Textatelier
BLOG vom: 18.12.2008

Bush in Bagdad: Fliegende Schuhe als Abschiedsgeschenk

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Wir sind stolz auf unseren Korrespondenten und gratulieren ihm zu seiner Tat von ganzem Herzen.“
(Chefredakteur von “al-Baghdadia“)
*
„Es war ein passender Abschied für einen Kriegsverbrecher.“
(Überregionale Tageszeitung „al-Quds al-Arabi“)
*
Als ich zuerst im Internet, dann im Fernsehen, den Schuhwurf auf US-Präsident George W. Bush, sah, konnte ich ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Anlässlich einer Pressekonferenz in Bagdad erklärte Bush gerade, dass der Irak-Krieg zwar noch nicht vorbei sei, aber gerade entschieden und gewonnen würde, da hatte der Journalist Muntazer al-Saidi (die Schreibweise ist in der Presse verschieden, auch: Montasser al-Saidi) die Schnauze voll und wollte einmal dem Kriegstreiber Bush die Leviten lesen. Nicht mit Worten, sondern mit Schuhen. Er zog seine Schuhe aus und warf diese nach Bush, der sich reaktionsschnell bückte. Die Schuhe sausten an ihm vorbei. Der Werfer rief dann Bush zu: „Das ist ein Abschiedskuss des irakischen Volkes, du Hund.“ Dann folgte noch ein Satz: „Dies ist von Witwen, Waisen und allen, die im Irak getötet wurden.“
 
„Abschied mit Grösse 44“, titelte „Spiegel online“ am 16.12.2008, und die „Badische Zeitung“ hatte folgende Überschrift parat: „Eine fliegende Beleidigung in Schuhgrösse 10.“ Und was sagte eine meiner Nachbarinnen zu dem Vorfall? Sie musste herzhaft lachen, als ich den Schuhwurf erwähnte. Sie meinte: „Ich hätte eine solche Reaktion dem Bush nicht zugetraut. Er ist ein alter Krieger. Er wollte sicherlich nicht mit Schweissschuhen Bekanntschaft machen und duckte sich.“ Eine andere Frau bedauerte, dass Bush nicht getroffen wurde. Auch der Politsatiriker Georg Schramm kommentierte den Schuhwurf in der ZDF-Sendung „Neues aus der Anstalt“ am 16.12.2008 und äusserte: „Schade, dass im Schuh kein Bein steckte.“
 
US-Komiker verspotteten Bush
Auch das gibt es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten: US-Komiker verspotteten Bush nach dem Schuhwurf von Bagdad. Der Schuhwurf wurde im US-Fernsehen sehr oft wiederholt. David Letterman bemerkte, Bush sei damals dem Vietnam-Krieg so gut ausgewichen wie jetzt den fliegenden Schuhen. Dann bemerkte er noch dies: „Schade, dass er bei Bin Laden, Hurrikan Katrina oder der Immobilienkrise nicht so schnell reagiert hat.“ Auch als er die Nachricht vom Anschlag auf das World Trade Center erfuhr (er war damals in einer Schule zu Gast), verharrte er minutenlang, bevor eine Regung sichtbar wurde. Er wirkte wie paralysiert und war zu nichts fähig.
 
Viele Amerikaner waren von der flinken und anmutigen Weg-Duck-Aktion beeindruckt. Andere meinten jedoch, er habe  in seiner Amtszeit die Fähigkeit erlangt, sich zu drücken und sich durchzumauscheln. Eine Frau bedauerte, dass sie nicht die Schuhe geworfen hat. Bush sagte nach den Würfen: „Das ist einer der eigenartigsten Momente während meiner gesamten Amtszeit.“
 
Auch Hugo Chávez witzelte
Der linksnationalistische venezolanische Präsident Hugo Chávez witzelte über Bush und äusserte Verständnis für den Angreifer. Er ist zwar dagegen, wenn Menschen mit Schuhen beworfen werden, aber man muss bedenken, dass Bush zwar nicht mit Schuhen, dafür mit Bomben geworfen hat. Und diese brachten Tod und Zerstörung.
 
Chávez hat früher Bush als einen „Teufel“ bezeichnet. Jetzt betonte Chávez, man müsse eigentlich Bush gratulieren, da er noch seine Reflexe habe.
 
Angriff mit hoher Symbolkraft
In der arabischen Welt wurde der Schuhwurf positiv aufgenommen und der Werfer als Held bezeichnet. In Arabien ist das Zeigen der Schuhsohle oder das Werfen von Schuhen die schlimmstmögliche Beleidigung. Dort kursiert der Spruch: „Siehe, du bist noch niedriger als meine Sohlen, die immer im Dreck sind!“
 
Als 2003 die Statue des Diktators Saddam Hussein gestürzt wurde, schlugen Iraker mit den Sohlen ihrer Schuhe auf das Gesicht der Statue herum. Damit wollten sie tiefste Verachtung ausdrücken.
 
Der Schuhwurf hat also eine hohe Symbolkraft. Das Land wurde von einem Diktator befreit, aber die Amerikaner legten mit ihrer Ignoranz und Arroganz das Land in Trümmer. Hunderttausende Iraker kamen ums Leben oder wurden verletzt. Und heute sieht es düster für das Land aus: oft gibt es keinen Strom, keine Dienstleistungen und keinen Wiederaufbau. Seltsamerweise wird in der westlichen Presse kaum über die heutigen desolaten Zustände berichtet.
 
Auch so mancher Palästinenser würde so manchen Schuh auf Bush werfen, aber auch nach Tony Blair und Angela Merkel. Diese reden immer von Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung, aber machen nichts gegen die Abriegelung Millionen von Menschen im Gaza-Streifen (Infos unter www.tagesschau.de/kommentar/bushirak106.html).
 
Die arabische Welt hat einen Helden
Die regierungskritische irakische Nachrichtenagentur INA gratulierte dem Werfer „zu seinem mutigen Auftreten“. Die in London erscheinende Zeitung „al-Quds al-Arabi“ schrieb in einem Kommentar, der Vorfall sei „ein angemessener Abschied für einen Kriegsverbrecher“. In Amman wurde auf den Strassen getanzt, und in Kairo bildeten sich Autokolonnen, die hupend herumfuhren.
 
Überall fordern Araber die Freilassung für ihre neuen Helden. Nach der Schuhattacke wurde der Werfer verhaftet und in ein Gefängnis geworfen. Dort soll er nach neusten Meldungen sogar misshandelt worden sein. Die neuen irakischen Machthaber scheinen von den US-Militärs einiges gelernt zu haben. Nach dem Vorfall zeigte sich die irakische Regierung desavouiert. Sie sprach von einem „schändlichen“ Vorfall. Der Vorsitzende der irakischen Organisation für Pressefreiheit, Ziad al-Adschili, äusserte sich sehr vorsichtig. Er meinte, der Journalist habe sehr „unprofessionell“ gehandelt. Er hätte Bush lieber in einer „geschliffenen Verbalattacke in englischer Sprache“ konfrontieren sollen.
 
Nun, wenn er professionell gehandelt hätte, dann wäre kaum der Bush-Besuch beachtet worden. Nun hat Bush ein nettes Abschiedsgeschenk bekommen, das er verdient.
 
Inzwischen sollen sich 100 Anwälte bereit erklärt haben, den Journalisten vor Gericht zu verteidigen. Auch ich würde den tapferen Journalisten verteidigen.
 
Zum Schluss noch eine Pressestimme. Die „Mitteldeutsche-Zeitung“ (Halle) schrieb am 16.12.2008 dies: „Fliegende Schuhe statt Applaus und eine Rede hinter Türmen von Sandsäcken: Schmachvoller hätten die Abschiedsbesuche von Bush in Irak und Afghanistan wohl kaum sein können. Bush hat ein weiteres Mal erlebt, wie viel die US-Aussenpolitik bisher in den beiden Krisengebieten erreicht hat: nämlich fast nichts. Sicherlich ist es dank des massiven Truppeneinsatzes sowohl im Zweistromland als auch am Hindukush gelungen, diktatorische Machtstrukturen zu zerschlagen. Doch noch immer fehlt der US-Politik das Gefühl für vorauseilende Nachsorge.“
 
Auch bei uns werden Politiker beworfen
Er kommt in Deutschland schon mal vor, dass unzufriedene Bürger Politiker mit faulem Obst, Tomaten oder Eier bewerfen. Das markanteste Beispiel war ein Eierwurf am 10.05.1991. Der damalige Kanzler Helmut Kohl wollte ein Bad in der Menge vor dem Rathaus in Halle geniessen. Aber da hatte er die Rechnung ohne die anwesenden 100 Kritiker gemacht. Als Eier und Tomaten auf Kohl geworfen wurden, konnte sich der Kanzler nicht mehr zurückhalten. Wutschnaubend wollte sich Kohl auf den Eierwerfer stürzen. Als er eine Absperrung beiseite räumen wollte, hielten ihn einige Sicherheitskräfte zurück. Später rechtfertigte sich Kohl so: „Da ich nicht die Absicht habe, wenn jemand vor mir steht und mich bewirft, davonzulaufen, bin ich eben auf die zu, und da war ein Gitter dazwischen gestanden, und das war von Nutzen.“
 
Damals hatte nicht der Werfer, sondern der Bundeskanzler meine volle Sympathie. Auch bei jener Gelegenheit habe ich mich köstlich amüsiert und war von der Reaktion des Kanzlers gar nicht so überrascht. Man mag daraus ersehen, dass Schuhe neben dem Symbol- auch einen gewissen Unterhaltungswert haben.
 * 
Hinweis auf ein Schuhwurfspiel
Ein Brite entwickelte ein Internet-Spiel zum Schuhwurf. Auf seiner Website http://play.sockandawe.com/ darf jeder mit virtuellen Schuhen nach dem US-Präsidenten werfen. 1,4 Millionen Nutzer sollen das Spiel schon aufgerufen haben. Auch ich hatte meine Freude am Spiel und landete einige Treffer. Sonst habe ich wenig übrig für Spiele am PC. Aber dieses Spiel hat mich fasziniert.
 
Inzwischen ist der Schuhwerfer von Bagdad Kult. Es gibt bereits weitere Spiele, aber auch Gedichte und Fanclubs. In einem Gedicht, das den Titel „Wirf Deine Schuhe“ trägt, wird u. a. dies zum Ausdruck gebracht: „Jede Frau wünscht sich, Montasser in ihrer Gebärmutter getragen zu haben.“
 
Und schon kursiert das erste Schuhwerfer-Quiz. Gefragt wird: Welche 3 Schuhe haben Geschichte geschrieben? Antwort: der Schuh von Cinderella, der Schuh von Chruschtschow (er klopfte 1960 während einer Rede bei der UNO mit seinem Schuh auf den Tisch) und jetzt der Schuh (bzw. die Schuhe) von Montasser.
 
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