Textatelier
BLOG vom: 20.12.2008

Biberstein: Spaziergang zur Heidechile mit Weltpolitik-Folgen

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Die Heidechile, ein etwa 50 Aren umfassendes, fast ebenes Grundstück mit einer luftigen, aus Holzbrettern gezimmerten Scheune drauf, die zur Einlagerung von Heu und der Heuergeräte diente, ist eine der schönsten Aussichtslagen von Biberstein AG, etwa 5 km nordöstlich von Aarau gelegen. Wenn immer ich einen kleinen Spaziergang am Jurasüdfuss unternehme und möglichst schnell an Höhe gewinnen möchte, wähle ich den Gislifluhweg, der an der Heidechile und dann am Aenertal vorbei führt und bald einmal den bewaldeten Oberen Berg und via Gatter (eine Passhöhe) die Gislifluh erreicht.
 
Zweischneidiges Schwert
Eine Kirche gibt es auf der Heidechile so wenig wie im übrigen Bibersteiner Gemeindegebiet. Aber das Wort Heidechile hat es mir angetan, weil ich mich dort unter Meinesgleichen fühle, da sich meine Glaubensbereitschaft einschliesslich der Gutgläubigkeit in ausserordentlich engen Grenzen hält. Gleichwohl hatte mein Spaziergang vom Samstagnachmittag, 13.12.2008, keinerlei heidnische Motive, sondern ich befriedigte einfach mein Bedürfnis nach frischer Luft und Licht. Die Sonne beleuchtete die etwa 7 cm hohe, reflektierende Schneedecke. Der Schnee knirschte unter den Wanderschuhen; an diesem angenehmen winterlichen Knuspergeräusch konnte auf eine Temperatur um den Nullpunkt geschlossen werden. Der Südteil des bewaldeten Juragebirgs im Bereich Homberg und Gislifluh war unter dem strahlend blauen Himmel schwarz-weiss schraffiert. Auf einer abfallenden Wiese hatte ein Mountainbiker seine profilierte Spur neben einer Rehfährte hinterlassen.
 
Das Holztor der Scheune auf der Heidechile war offen, und durch die Zwischenräume ortete ich den immer freundlichen Hans Schmid-Zurrin (1930), der etwas weiter unten am Gislifluhweg 9 an einer herrlich exponierten Lage wohnt. Ich schwärmte von der Aussicht, die man von der Heidechile-Hangterrasse geniesst. Den südöstlichen, abfallenden Abschluss der Heidechile bildet ein von einer Hecke überwachsenes Mäuerchen, welches allenfalls ein Relikt von einem früheren Rebbau sein könnte.
 
Wir kamen beim Eintauchen in die Vergangenheit auf die Funde von Alemannengräbern zu sprechen, die hier ums Jahr 600 entdeckt worden sein sollen; auch eine fragmentarische Spatha, ein zweischneidiges Langschwert mit gerader Klinge, wurde hier gefunden.
 
In der 2005 erschienenen Ortsgeschichte „Biberstein“ vermutet der Historiker Markus Widmer-Dean zu diesem Fund: „Da die Sitte, den Toten Grabbeigaben beizugeben, um 700 n. Chr. verschwindet, müssten diese Bestattungen eigentlich älter sein und wohl ins 7. Jahrhundert zurückreichen. Der Sachverhalt, dass den Toten ein Schwert ins Grab gelegt wurde, lässt nur wenig Interpretationsspielraum. Ausser der Feststellung, dass es sich bei den Toten um Freie gehandelt haben muss, kann über deren gesellschaftlichen Rang nichts Weiteres ausgesagt werden. Das Grabinventar eines Kriegers des 7.Jahrhunderts n. Chr. bestand aus Spatha (zweischneidiges Langschwert), Sax (einschneidiges Kurzschwert), Schild und Lanze.“ Tatsächlich expandierten die Alemannen im 7. Jahrhundert in die Nordschweiz, als die Römer zum Rückzug gezwungen waren.
 
Laut Hans Schmid kommt in den tieferen Bodenschichten manchmal etwas Asche zum Vorschein, weshalb er vermutet, es könnte sich auch um einen Kultplatz gehandelt haben.
 
In der Festschrift „Biberstein“, die im September 1980 vom Aarauer Historiker Alfred Lüthi (1918‒2006) verfasst, aus Anlass der 700-Jahr-Feier herausgegeben wurdet, steht zu den Alemannengräbern zu lesen: „Die Gräber sollen hier (…) in Tuffgestein eingelassen worden sein. Einem der bestatteten Männer hatte man eine Spatha mitgegeben, ein einhändiges, langes, zweischneidiges Schwert, wie man es aus den Heldenliedern der Germanen kennt. Es war die typische Waffe der militärischen Anführer. Lage und Flurname sind auch in diesem Fall aufschlussreich. Die Bestattung war noch nach heidnischem Ritus erfolgt, also ausserhalb kirchlich geweihter Erde. Gräber und wohl auch die benachbarte Siedlung hatten eine beherrschende Lage, die eine Kontrolle der damals wichtigen Verkehrswege sowohl nach Auenstein als auch ins Schenkenbergertal ermöglichte. Aus den Funden dürfen wir auf eine einflussreiche, über grossen Grundbesitz verfügende Sippe schliessen, die wohl im Gebiet der späteren Gemeinde den Ton angab. Es wäre denkbar, dass sich aus dieser grundherrlichen Familie in den späteren Jahrhunderten ein Ortsgeschlecht entwickelte, das sich auch die grundherrschaftlichen Rechte anzueignen verstand und sich nach der Jahrtausendwende, als sich die Adeligen landauf und landab Burgen zu bauen begannen, auf dem Felskopf über der Aare ebenfalls einen trutzigen Bergfried errichtete, der später durch einen kleinen Palas (Wohntrakt) ergänzt wurde. Mit dieser Vermutung liesse sich eine Brücke schlagen zu der in alten Chroniken überlieferten Angabe, wonach Biberstein ,einst eigene Grafen und Freiherren’ besessen habe.“
 
Somit dürften also im 6. oder 7. Jahrhundert tatsächlich germanische (alemannische) Bevölkerungsgruppen nach Biberstein gewandert sein und sich hier niedergelassen haben, zumal es auch im kleinen Tälchen namens Buhalde („Hueb“), westlich unterhalb der Heidechile, Alemannengräber gegeben haben soll, wie der „Archäologischen Karte des Kantons Aargau“ von Jakob Heierli (1898) zu entnehmen ist. Das Buhalde-Tälchen ist insbesondere in den vergangenen Jahrzehnten mit vielen Wohnhäusern bestückt worden, und im Moment steht wieder ein Kran des einheimischen Bauunternehmers Rudolf Lipp zu neuen terrassenbaulichen Grosstaten bereit.
 
Erinnerung an Schaffhausen 1944
Die Zuwanderung in dieses Gebiet am Südfuss des Juras hat bis heute angehalten, wie man sieht. Und zugewandert im doppelten Sinne ist auch Hansens Ehefrau Emmi Schmid (1933), die soeben eintraf und unseren Dialog bereicherte. Wir waren bei unserem geschichtlichen Exkurs gerade beim Niedergang des römischen Reichs angelangt, der gewisse Parallelen zum überfälligen Bankrott der US-Weltvorherrschaft von heute hat. Emmi stammt aus Schaffhausen und kann sich noch gut an die Bombardierung von jener nördlich des Rheins gelegenen Stadt am 1. April 1944 durch amerikanische „Liberator“-Bomber erinnern. Ein Onkel von ihr (der Mann einer Schwester ihrer Mutter), der gerade das Bahnhofgebäude verlassen wollte, wurde um 10.55 Uhr von einer von insgesamt 371 abgeworfenen Brand- und Sprengbomben tödlich getroffen – er war eines von 49 unschuldigen Opfern. Die Bombe schlug in den Südtrakt des Bahnhofgebäudes ein und zerstörte das Stations- und Abfertigungsbüro inklusive den Billettschalter.
 
Wie damals, so bedeutet also dieses Amerika, welches die ganze Welt mit seinen Aggressionen und Bomben bedroht und diese bei jeder Gelegenheit einsetzt, die grösste Bedrohung für alle Länder. Hoffentlich denkt unser neuer, rechtschaffener Verteidigungsminister Ueli Maurer bei der Gefahreneinschätzung („Bedrohungsanalyse“) im Hinblick auf die Wiederbelebung der Schweizer Armee daran.
 
Erinnerung an Herbert C. Hoover
Und als gerade das Thema USA auf dem Tapet war, erinnerte Hans Schmid daran, dass der 31. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Herbert C. Hoover (1874‒1964), seine familiären Wurzeln in Oberkulm (Bezirk Kulm im aargauischen Wynental) hatte – die Familie hiess Huber, woraus dann das amerikanisierte Hoover entstand. 1665 war Stammvater Johann Heinrich Huber in die Pfalz ausgewandert. Dessen wanderfreudige Nachkommen bewegten sich 1738 weiter nach Nordamerika. Von diesen stammt Herbert Hoover ab, der von 1929 bis 1933 die USA präsidierte. Er wurde in Iowa geboren und galt als Technokrat, war ein hervorragender Organisator, der Amerika zu Wohlstand verhelfen wollte, daran aber scheiterte.
 
Im 1930 in Leipzig erschienenen Buch „Amerika schlägt England. Die Geschichte eines Wirtschaftskrieges“ von Ludwell Denny liest man über seine diesbezügliche Politik: „Er sammelte in Universitäten und technischen Schulen junge Leute, ausser den Rekruten, die er aus seinen Kriegsorganisationen im Ausland mitgebracht hatte, und sandte sie als Stosstruppen des amerikanischen wirtschaftlichen Vormarsches in die ganze Welt. Sobald er diese jungen Handelssachverständigen ausgebildet und die amerikanischen Wirtschaftsorganisationen von ihrem Wert überzeugt hatte, wurden sie den amerikanischen Banken und Konzernen zur Verwendung im Ausland überlassen, während Hoover ihre Posten im Regierungsdienst auffüllte. So entstand das Personal für den neuen amerikanischen Typus eines Wirtschaftsreiches.“
 
Hoover amerikanisierte also Amerika und die Welt, was meine Beurteilung seines Wirkens selbstredend trübt – aber aus US-Sicht war dies schon eine Leistung, zu meinem Leidwesen eine nachhaltige. Allerdings war er nicht der Erfinder der Idee einer intensiven Bearbeitung, ja Bewirtschaftung ausländischer Märkte, aber er vermittelte dieser eine nationale Bedeutung. Eine amerikanische Bank hatte schon 1900 eine Propagandaschrift unter diesem Titel zur Expansion der US-Landwirtschaftsmaschinenindustrie gestellt: „Sie haben Dollars auf fremdem Boden gesät.“ Die Dollarsaat ist für die USA aufgegangen; mit der faulen Ernte schlägt sich inzwischen die ganze Welt herum.
 
Die aus aktuellem Zusammenhang heute wieder häufig heraufbeschworene grosse Krise des Kapitalismus von 1929 unterschätzte Hoover. Ein Staatsinterventionismus war ihm zuwider, weil er als Republikaner alter Schule den Individualismus hochhielt und ein Einbruch der Bürgermoral befürchtete. Deshalb wurde er 1932 im Präsidentenamt durch den Demokraten Franklin D. Roosevelt (ursprünglich: Rosenfeld) ersetzt, der, ähnlich wie jetzt Barack Obama, den New Deal (Obama: Change) versprach – mit Sozial- und Wirtschaftsreformen, gefördert von Staatsinvestitionen (heute aus der leeren Kasse) – und massiven Staatsinterventionen.
 
So dreht sich die Geschichte an Ort – eine Fortentwicklung zum Besseren ist nicht festzustellen, schon eher das Gegenteil.
*
Die Bibersteiner Heidechile erwies sich als inspirativer Ort, veranlasste zum Nachdenken nicht nur über Heiden, sondern auch über Quäker (Hoover) und die Freimaurerei (Roosevelt). Im Bereich der Alpen tat sich ein unter einem aufziehenden grauen Hochnebel ein Föhnfenster auf. Die Sonne war plötzlich verschwunden. Abendstimmung. Ich verabschiedete mich von Emmi und Hans und wanderte über den eisigen Aenertalweg und die Ihegi heimzu.
 
Meine Gedanken wandten sich wieder dem kleinräumigen Biberstein zu, und das war Balsam, dem ich gleich noch einen Punsch nachschob.
 
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