte „Rettungspaket“, in die Haare gerieten, während die Sparkasse Washington Mutual zusammenbrach und in JP Morgan Chase aufging – ein weiterer Schritt im Rahmen der plattwalzenden Globalisiererei. Und ein Fernsehduell Barack ObamaJohn McCain, vom SF DRS mitten in der Nacht zum Samstag, 27.09.2008, unterwürfig live übertragen, zeigte mehr die Freude McCains am Kriegsführen als es Ideen für wirkliche Lösungen für das Finanzdebakel hervorbrachte. Solche Shows sind einfältig genug, um von den eingebetteten Medien in allen angepassten Ländern als besondere Sensationen präsentiert zu werden.
 
Mit der Finanzkrise haben wir jetzt also wieder ein besonders prächtiges Exemplar von einem Schock, der systemgerecht dazu dienen wird, neue US-Machtmittel zu etablieren, die unter ehemals normalen, friedlichen Zuständen nie durchzusetzen gewesen wären. Und es muss wie immer schnell gehen, so lange die Geisteslähmung bei den Traumatisierten anhält. Die Welt wird einmal mehr nicht in der Lage und nicht willens sein, sich gegen den US-Terror zu wehren. Wiederum werden die Länder ihren Anteil zur Finanzierung der exorbitanten US-Verschwendsucht leisten und sich der Herrschsucht des erwählten Volks unterwerfen. Wie gelähmt, ja sogar mit Bewunderung schaut die weich geklopfte Bevölkerung zu, wie sie ausgerechnet von der USA „gerettet“ wird. Sie sieht, wie der Brandstifter höchstpersönlich den Brand dazu benützt, sich als Held feiern zu lassen, in dem er symbolisch einen Kübel Wasser ins Feuer wirft. Und nebenher arbeitet er ein neues Reglement aus, das den Brandstiftern Straffreiheit garantiert und allen Feuerwehren dieser Welt vorschreibt, wie sie den Pyromanen zu dienen haben. „Der Spiegel" schrieb gerade, US-Finanzminister Henry Paulson, der die Banken gewähren liess, arbeite daran, nicht die Gier, aber den Galgen zu beseitigen.
 
Getreu Max Frischs Burleske „Biedermann und die Brandstifter“ erleiden wir wie der Protagonist Biedermann aus Dummheit, Verblendung und Feigheit ein trauriges Schicksal. Biedermann tritt aus Angst vor den Konsequenzen nicht gegen die Brandstifter an, denen er auf dem Estrich Unterschlupf und selber noch die verlangten Streichhölzer gibt. Er will es mit ihnen nicht verderben, hat Angst vor den Mächtigen, ist ihnen zu Diensten, verschliesst die Augen aus Konformität. Weil er sich so nett verhält, denkt er, ihm könne nichts passieren. Seine Schwäche wird ihm zum Verhängnis. Er und seine Frau finden sich in der Hölle wieder.
 
Das war laut Frisch ein „Lehrstück ohne Lehre“. Richtig: Wir weigern uns standhaft, etwas zu lernen, fallen auf jeden faulen Trick herein, selbst wenn wir ihn längst durchschaut haben. Und man wird es wieder tun.
 
Nachtrag vom 30.09.2008
Das US-Abgeordnetenhaus hat das 700-Milliarden-Hilfspaket, das als gegeben angekündigt worden war, mit 228 Nein gegen 205 abgelehnt. Solch ein Tagesverlust kennt die ganze Börsengeschichte nicht. Der Dow-Jones-Index verlor daraufhin 6,9 und der Technologieindex Nasdaq mehr als 9 %. Die Brandstifter bleiben auf freiem Fuss.
 
Zuerst wird bis zum Sonnenuntergang des 1. Oktober das jüdische Neujahr (Rosh Hashanah) gefeiert, und dann endlich können neue Wassereimer zum Löschen des Grossbrands gesucht werden. Der erste Teil des alten Sprichworts „Verkaufe am Rosh Hashanah und kaufe am Yom Kippur“ wurde diesmal übertrieben exakt eingehalten…
 
Buchhinweis
Hess, Walter, und Rausser, Fernand: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com GmbH, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7. CHF 37.20, EUR 24,10.
 
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