Textatelier
BLOG vom: 29.01.2009

Die Risotto-Zubereitung nach Tessiner Art im grösseren Stil

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Wenn man ein Gericht wie beispielsweise einen Risotto einmal für 2 und dann beispielsweise für 100 Personen zubereitet, wird das Resultat vollkommen unterschiedlich sein, auch wenn dieselben Zutaten und Verhältnismässigkeiten im Spiele sind. Schon der Prozess der Erhitzung und der Wärmeverteilung ist ein ganz anderer. Bei grösseren Mengen sind die Abläufe verlangsamt, der Kochprozess spielt sich in einem grossen Kübel nicht so wie in einem kleinen Pfännchen ab. So kommt zum Beispiel in grösseren Töpfen das einzelne Reiskorn weniger oft und nicht so intensiv mit dem erhitzten Pfannenboden in Berührung.
 
Aus solchen Gründen, die von degustativen Erfahrungen untermauert sind, liebe ich Gerichte aus grossen Kübeln, wie etwa auch das militärische Gericht „Spatz“, wobei da nicht etwa Vögel verzehrt werden, sondern mit dem „Spatz“ ist eine Art Pot-Au-Feu mit meistens kernigem Fleisch von alten Rindern gemeint, an dem noch etwas Geschmack gebendes Fett und im Idealfall auch ein paar Fetzen Haut hängen. Es wurde in einer Gemüsesuppe (mit Zwiebeln, Karotten, Lauch, Sellerie, Kohl, Kartoffeln und Gewürzen wie Lorbeerblatt, Nelken, Pfeffer, Muskat, Liebstöckel, Salz usw.) gesotten. Das sind für mich Delikatessen, welche der Filet-Langeweile hoch überlegen sind.
 
Meine Garage „Auto Schmid Rohr AG“ in CH-5032 Rohr AG (Geschäftsführer: Samuel Käser) lädt ihre Kunden alljährlich, diesmal auf den 24.01.2009, zu einem Risottoessen nach Tessiner Art ein, das ich mir aus den genannten Gründen nicht entgehen lasse. Und dieser Risotto mit reichhaltigen Zugaben von getrockneten Steinpilzen schmeckt jeweils vortrefflich: grosse, saftige Reiskörner, mit etwas Biss, geschickt mit Salz und Grano Padano-Käse aus der Parmesanfamilie abgeschmeckt und der Rotweinzugabe wegen von leicht bräunlicher Farbe. Etwas Safran spürt man ebenfalls heraus. Für die Authentizität des Gerichts sorgen Tessiner Männer, die in der Region Aarau leben und zum Verein Pro Ticino Aarau (Sitz: Suhr AG) zusammengefunden haben.
 
Die rührseligen Männer hatten sich in der Nähe der Autowaschanlage behelfsmässig eingerichtet, und sie betrieben auf Gasbrennern ihr Handwerk mit Geschick und Sinn für den perfekten Garpunkt. Sie verwendeten grosse Stahltöpfe, in denen sie 5 kg italienischen S.Andrea-Reis aufs Mal zubereiten konnten. Sehr gut geeignet wären auch der Tessiner Reis, der Carnaroli aus der Poebene oder aber Vialone und Arborio. Mit der Beschränkung auf 5 kg pro „Chochete“ konnte die Produktion auf den Besucherandrang abgestimmt werden.
 
Risottoreis muss stets in einer heissen Fettmasse (es kann auch Olivenöl sein) glasiert werden. Deshalb wurde zuerst ein grosses Stück eingesottene Butter im Stahltopf geschmolzen, bevor eine grosse Menge gehackte Zwiebeln und etwas später der Reis zugeschüttet und ebenfalls angeröstet wurden. Das Fett durchdringt bei dieser Prozedur die Reiskörner. Selbstverständlich wurde der Reis nicht gewaschen, denn man röste einmal nasse Reiskörner an! Als die Körner so richtig durstig geworden waren, wurden sie mit einer Flasche Tessiner Merlot, wie man ihn auch zum Essen trank, abgelöscht. Man könnte stattdessen auch einen Weisswein verwenden, der ein etwas feineres, farblich helleres Gericht liefern würde. Ansichts- und Geschmackssache.
 
Einer der Köche rührte mit einer grossen Holzkelle, wie man sie früher für den Einsatz in Wäschezubern gebrauchte, ununterbrochen, während ein anderer mit einer grossen Schöpfkelle eine frisch zubereitete Fleischbrühe (Bouillon vom Huhn oder Rind, allenfalls kann auch eine Gemüsebrühe verwendet werden) und die etwas angewärmten, eingeweichten Pilze in stattlicher Menge zugab. Auch eine italienische Safranpaste kam später noch hinzu – nach Milaneser Art.
 
Im Tessin (und von mir) wird für die Risottozubereitung oft auch Rindermark verwendet. Ich koche immer ein Markbein mit, was dem Gericht einen zusätzlichen Schmelz gibt. Ein ähnlicher Effekt kann auch erzielt werden, indem man am Schluss des Kochvorgangs noch etwas frische Butter unter das Gericht zieht.
 
Der Reis saugt die Flüssigkeit allmählich auf, und dann wird man bei Bedarf wieder etwas Bouillon zugeben. Nach etwa 15 bis 18 Minuten (bei grösseren Mengen braucht es ein paar Minuten mehr) werden die sämigen Körner den richtigen Biss haben, das heisst noch ihren festen Kern spüren lassen. Dann wird der Reibkäse darunter vermischt (man könnte ihn auch über den Risotto streuen). Man nimmt den Topf vom Feuer, und nach etwa 3 Minuten wohlverdienter Ruhe kann in tiefe Teller geschöpft werden – alles in allem eine wirklich schöpferische Aufgabe.
 
Die opulente Tessiner Art der Risotto-Zubereitung entspricht weitgehend der italienischen. Die Zubereitung braucht die volle Hingabe; denn unterlässt man das Rühren, würde der Reis anbrennen und einen unerwünschten Beigeschmack erhalten – es ist also durchaus möglich, einen Risotto zu ruinieren.
 
Aber dieser Krug ist in Rohr an uns vorbeigegangen. Das Reisgericht liess keine Wünsche offen. So widmete ich denn dem Risotto Ticinese mehr Aufmerksamkeit als dem „kleinsten 4-Plätzer der Welt“, dem „Toyota iQ“, der soeben auf den Markt kommt und neben den Tischen und Bänken stand. Gestärkt entschloss ich mich zu einem Probesitzen vor der asymmetrischen Armatureneinheit. So eindrücklich technische Innovationen auch sein mögen – ich bin doch eher der Risottotyp.
 
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