Textatelier
BLOG vom: 14.11.2008

Obama-Stilbruch 2: Kriegerische Ankündigung und Brzezinski

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Würden Sie als Zirkusdirektor, wenn sie einen Dompteur für störrische Esel brauchten, einen schiesswütigen Jäger mit totalitären Zügen anheuern und mit dieser Aufgabe betrauen? Der kommende US-Präsident Barack Obama tat dies sinngemäss: Sein aussenpolitischer Berater heisst Zbigniew Kazimierz Brzezinski (1928), der 1977‒1981 Sicherheitsberater von Jimmy Carter war. Die beiden wollten vor allem im Persischen Golf allenfalls bis zum Krieg ausartende Härte zeigen, wenn US-Interessen bedroht sein sollten, und sie scheiterten. Zum Glück.
 
Brzezinski erscheint dem Beobachter widersprüchlicher Aussagen wegen als schilllernde Figur. Die „Zeit-Fragen“ schrieben (in der Ausgabe vom 10.11.2008), der Weltmachtstratege Brzezinski träume noch immer von der Weltherrschaft über den eurasischen Kontinent und von der Zerstückelung Russlands und sehe nun eine „Second Chance“. Brzezinski, der kürzlich aber auch die Bush-Machenschaften hart kritisierte, kann sehr wohl Schalmeienklänge von sich geben, wenn es die Lage erfordert, auf dass aus Kanonenrohren Metallröhrchen zum Musizieren werden.
 
Der Totalitarismus
Mag Carter vielleicht noch mässigend auf Brzezinski eingewirkt haben, konnte dieser ungebremst wirken, als um die Weiterentwicklung des Totalitarismus-Modells ging, an der er neben Hannah Arendt und Carl Joachim Friedrich als führender Theoretiker arbeitet, wenn auch mit unterschiedlichen Stossrichtungen. Mit „Totalitarismus“ ist eine umfassende diktatorische Form von Herrschaft gemeint, welche einen neuen Menschen schaffen will, der auf eine bestimmte Ideologie abgerichtet wird. Vorbereitungen laufen bereits im Rahmen der globalen Vereinheitlichungsbestrebungen (Globalisierung), bis hinunter zum Ausbau von Tagesschulen und ähnlicher Kinderbetreuungsstätten abseits des Elternhauses. So kann eine Einheitsdoktrin von Kindsbeinen an vermittelt werden.
 
Der Begriff Totalitarismus wird in „Meyers Enzyklopädischem Lexikon in 25 Bänden“, Ausgabe 1981, wie folgt umschrieben: „Totalitarismus (lat.), die von einem politischen Machtzentrum ausgehende Ausrichtung von Staat, Gesellschaft und Individuen sowie die gewaltsame Verfügung über die solcherart zentrierten Energien eines sozioökonomischen Systems zur Durchsetzung ideologischer Ziele, die ohne gesellschaftliche Partizipation von den Mitgliedern des politischen Machtkerns formuliert werden (siehe auch totalitäre Herrschaft).“
 
Der Ausdruck wurde im Zusammenhang mit der faschistischen Machtergreifung durch Benito Mussolini (1923) durch den Liberalen Giovanni Amendola erfunden. Er wurde dann (laut dem erwähnten Lexikon) im Juni 1925 von Mussolini selber in Anspruch genommen, und dieser schrieb ihm eine „unerbittliche totalitäre Entschlossenheit“ zu. Nach späteren Interpretationen werden damit Herrschaftssysteme bezeichnet, welche sich anmassen, Staat, Gesellschaft (Individuen, Politik und Ökonomie) „total“ zu durchdringen, wie seit vielen Jahren die neoliberale Globalisierung deutlich macht.
 
Der Totalitarismus ist eine flächendeckend wirkende politische Waffe, die nach dem Zusammenbruch des Sowjetreichs stumpf geworden zu sein schien, aber unter dem beschönigenden Begriff „Neoliberalismus“ wieder geschärft und den neuen Verhältnissen angepasst wurde. 1997 publizierte Brzezinski sein Buch „Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ (Original: „The Grand Chessboard“). Die Uni Kassel geht dazu ins Detail: „Besonderes Augenmerk richtete er (Brzezinski) auf Zentralasien. Um diesen Bereich unter US-Dominanz zu bringen plädierte er für ein ,neues Pearl Harbour’, um damit die Zustimmung der US-Bevölkerung propagandistisch zu erreichen. Auf diese Weise sollten die Rohstoffressourcen vom Kaspischen Meer über Afghanistan bis zum Indischen Ozean für die USA gesichert werden.“
 
Eigenaussage gegen Eigenaussage
Brzezinski ist schwer zu fassen, wie gesagt, wie aus alledem zu ersehen ist. Er arbeitet ganz im Sinne der Bilderberger-Gruppe, der er angehört, eine aus dem Schatten wirkende Gruppe, die die Weltregierung zu beeinflussen pflegt. Obama ist nicht Mitglied dieses Clubs, musste ihr aber wahrscheinlich durch die Anheuerung Brzezinskis seinen Tribut zollen. Die Vermutung nährt sich daraus, dass diese Ernennung zum aussenpolitischen Berater überhaupt nicht ins Konzept passt, falls nicht alles erlogen war, was Obama im Wahlkampf von sich gab.
 
Brzezinski hat in seinen eigenen Büchern öffentlich zugegeben, am Ende der 1970er-Jahre den geheimen Plan entworfen zu haben, islamisch-fundamentalistische Mudschaheddin zu mobilisieren, um die pro-sowjetische Regierung in Afghanistan zu stürzen und der Sowjetunion einen ruinösen Krieg aufzuzwingen. Er war es zudem, der laut der „AG für Friedensforschung an der Uni Kassel“ eine Mitverantwortung für den Aggressionskrieg gegen Vietnam trug, den harten Konfrontationskurs gegenüber der Sowjetunion einleitete und den CIA weltweit operieren liess, zu dem Obama angeblich eher etwas auf Distanz zu gehen scheint; auch das wird ihm nicht gelingen.
 
Merkwürdigerweise verwandelte sich Brzezinski neuerdings vom Kalten Krieger und Hardliner in einen Friedensengel. So hat er Anfang Februar 2007 bekannt gemacht und davor gewarnt, dass George W. Bush Vorwand für einen Angriff auf den Iran suche, was ja auch offensichtlich war. Zudem kritisierte er den „gewollten“ Irak-Krieg II als ein „historisches, strategisches und moralisches Desaster“, was ebenfalls genau zutrifft. Höchst bemerkenswert ist überdies, dass er in einem „Stern“-Interview (18-2006) sagte, dass „ein nuklearer Iran nicht gefährlicher als Israel“ wäre; Israel ist mit US-Hilfe zu einer atomaren Macht aufgerüstet worden. So klar hat sich bisher kein anderer US-Politiker ausgedrückt; der gebürtige Pole war gerade frei von politischen Ämtern und wirkte als Professor für amerikanische Aussenpolitik in Baltimore.
 
In einem Interview mit der „Deutschen Welle“ www.dw-world.de warnte Brzezinski noch am 16.10.2008 davor, dass die NATO die Fehler der Sowjetunion in Afghanistan wiederhole. „Wir laufen Gefahr, das Gleiche zu tun wie die Sowjets“, sagte Brzezinski im Interview. „Anstatt das Land schnell wieder zu verlassen und wirtschaftlich zu unterstützen, versuchen wir, mit einer grossen ausländischen Präsenz einen modernen Staat zu schaffen.“
 
Die sowjetische Besatzungsarmee musste nach einem verlustreichen Krieg 1989 Afghanistan verlassen – Brzezinskis Rechnung ging auf. Und jetzt sitzen die USA und die Nato-Mitläuferländer dort fest, und Brzezinski schüttelt mit guten Gründen den Kopf.
 
Das Totalversagen der USA in strategischer und moralischer Hinsicht trifft auch auf den Irak zu. Als Beitrag zur Erforschung der Wurzeln dieses Kriegs, der Hunderttausende in den Tod, in die Invalidität, in die Flucht und damit ins Elend trieb, zitiere ich einen Absatz aus dem dtv-Premium-Buch „Anklage wegen Mordes gegen George W. Bush“ von Vincent Bugliosi (Seite 205): „In Bezug auf die Wurzeln der terroristischen Gräueltat am 11. September sagte Zbigniew Brzezinski (…): ,Das amerikanische Engagement im Nahen Osten (das, wie er sagte, aus ,unserer Unterstützung Israels und der israelischen Unterdrückung der Palästinenser sowie dem direkten Einsatz amerikanischer Macht in der Region’ bestand) ist eindeutig das wichtigste Motiv für den Hass, der sich gegen Amerika richtet.“ (Ich verweise dazu auch auf mein Blog „Obama-Stilbruch 1: Der jüdische Rahmbo an der Speerspitze“ vom 11.11.2008).
 
Was „Wechsel“ in der Praxis heisst
Aber seit der Wahl des Mischlings Obama, der fälschlicherweise meistens als „Schwarzer“ bezeichnet wird (in der Bäckersprache würde man von einem Halbweissen reden), tönt es von Brzezinski diesbezüglich vorsichtiger. Wiederum aus einem taufrischen Interview mit der „Deutschen Welle“; wo Brzezinski Globalismus- bzw. Totalitarismus-Gedanken in abgemildert Form aussprach: „Amerika hat sich durch diese Wahl wieder neu definiert, als eine universelle Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, die nicht auf einer gemeinsamen Rasse basiert, sondern auf gemeinsamen demokratischen Werten. Obama vertritt diese Werte und verbindet sie mit einer erstaunlichen Internationalität: Sein Vater kam aus Kenia, seine Kindheit verbrachte er in Indonesien, er selbst gehört durch seine Hautfarbe einer Rasse an, die in Amerika über Jahrzehnte massiv diskriminiert wurde und bis heute noch wird. Seine Wahl zum Präsidenten bedeutet eine neue internationale Öffnung Amerikas. Und wir alle teilen gemeinsame Werte (…).
 
Das tönt versöhnlich und freut alle, die an der US-Apartheidpolitik schon immer Anstoss nahmen. Doch dann kommt die Desillusionierung, was die Aussenpolitik anbelangt: „Die amerikanische Aussenpolitik ist wie ein riesiges Frachtschiff auf den Weltmeeren, das seit Jahren Kurs hält. Und so schnell wie ein Motorboot wird es diesen Kurs auch nicht ändern. Es ist überhaupt nicht möglich, die amerikanischen Positionen grundlegend neu zu definieren. Aber im Kern und vor allem im Ton wird sich die Politik ändern.“
 
Also: Alter, ungeniessbarer Wein in neuen Schläuchen, in die einige Friedensschalmeien eingebaut werden, aber an den Fakten wird sich nichts ändern, obschon es ja nur auf diese ankäme. Und in Bezug auf Afghanistan wird von Brzezinski nach der Obama-Wahl plötzlich nicht mehr von einem schnellen Verlassen jenes kriegsgebeutelten Lands gesprochen – im Gegenteil (ebenfalls zur DW am 07.11.2008): „Wenn wir als Partner gemeinsam in Afghanistan sind, darf es keine Sonderwünsche einzelner Nationen geben. Wenn sich Staaten wie Deutschland nur in Regionen Afghanistans bewegen wollen, wo es keine Probleme und keine Gefahren gibt, dann ist das keine wahre Partnerschaft.“ Mit einem Wort: Einbindung. Die Europäer sollen das Schlamassel zu beseitigen suchen.
 
Die USA wollen also weiterhin in Afghanistan kämpfen lassen und weiterhin die Weltführer-Nation sein, der sich alle unterzuordnen haben, also die „einzige Weltmacht“ im Sinne von Brzezinskis Philosphie. Auch der neue Popstar-Messias und Präsident Barack Obama hat durchblicken lassen, dass die USA ihre Führer- und Einmischungsrollen trotz ihres offensichtlichen Niedergangs weiterhin spielen wollen. Eine Anmassung, wenn das Umfeld beachtet wird: In Bezug auf die Analphabetenrate haben sich die USA (laut einer OECD-Studie) immerhin auf den 9. Platz vorgearbeitet. Menschen ohne Bildung lassen sich leichter abrichten, und bei der Pressefreiheit sind die USA dafür weit hinten; laut der Reporter ohne Grenzen auf Platz 48 … auch das gehört zur geistigen Unterwerfung.
 
Obama sprach von Frieden, von Verhandlungslösungen, Gesprächen mit den siegreichen, radikalislamischen Taliban in Afghanistan, von einem „Change“ (Wechsel) in allen Dingen, und gleichzeitig kündigte er weitere Truppen für Afghanistan an ... Die Welt jubelte gedankenlos. Halleluja! Wie die „Washington Post“ soeben berichtete, wird Obama tatsächlich zusätzliche US-Truppen an den Hindukusch schicken, die Aufstockung um Tausende Soldaten fortsetzend, die vom jetzigen Kriegspräsidenten George W. Bush eingeleitet worden ist. Das ist doch keine Voraussetzung für ein erspriessliches Gesprächsklima, auf das Obama angeblich setzen wollte. Und nach der gleichen Quelle will er die Suche nach dem Top-Terroristen Osama bin Laden intensivieren. Obamas Strategie bedeutet, dass Pakistan im Kampf gegen Taliban und al-Qaida deutlich mehr in die Pflicht genommen wird als bisher. Das gibt wieder neue Munition zum noch weitergehenden Aushebeln der Medienfreiheit und zur Verstärkung der globalen Überwachungen.
 
Ich frage mich nur, was denn daran grundsätzlich neu sein soll. Mehr Krieg in Afghanistan, die Neubelebung der Terroristenjagd statt der Bekämpfung der Ursachen im eigenen Haus, die den Terrorismus fördern. Brzezinski, der sich je nach äusseren Bedingungen wandelt, wird wieder total zur herkömmlichen Form des Weltführers auflaufen können.
 
Obamas Personalpolitik und seine Stilbrüche müssen einem schon zu denken geben. Darauf angesprochen, sagte mir Dr. Johan Georg Schnitzer gerade am Telefon, er empfinde die Indizien rund um die welt-, sozial- und gesundheitspolitische Lage (inklusive Bildungspolitik) wie Vorboten für ein heraufziehendes, schweres Gewitter.
 
Der Vergleich sitzt, auch in Bezug auf Obama. Zugegeben: Er ist erst provisorisch gewählt und hätte an sich noch eine 100-Tage-Schonfrist zugute. Doch da er seine Pop- und Propagandagesänge so lauthals von sich gegeben und bereits entscheidende personalpolitische Massnahmen getroffen hat, wäre das Schweigen ein Kuschen. Zudem treten in dieser jungfräulichen Phase die Verstrickungen der Weltregierung besonders schön zutage, welche die Tragik der USA und der Welt in ihrem Schlepptau gewährleisten.
 
Wenigstens hinsichtlich der Einschätzung Amerikas wäre ein rechtzeitiger Change dringend, auf dass die Rest-Welt nicht wieder mit fliegenden Fahnen auf jeden Befehl hereinfällt und sich für eine aggressive Politik missbrauchen lässt. Denn offensichtlich wird das bereits bestehende Desaster von Obama einfach intensiviert, so dass man sich in naher Zukunft gezwungen sehen könnte, sich mit Wehmut an den vertrottelten Bush mit seinem degenerierten Gewissen, seinen hundertfachen Lügen, mit denen er die Welt in Kriege geführt hat, zu erinnern …
 
Die USA, dieser vermeintliche „Garant für Frieden und Stabilität auf der Erde“, hat sich längst ins Gegenteil verkehrt. Und der überbewaffnete Tanker ist nicht mehr zu bremsen.
 
Deshalb bleibt nur noch der Galgenhumor. In den US-Metropolen ist eine gefälschte „New York Times“ (Auflage: 1,2 Mio.) mit parodistischem Inhalt verteilt worden. Schlagzeile: IRAK WAR ENDS. Zudem würden das US-Gefangenenlager Guantánamo geschlossen, George W. Bush werde wegen Hochverrats angeklagt und Condoleezza Rice habe sich als Lügnerin geoutet. Das „New York Times“-Motto „All the news that's fit to print" ("Alle Nachrichten, die es wert sind, gedruckt zu werden") verwandelten die „Yes Men“ in „All the news we hope to print“ („Alle Nachrichten, die hoffentlich einmal gedruckt werden").
 
Wunschträume, Hoffnungen – auch diese Blasen platzen gerade.
 
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