Textatelier
BLOG vom: 27.11.2008

Obama-Stilbruch 6: Die merkwürdigen Finanzgenie-Elitestars

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Jetzt sind die besten, intelligentesten und fähigsten Köpfe der USA aus dem Sack gelassen: Barack Obama nannte ihre Namen: Timothy Geithner, der Notenbankchef von New York, der neuer Finanzminister wird, sodann Bill Clintons Ex-Finanzminister Lawrence Summers als Top-Berater und vielleicht künftigem Zentralbankchef, und der Gouverneur von New Mexico, Bill Richardson, wird neuer Handelsminister werden. Sie sind unverzüglich heilig gesprochen, mit Vorschusslorbeeren über und über bekränzt, zu einem so genannten Dreamteam zusammengefasst, laut Obama „ein Signal der Verlässlichkeit“.
 
Falls es innerhalb des Obama-Gottesdiensts gestattet sein sollte, sich kritische Überlegungen zu machen, möchte ich es tun:
 
Timothy Geithner (47) ist der Leiter der New Yorker Notenbank-Fed-Filiale (Federal Reserve), laut Reuters ein „Top-Banker“. Die Fed hat mit ihrer Billigzinspolitik die Subprimekrise wesentlich gefördert und die Lage vollkommen falsch eingeschätzt, wie selbst der orakelhafte ehemalige Fed-Chef Alan Greenspan („Mr. Money“) eingestehen musste („Wir lagen eigentlich fast immer falsch.“), der die Geldschwemme lostrat. Die Fed spielte die am Horizont auftauchenden schwarzen Wolken laufend herunter. Laut „Handelsblatt“ vom 05.09.2007 schrieb dieses Geldströme kanalisierende Institut in seinem Konjunkturbericht („Beige Book“): „Ausserhalb des Immobiliensektors gibt es nur wenig Anzeichen, dass die Turbulenzen auf den Finanzmärkten die wirtschaftlichen Aktivitäten beeinträchtigt haben.“ Prinzip Hoffnung. Für Konsumenten und Unternehmen seien das Kreditangebot und die Kreditqualität nach wie vor „gut“. Positiv denken.
 
Dieser Bericht basiert jeweils auf Informationen der regionalen Zentralbankstellen wie jener in New York. Aus diesem Umstand darf doch wohl geschlossen werden, dass Geithner nicht nur zu den Architekten der Finanzkrise gehörte, sondern auch die Folgen vollkommen falsch eingeschätzt hatte, wie seine unbedarften Kollegen auch. Ob seine Ernennung an den Börsen vielleicht deshalb so viel Begeisterung auslöste? Geithner bietet Gewähr, dass die Verschuldungspolitik der USA weitergehen kann – zulasten der Restwelt, auch wenn er mithalf, das Investmentunternehmen Lehman Brothers zusammenbrechen zu lassen. Gerade jetzt wird das Schuldenmachen wieder tatkräftig gefördert; ein DRS-Korrespondent aus Washington: „Die US-Wirtschaft lebt vom Kredit.“ Und das Volk auch, möchte man beifügen. Und der Berichterstatter übte sich ebenfalls im Positiv-Denken: Die US-Staatsanleihen seien noch immer sicher ... Dabei ist das einzige, was garantiert werden kann: Dass solch ein System vollkommen zusammenbrechen wird. Und dafür steht Geithner gerade.
 
Lawrence H. Summers (54) seinerseits ist noch Professor für Wirtschaftswissenschaft. 1991 bis 1993 war er Chefökonom der Weltbank, nachher Bill Clintons Finanzminister, und zwischen dem 01.07.2001 und dem 30.06.2006 amtete er als Präsident der weltberühmten Harvard-Universität. Sein Ruf ist grausam angeschlagen. Er hat die typische amerikanische Mentalität, nicht Ursachen zu beheben, sondern die Folgen des US-Lebensstils über die Verhältnisse hinaus ins minderwertige Ausland abzuschieben. Das Abschieben ist sein Hobby: So schrieb er in einem internen Weltbank-Papier, als er noch deren Geschicke massgebend mitbestimmte, es sei ökonomisch logisch, Verschmutzungen zum Beispiel „als Giftmüll in Entwicklungsländer abzuschieben, da die dort entgangenen Einnahmen durch erhöhte Krankheit und Sterblichkeit am niedrigsten seien“ (laut „Wikipedia), ein ausgesprochen schäbiges, kriminelles Verhalten, das zweifellos keine Heiligsprechung verdient. Aus US-Sicht betrachtet er die Entwicklungsländer als „unterverschmutzt“, ein Zustand, dem die USA selbstverständlich abhelfen können.
 
Aus einem Dokument des Vereins für Socialpolitik, das sich mit besonders gravierenden Ausprägungen von Zynismus befasst, fand er für seine Politik der Vermüllung armer Länder ein besonders schlagkräftiges Argument im Umstand, dass dort die Säuglingssterblichkeit sehr hoch ist: Die Menschen erreichten hier gar nicht erst ein Alter, in dem sie beispielsweise an Prostata-Krebs erkranken könnten, hielt die Finanzkapazität fest. In einem wohlhabenden Land dagegen, in dem die Menschen länger leben, sei die Wahrscheinlichkeit einer solchen Erkrankung deutlich höher, und daraus entstünden auch höhere Kosten. Seine Schlussfolgerung lautete dementsprechend: „Die ökonomische Logik, eine Ladung Giftmüll in dem Land mit den niedrigsten Löhnen loszuwerden, ist untadelig." Im erwähnten Dokument heisst es dazu: „Weder Gerechtigkeitsvorstellungen noch die Frage nach den politischen Implikationen des Müllexportes reicher Länder spielten hier eine Rolle. Wo es um ethische Fragen ging, nämlich um den Schutz von Menschenleben, wurde ausschliesslich eine Kostenbetrachtung angestellt. Das ökonomische Kalkül wurde hier keineswegs als Instrument zur effizienten Verwirklichung eines ethischen Ziels verstanden.“
 
Als dieses Dokument versehentlich an die Öffentlichkeit kam, musste Summer seinen Sessel bei der Weltbank räumen, was seiner Karriere in den USA, in denen Tugenden nicht mehrheitsfähig sind, keinen Abbruch tat. Er wurde von Bill Clinton, dann von der Harvard-Universität und jetzt eben von Obama angestellt. Jetzt gehört er zur Weltelite der Intelligenz. Die neoliberale Finanzwelt (Motto: Gewinn um jeden Preis) brach angesichts eines solch ruchlosen Geschäftemachers in eine Euphorie aus. Es ist klar, dass dieses Genie Summers bei der Schaffung des Wirtschaftsdebakels keinerlei Gegensteuer gab. Mir wäre ein Wechsel („Change“) zum Tugendhaften lieber gewesen. Doch die Weltgeschichte hat uns immer wieder gelehrt, dass es keinen Fortschritt im Sinne einer ununterbrochenen Vervollkommnung gibt. Seit dem US-Zeitalter ist das Gegenteil der Fall.
 
Bill Richardson (61) war 1998 bis 2000 in der Clinton-Regierung Energieminister, und er ist seit 2003 Gouverneur des Bundesstaats New Mexico. Seine Mutter war Mexikanerin, sein Vater ein US-Geschäftsmann. Er gilt trotz seiner Nähe zur Waffenlobby als Friedenspolitiker, der den Irak-Krieg „ein Desaster für die USA“ nannte, trat für Steuersenkungen und Ausgabenkürzungen ein. Für den Irak war das Desaster noch grösser, tödlicher. Jedenfalls will er nicht so richtig in Obamas Versammlung der fähigsten Wirtschaftsköpfe passen – schon was das Sparen anbelangt, das der US-Wirtschaft schaden würde … Und von einer Reputation als Wirtschaftsgenie spürte man bei ihm eigentlich nichts. Wahrscheinlich war seine Ernennung der Lohn Obamas dafür, dass Richardson seine Präsidentschaftskandidatur zugunsten von ihm aufgegeben und diesem den Vortritt gelassen hat. Er unterstützte Obama mit verherrlichenden Worten, was sich nun auszahlte.
 
Um meinen persönlichen Jubel auszulösen braucht es etwas mehr als eine Mischung aus Clinton-Recycling und Dankbarkeitsbezeugungen. Es brauchte das ehrliche Bemühen, das System zu ändern und die Finanzkrise von Grund auf zu bereinigen, so weit dies überhaupt noch möglich ist.
 
Die eingebundenen Medien können ihre Begeisterung nicht mehr zähmen: David Brooks formulierte in der „New York Times“: „Glauben Sie mir, ich will nicht auf den Zug der O-Phorie und die Begeisterung des Bildungsbürgertums aufspringen. Aber seine personalpolitischen Entscheidungen sind superb.“ Die US-hörige „NZZ“ war ebenfalls entzückt: „Obama verrät bei der Regierungsbildung dieselben Qualitäten wie bei seiner Wahlkampagne – Disziplin, Umsicht und Zielstrebigkeit.“
 
Erschreckend sind für mich nicht allein einige wesentliche Nominationen als solche, sondern vor allem der Umstand, dass keine Neuausrichtung in der US-Politik abzusehen sind, im Gegenteil: Die Bush-Politik dürfte akzentuiert fortgesetzt werden. Das Schuldenmachen wird gerade wieder erleichtert und propagiert. Wer ein möglichst teures Auto auf Kredit kauft, ist ein Wohltäter. So wird auch wenig nützen, dass gerade ein dissidenter Krisenprophet, Nassim Nicholas Taleb mit seinem Buch „Der schwarze Schwan“ („Black Swan“) in der Finanzwelt (inkl. Schweiz, von der er viel hält) herumreist und aufzeigt, wie grundfalsch, ja katastrophal alle die neoliberalen Prognose- und Finanzmodelle waren. Die Gegenwart ist gerade dabei, das auf dramatische Art zu beweisen. An Obama und seinen Geistesgrössen ist das unbemerkt vorbeigegangen; jedenfalls ist von einem grundlegenden Kurswechsel ausser hohlen Schlagworten überhaupt nichts zu spüren. Obama will stattdessen das „Konjunkturpaket“ aus den leeren Staatskassen noch mehr aufplustern, dem Staatsbankrott entgegen.
 
Und ebenso verheerend scheint mir, dass die Systemmedien wieder alles hirnlos mitmachen und grossartig finden, als ob bisher nichts geschehen wäre – von Lerneffekt keine Spur. Den USA gelingt es immer wieder, die verblödete, nur auf Fassaden ausgerichtete Welt in Begeisterungstaumel zu versetzen, obschon eher Anlass zum Protest vorhanden wäre.
 
Dass bei der Dimension der jetzigen Finanzkrise Einsichten ausbleiben, ist fast undenkbar, geradezu unmöglich, falls noch eine Spur von kritischer Denkfähigkeit übrig geblieben sein sollte. Doch auch das ist einmal mehr gelungen. Es gibt sie noch: die Wunder.
 
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