Textatelier
BLOG vom: 25.10.2008

Hochschwarzwald: Was zu Saig und Umgebung zu sagen ist

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Kennen Sie Saig im Hochschwarzwald? Als uns Brigitta und Bernhard Schindler zu einem Besuch in ihr dortiges Ferienhaus einluden, hörte ich das erste Mal davon. Und da ich darnach trachte, meine noch immer unzureichenden Geografie-Kenntnisse zu verbessern, kam mir dieser Vorschlag ganz gelegen.
 
So setzten wir uns denn am frühen Morgen des 15.10.2008 ins Auto, folgten dem Aarelauf über Brugg hinunter zum Rhein, welchen wir bei Waldshut überquerten, vorbei an durchwinkenden Zöllnern. Den Hotzenwald durchquerten wir in nördlicher Richtung, ständig an Höhe gewinnend: Waldkirch, Brunnadern (ein solches gibt es auch im. sanktgallischen Neckertal), Häusern, wo wir schon einige Male im Hotel „Adler“ fein gegessen haben. In einer Bäckerei kauften wir Gebäck und ein Sauerteig-Vollkornbrot – denn die Brote und das Gebäck sind in Deutschland hervorragend, die Auswahl riesig – wir können uns daran nicht gütlich genug tun. Ein Kompliment an die handwerklich hoch stehenden deutschen Bäcker!
 
Erinnerungen
Am Schluchsee im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald erinnerte ich mich an ein Kader-Seminar, an dem ich gezwungenermassen in der Zeit des aufblühenden Neoliberalismus im Zeichen der Totalerneuerungen teilnehmen musste. Schon im Rahmen der Begrüssung wurden wir älteren Semester heruntergemacht. Sinngemäss hiess es, über 42-Jährige würden nicht mehr eingestellt und über 50-Jährige nicht mehr ins Kader befördert. Das war die Zeit, als ganz allgemein Kindergartenkindern die höhere Fachkompetenz als erfahrenen Fünfzigeren oder gar Sechzigern zugesprochen wurde. Der betagterere, liquidationsreife Rest aus Frühpensionierungskandidaten musste sich wie unbrauchbares altes, rostiges, ja durchgerostetes Eisen fühlen, jene Leute, die durch harte, zielstrebige und professionelle Arbeit dem Unternehmen zu Erfolg und Ansehen verholfen hatten. Wir waren damals mit einem Car herangekarrt worden, so dass ich keine Möglichkeit sah, aus dem Dunstnebel eines einseitigen Jugendkults gleich auszubrechen. Dann wurden wir vom berühmten Kanada-stämmigen Eishockeytrainer Ralph Krüger mit Getöse auf Sporttrainermethoden und auf das positive (statt kritische, intelligente) Denken, das nur den Erfolg kennt, intensiv geschlaucht – Autosuggestion war alles; die Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft schaffte es in der WM-Statistik aber nie über den 5. Platz hinaus. Das hat mich in den Jahren nach diesem Vortrag etwas erstaunt.
 
Der nahe, von Tannenwäldern an und auf sanften Hügeln eingefasste, stille, 7,5 km lange und etwa 1,4 km breite Schluchsee konnte nichts dafür. Er wurde ebenso wie die Berge nicht versetzt. Manchmal wird er auch Schlucksee genannt, weil sich deutsche Fussballer 1982 an seinem Ufer ebenfalls im Schlucken, diesmal von alkoholischen Getränken, geübt haben sollen. Mit diesen Reminiszenen beenden wir den Abstecher in die Welt des Sports und der Schmalspurpsychologie und wenden uns besser anderen Energien zu, wie sie von einer schönen, beruhigenden Landschaft ausgehen.
 
Der Schluchsee
Der Schluchsee, der grösste Schwarzwaldsee füllt seit 1929/32 als Stausee den vom Feldberg-Gletscher hinterlassenen Graben auf, seitdem eine Gewichtsstaumauer errichtet wurde. Das gestaute Wasser wird in den Kraftwerken bei Häusern (Oberstufe), weiter unten in Witznau (Mittelstufe) und ganz unten in Waldshut (Unterstufe) in teure Elektrizität umgewandelt. Der Strom soll in Deutschland viel kostspieliger als in der Schweiz sein, wie ich mir erzählen liess, was nicht allein mit der höheren Mehrwertsteuer, mit der die EU-Mitglieder ausgenommen werden, zu begründen ist. Mit der profitorientierten Liberalisierung des Strommarkts in der Schweiz, ein klarer politischer Fehlentscheid, den jetzt alle bedauern, wird auch bei uns die Energie markant teurer, zum Schaden der Wirtschaft. Nachdem diese Liberalisierungs-Dummheit begangen worden ist, wird jetzt noch zu retten versucht, was höchstens noch teilweise, grundsätzlich aber nicht mehr zu retten ist.
 
Die Schwarzwaldhäuser
Während der Fahrt durch den Hotzenwald war mir immer wieder aufgefallen, wie stark hier Sonnenkollektoren verbreitet sind; das ist in der Schweiz weit weniger der Fall. Bernhard klärte uns später dahingehend auf, dass laut EU-Vorschriften die Landwirtschaft in Deutschland nicht staatlich gefördert werden darf. Und so fand man die Lösung darin, die Stromproduktion auf den Dächern der behäbigen, voluminösen Bauernhäuser, oft architektonische Schmuckstücke in der Landschaft, zu subventionieren. Wo ein Wille ist, findet sich auch ein Weg. Eine gute Sache, zur Nachahmung empfohlen.
 
Die typischen Breisgauer Bauernhäuser aus Wohnteil und Stallungen sind über dem meist zweigeschossigen Wohnteil mit einem markanten Vollwalmdach überdeckt – früher wurden dafür Stroh oder Schindeln verwendet. Aus diesem einstigen „Heidenhaus“, einer der ältesten und am meisten verbreiteten Bauformen im Hochschwarzwald, entwickelte sich das typische Schwarzwaldhaus in all seinen Variationen.
 
Das grosse Krüppelwalmdach kann grosse Schneemengen tragen; es weist starke Winde ab, bietet ihnen kaum Angriffsflächen und ist auch an die Hanglagen angepasst. Es sorgt im Sommer für Schatten, und zu den übrigen Jahreszeiten kann die tiefer stehende Sonne die dunklen Hauswände erwärmen. Die Fundamente bestehen meistens aus Natursteinen, auf denen dann mit Holz weitergebaut wurde. In die Fassaden sind niedliche Schiebefenster eingelassen. Man erfreut sich beim Anblick dieser wuchtigen Bauten, weil da wirklich alles stimmt, auch die verwendeten örtlichen Baumaterialien. Der Schwarzwald, das grösste zusammenhängende Waldgebiet von Deutschland, bestehend aus Tannen, Fichten und Kiefern, hat dadurch einen Schmuck erhalten, der bis heute nicht übertroffen worden ist.
 
Nach Lenzkirch-Saig
Die gut ausgebaute Strasse umrundet das Ostende des Schluchsees, und wir hatten dann Richtung Lenzkirch abzuzweigen. Hier begann eine für mich unbekannte Welt. An den Seitenrändern sieht man den rötlichen Sandstein – ist dies das berühmte manganhaltige Rotliegende, welche den kristallinen Sockel bedeckt, dem wir dank seines Widerstands, seiner Unnachgiebigkeit die Jurafaltung verdanken?
 
Laut dem „Reiseführer durch den Schwarzwald“, den ich in jener Gegend ergattert habe, ist Lenzkirch ein weitläufiger Kur- und Wintersportort mit rund 5000 Einwohnern und 3000 Gästebetten. Der Ort liegt in der Talmulde der Haslach und hat sogar eine mittelalterliche L-förmige Burgruine namens Alt-Urach in seinen Gemarkungen. Und die bäuerliche Schwendekapelle „St. Cyriak“, das wohl älteste Kirchlein in der Umgebung, war lange das Ziel von Flurprozessionen, womit ich ein neues Wort für „Wanderungen“ oder „Spaziergänge“ gefunden habe. Oberhalb von Lenzkirch sind ein Naturschutzgebiet mit dem Ursee und auch ein grossenteils verlandeter Moorsee. Noch heute ist an den Braunfärbungen in Tallagen deutlich zu erkennen, dass es hier einmal Moore gab.
 
Saig, unser vorläufiges Ziel (7 Gaststätten und 1000 Gästebetten), ist ein Ortsteil von Lenzkirch, wie ich inzwischen weiss. Am 01.10.1974 soll der Zusammenschluss von Saig mit Lenzkirch „freiwillig“ erfolgt sein – im Rahmen der grossen Verwaltungsreform in den 1970er-Jahren. Zu Lenzkirch gehören auch Kappel, Raitenbuch und Grünwald; insgesamt umfasst die Gemeinde 5790 Hektaren Land. Das wiederum habe ich im Büchlein „Eine Zeitreise durch Saig“ gelesen, das ich nach der Umrundung des grossen Hotels „Ochsen“ im Dorflädeli, das sich selbstbewusst „Kaufhaus Wrangler" nennt, und das sich auf einem Schaufenster zu Recht als ein Stück Heimat bezeichnet, gefunden habe. Das ausgesprochen kundenfreundliche Ladenbesitzer-Ehepaar machte mich darauf aufmerksam, das Büchlein, das etwa 19 Euro kostete, wenn ich mich richtig erinnere, sei zwar etwas teuer; doch wollte ich es auf jeden Fall kaufen. Dazu erwarb ich eine kleine Flasche (0,35 l) Schwarzwälder Himbeergeist aus der Hausbrennerei Stiefvatter in D-79418 Schliengen-Obereggenen für 8,95 Euro und als Notration noch 1 dl Waldhonig-Schnäpsle („hergestellt nach altem überliefertem Hausrezept“) von Ernst Seiter in D-79353 Bahlingen für 2.99 Euro. Man gönnt sich ja sonst nichts. Diese Honig-Likör (32 Volumenprozent Alkohol) ist wirklich ein angenehm süss-herber Bienenhonig, der dem Gaumen schmeichelt, wie ich soeben bei einer Degustation im Interesse einer exakten Berichterstattung festgestellt habe.
 
Alsdann fuhren wir gemäss E-Mail-Anweisung von Bernhard weiter hinauf zum Café „Alpenblick“ und gegen ein Anwesen namens „Waldhalde“. Das war einmal das Haus eines belgischen Schokoladefabrikanten, und das kleinere Gebäude nebenan diente als Schulhaus mit Privatlehrkraft für die beiden Töchter des Fabrikanten. Als Jude musste er dann in den 30er-Jahren das Feld vorsichtshalber räumen.
 
Jedenfalls wurden wir im einstigen privaten Schulhaus von Brigitta, Bernhard und einem aufgeregten, zutraulichen Hund mit Laufhund-Einkreuzung, ein Findling mit undefiniertem, traurigem Schicksal, freundlich empfangen. Es gefiel uns in dieser unkomplizierten, heimeligen Atmosphäre neben einem schlanken Kachelofen mit hellen Kacheln und ausladender Sitzbank. Durch die grossen Fenster wurde der Blick weit übers Land zum Sommerberg, zum „Berg“ (Aussichtspunkt, 970 Höhenmeter) vor dem Haselberg und dem Stöckelberg frei. Dort sind Weiden, mit farbigen Laubbäumen aufgelockerte Fichtenwälder als gigantische Luftfilter, Einzelgehöfte und Weiler. Das Wetter war gut, die Sicht nicht ganz klar.
 
Wir hatten unseren Bekannten, die uns Land und Leute schilderten, bekannt gegeben, dass wir die Umgebung etwas erkunden wollten. Eine Möglichkeit wäre eine Wanderung durch die Wutachschlucht gewesen, die andere eine Flurprozession nach Titisee am Titisee, etwa 2 km weit. Nach der Erinnerung ans Schlauchen am Schluchsee musste die Schluchtidee zurücktreten, und Eva und ich wanderten hinunter nach Titisee. Brigitta wollte kochen, liess sich von unserem Hinweis, sich nicht zu viel Mühen zu machen, nicht erweichen „Mir essed au gern guet“, sagte die zupackende Aargauerin (Wir essen auch gern gut). Bernhard wollte uns vor Mittag mit seinem Rover in Titisee abholen.
 
Zum Titisee
Also wanderten Eva und ich das Waldsträsschen nach Titisee hinunter, was in einer halben Stunde mühelos zu schaffen ist. Das Gebiet gehört zum Naturpark Südschwarzwald, einem Gemeinschaftsprojekt von 5 Landkreisen und rund 110 Städten und Gemeinden der Region; er will die nachhaltige Nutzung, eine naturverträgliche Entwicklung sowie die Erhaltung der einzigartigen Landschaft fördern (www.naturpark-suedschwarzwald.de).
 
Der auch fahrradtaugliche Wanderweg vom „Alpenblick“ in Saig aus führt übers Gebiet „Seesteig“ (880 m), vorbei am Seebauernhof, zum Titisee hinunter; die Höhendifferenz beträgt etwa 200 m. Unterwegs kamen wir an einer mehrstämmigen, uralten Buche vorbei, die gerade mit auffallender Intensität dabei war, ihr Laub abzuwerfen, obschon kaum ein Wind wehte. Eva führte das darauf zurück, dass am Tage nach Vollmond die Säfte nachliessen, die Kapillaren erschlafften und die einzelnen Blätter ihren Halt verloren und taten, wie sie im Herbst immer tun. Es war ein richtiger Laubregen, schön anzuschauen. Und gleichzeitig tauchte zwischen den Blättern der Titisee auf.
 
Schlemmen nach deutscher Art 
Über Tourismusort Titisee und das angrenzende Höllental werde ich mich in einem nächsten Blog verbreiten. Hier möchte ich nur noch das nachfolgende Mittagessen in Saig besingen, das, von Brigitta Schindler liebevoll zubereitet, sozusagen höllisch gut war: bei Niedertemperatur (etwa 80 °C) gegarter Hirschbraten, voller Saft und Kraft, eine konzentrierte Sauce, belebt von einem Rotwein, dazu Preiselbeer-Kompott und Rotkraut. Der üppige südafrikanische Wein mit dem Wasserbüffelkopf auf der Etikette musste sich schon sehr anstrengen, um daneben bestehen zu können; aber das gelang ihm. Aus dem Café Heck in Titisee hatten wir 4 grosse Stücke verschiedener Torten, die man dort bescheiden „Kuchen“ nennt, mitgebracht, ein Stück Schwarzwäldertorte, Kuchen mit Wildbeeren, Streusel, Nüssen usw. Das setzte dem ganzen noch die Krone auf. Und Bernhard und Brigitta, die vorher ein Ferienhaus in der Normandie hatten und von der dortigen gastronomischen Kultur oft enttäuscht wurden, fühlen sich in Deutschland wie in einem Schlemmerparadies. Diesen Eindruck hatten wir gerade auch.
 
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