BLOG vom: 05.11.2008
Biberstein: Mittelalterliches Schloss im Duft von Röstaromen
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
Im eigenen Dorf eine richtige, kleine Bäckerei zu haben, ist ein grundlegender Beitrag zu einer hohen Lebensqualität. Und genau eine solche gibt es im Dörfchen Biberstein seit 20 Jahren: eine regelrechte Schlossbäckerei alter Schule. Sie startete am 11. Oktober 1988 unter dem mundartlichen Werbeslogan „Em Schloss wird bachet“ („Im Schloss wird gebacken“). Der tüchtige Bäcker war damals Hansueli Furter. Ich habe ihn am 01.11.2008 im Schlossladen getroffen, als dort ein kleines Jubiläum gefeiert wurde. Noch immer ist seine Begeisterung für ein gutes, handwerklich gefertigtes Holzofenbrot zu spüren. Er freut sich noch heute, dass die Backanlage ständig ausgebaut werden konnte, denn das Bibersteiner Brot fand einen sehr guten Absatz, und das ist noch heute so. Dieser Bäcker Furter legte mit seinem Backtalent den Grundstein für den Erfolg des Bibersteiner Brots und Gebäcks.
Furter stammt aus Staufen (Bezirk Lenzburg) und lernte 1943‒1945 Bäcker und anschliessend bis 1947 in Aarau Konditor. Daraufhin arbeitete er in Gstaad BE bei einem Bäcker, der noch einen der letzten traditionellen Holzbacköfen betrieb, und konnte dort seine Backkunst um historische Dimensionen erweitern. Es folgten verschiedene anders gelagerte Tätigkeiten, so als Leiter der Aarauer Filiale des Spielwarenunternehmens Franz Carl Weber, ab 1963 während 15 Jahren, bis er nach Biberstein fand und im Schloss, der Wohn-, Arbeits- und Ausbildungsstätte für erwachsene Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung, tätig wurde.
Urban Zehnder, Ausbildungsleiter im Schloss Biberstein, hat die Lebensgeschichte Furters in der Ende Oktober 2008 erschienenen Ausgabe der Bibersteiner „Dorfziitig“ erzählt. Darin weist er auf eine wichtige Episode aus der 1. Bibersteiner Backnacht Furters hin, in der etwas viel zusammenkam: „Der Meister lief immer wieder in die Wohnung hinauf, weil dort eben sein Kind zur Welt kam – und das wiederum war Jahrzehnte später der Chef unseres jetzigen Bäckers Laurent Seiffert.“ So rundet sich im Backwesen alles, nicht allein das Brot.
Die Schlossbäckerei, in der auch Pâtisserie produziert wird, war ursprünglich nur für den Schloss-internen Bedarf gedacht. Doch die Bevölkerung, die den Brotduft aus dem „Bachhaus“ (Backhaus) witterte, wollte wissen, was genau sich hinter dem herrlichen Röstaroma verbarg, und wegen der Nachfrage wurden die Backwaren jeweils an Samstagen auf einem kleinen Markt im Schloss angeboten, und der Absatz wuchs ständig; Einwohner verkaufen gleichzeitig Gemüse und Früchte aus dem eigenen Anbau am sonnigen Jurasüdfuss, wo auch Reben gedeihen. Anfänglich stand Furter nur ein einziger Holzbackofen zur Verfügung, der bald mit einem zweiten und auch noch einem Elektroofen ergänzt werden musste.
Schloss-Leiter Manuel Duso erzählte mir in der Backstube, wo soeben St.-Galler-Brotteige in den mit Wasser benetzten und einem Ofenstaubsauger gereinigten Holzofen eingeschossen wurden, dass hier einmal ein verlotterter Schweinestall gewesen und zu einem „Bachhüsli“ umgewandelt worden sei. Die Pläne zeichnete der einheimische Architekt Hanspeter Berner, und die Bauleitung hatte Lorenz Danioth inne. In hingebungsvoller handwerklicher Arbeit ist Ende der 1980er-Jahre ein verträumtes, riegelbauartiges Häuschen mit Sattel- bzw. Zwerchdach entstanden, aus dem 2 kräftige Kamine herausschauen. Das abgewinkelte Haus bringt eine Portion Romantik in den Schlossbereich. Im Inneren ziert ein Rundbogen aus Backsteinen die Türöffnung vom Ofenraum zur geräumigen Backstube.
In dieser wirkt seit Mitte 2007 der Bäcker Laurent Seiffert, ein gross gewachsener zupackender und talentierter Backwerker, dem Patricia Steiner und Thomas Kröni zur Seite stehen; sie sind in Ausbildung begriffen. Selbstverständlich gibt es ein Teigrührwerk und eine Maschine, die aus abgewogenen Teigkugeln Stränge für Zöpfe macht; doch das Zopfen geschieht in handwerklicher Manier, zumal es für diese umschlingende Tätigkeit noch keine Maschine gibt.
Laurent Seiffert sagte mir, dass hier nicht mit Fertigbackmischungen gearbeitet wird, sondern jedes Gebäck ist von Grund auf hausgemacht – und das spürt man denn auch. Ich erhielt einen denkbar guten Eindruck von dieser Backstube und der professionellen, sorgfältigen Arbeit, die hier geleistet wird. Die Ofentemperatur wird ständig überwacht und durch Öffnen und Schliessen der Schieber reguliert. Viermal pro Woche wird gebacken – an Samstagen wird die Arbeit um 3 Uhr in der Frühe aufgenommen, sonst um 4.30 Uhr. Der Prozess des Einfeuerns und Aufheizens dauert etwa 3 Stunden.
Nach all den Verlockungen deckte ich mich im Schlossladen (Verkaufsleiterin: Irène Fasolin, Verkäuferin: Jeannette Ritschard und Praktikantin Debora Oliviero) mit einem Pfünderli Holzofenbrot, einem goldgelben bis bräunlichen, also gut gebackenen Zopf, Mandel- und Nussgipfeln und anderem Süssgebäck ein. Nach dem 5-Minuten-Heimweg setzte ich mich daheim gleich zu einem 2. Frühstück zu Tische. Ich bestrich eine Zopfscheibe mit Butter und trank heisse Biomilch dazu, eine Kombination, die es mir besonders angetan hat.
Als ich anschliessend die Anschussstelle (wo sich die Brote im fast 400 Grad C heissen Ofen berührten) des St. Galler Pfünderlis mit dem Brotmesser absäbelte, kam mir in den Sinn, wie ich mich jeweils als kleiner Knabe auf dem Weg von der Bäckerei nach Hause in Lichtenstein SG genau an dieser Stelle, wo die Kruste nicht zugebacken war, zu schaffen gemacht hatte. Ich legte die Öffnung in der Kruste unter dem Seidenpapier frei und zerrte Fetzen um Fetzen aus der Brotkrume heraus, die ich ebenso gierig wie genüsslich verschlang. Manchmal entstanden richtige Höhlen, weil ich mit dem Weitergraben einfach nicht mehr aufhören konnte. Und mein Vater, der für Jugendsünden Verständnis hatte, sagte einmal, hier seien offenbar wieder einmal die Mäuse dahinter gewesen ...
Bibersteiner Brot-Tradition
Ein eigentliches Bibersteiner Brot unter diesem Namen gibt es offenbar noch nicht – jedenfalls nicht in der Schlossbäckerei. Ich habe mich diesbezüglich an eine Begegnung im Frühjahr 1983 mit der betagten Frau Marie Müller-Steffen an der Welletenstrasse 62 (Buhalde) in Biberstein erinnert. Damals schrieb ich für „Eusi Dorfziitig“ eine nicht enden wollende Serie unter dem Titel „Bibersteiner Chachelichuchi“ und erwies dabei selbstverständlich auch dem Brot die Referenz.
Als die beste Hausbäckerin galt damals in Biberstein, wie meine umfangreichen Recherchen ergeben hatten, die erwähnte Frau Müller. Sie verwendete zum Aufheizen ihres Ofens nur selbst gemachte Wellen („Büscheli“ aus Ästen und Zweigen), schönes, sauberes und trockenes Holz. Sie heizte den Ofen während 1,5 bis 2 Stunden kräftig auf; der Ofen wurde von ihr dann mit einem Besen aus „Tannechres“ (Tannenästen) gereinigt und mit einem nassen Jutesack mit Hilfe des Glutschiebers (Ofechrucke) gereinigt.
Frau Müller hat mir damals das folgende Brot-Teigrezept verraten: ½ weisses Landmehl (oder gewöhnliches Backmehl) und ½ Ruchmehl (Roggenmehl). Diese Mehlmischung wird am Vorabend in eine Backmulde aus Holz gegeben; Frau Müller siebt jeweils gerade 10 bis 12 kg Mehl in eine Mulde. Das ist ihre Vorbereitung, damit sie am anderen Morgen gleich um 6 Uhr weiterarbeiten kann – das Brotbacken erzieht zum Frühaufstehen, wie man sieht.
Die Hausbäckerin löst dann 6 bis 7 Hefewürfel (zu 42 g) in lauwarmem Wasser auf. Sie gräbt mitten ins Mehl eine Vertiefung und leert das Hefewasser dort hinein; sie macht also ein kleines Vorteiglein. Das lässt sie wieder 2 Stunden lang, also bis etwa um 8 Uhr, stehen. Dann werden Salz in Wasser aufgelöst und etwas Mehl zugegeben, ebenso Wasser, aber nur so viel, dass der Teig richtig fest bleibt. So bleibt er nach dem Kneten, das bis ¾ Stunden dauern kann und eine richtige Kraftübung ist, weitere 1,5 bis 2 Stunden stehen. Die Brote werden nun geformt und erhalten mit dem Messer auf dem Dach einen Schlitz, der sich im heissen Ofen dann weiter öffnen kann und zur Zierde wird. Die Backzeit dauert für grössere Brote 1 bis 1,5 Stunden; für 500-g-Brote genügen im der Schlossbäckerei etwa 45 Minuten.
Auf gehts!
Beobachtet man den Aufwand, der für ein gutes Holzofenbrot betrieben werden muss, staunt man, dass Brote nicht mehr kosten. Auch in der Schlossbäckerei ist die Teigvorbereitung am Vortag selbstverständlich, und das Resultat ist hier wie dort untadelig. Denn das Brotbacken hat in Biberstein Tradition, und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis ein „Bibersteiner Brot“ mit all den Holzofenqualitäten auf dem lokalen Markt erscheinen wird. Die Biberform ist wegen des fleischigen, platten Schwanzes für Brote ungeeignet; sie würde im Ofen zu viel Platz erfordern. Und auch ist es nicht möglich, den Backofen ausschliesslich mit dem Holz von Silberweiden, die von unseren Bibern gefällt worden sind, auf 400 °C vorzuheizen, da der Holzanfall unzureichend wäre. Also wird man sich etwas anderes einfallen lassen müssen.
Vielleicht könnte man dem Teig als Erinnerung an die Säuli, die an gleicher Stelle, wo jetzt Backöfen sind, einst an Umfang zugelegt haben, einige Speckwürfeli beifügen – etwas Schweinefett adelt sozusagen jedes Gebäck, wie ich zum Leidwesen aller mir ausserordentlich sympathischen Vegetarier aus langjähriger Erfahrung der Ehrlichkeit halber beifügen muss.
Das Wichtige ist die Hefe. Sie verhilft nicht allein den Broten zum Aufgehen, sondern offensichtlich auch der einheimischen Brotkultur.
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