BLOG vom: 06.03.2009
Kraftwerkbau Rheinfelden: Wie Schloss Beuggen gerettet wird
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
Einen Fluss wie den Hochrhein kann man nicht einfach abstellen. Das Wasser läuft und läuft und läuft, einmal in kleinerer, dann wieder in grösserer Menge, je nach Wetter. Im Durchschnitt kommen in Rheinfelden 1000 Kubikmeter pro Sekunde (m3/sec) vorbei, also 1 Million Liter, manchmal sind es 500, dann gelegentlich 3800 m3/sec (August 2007). Als wir die Kraftwerk-Baustelle in Rheinfelden am 04.03.2009 besuchten, waren es gerade 630 m3/sec. Das war an sich wenig spektakulär. Doch man baue einmal in solch einem ständig fliessenden Gewässer mit den gewaltigen Wasserkräften ein neues Kraftwerk! Sie werden bald einmal darauf kommen, dass im Fluss nacheinander 3 wasserdichte Baugruben mit Spundwänden gebaut werden müssen, damit bis 30 m tief unter dem Flusswasserspiegel trockenen Fusses und mit trockenen Baggerraupen gearbeitet werden kann.
Damit dieser Baugrubenbau möglich war, musste im Fluss eine Dammschüttung in der Form der neuen Baugrubenerschliessung vorgenommen werden – der Baggerführer konnte nicht schwimmen, wie sich später herausstellte; aber diese Fähigkeit brauchte er auch nicht. Im Fels musste mit Hilfe von grossen Bohrmaschinen ein Fundament erstellt werden: eine überschnittene Bohrpfahlwand mit einem Durchmesser von maximal 90 cm, welche bis 10 m tief in die Felssohle aus Muschelkalk eingebracht wurde. Erst auf dieser konnte die erwähnte Spundwand mit einem Umfang von 320 m verankert werden. Da aber das Wasser immer nach undichten Stellen sucht, musste rund um die Baugrube noch ein Dichtungsschleier (Verpressen der Klüfte im Fels) bis 18 m tief unter das Rheinbett abgetäuft werden. Das geschah im Sommer 2003, als die Wasserführung des Rheins verhältnismässig gering war. Am 14.01.2004 stieg der Rheinabfluss kurz auf 3000 m3/sec an – und die Grube bestand diesen Härtetest. Etwa 3 Jahre gehen allein für die Baustelleneinrichtung drauf.
Seither wird am neuen Wasserkraftwerk Rheinfelden CH/D etwas unterhalb des bestehenden Stauwehrs zügig gebaut; die Landesgrenze ist dort nicht etwa in der Flussmitte, sondern an der tiefsten Stelle. Bereits sind die Arbeiter in der 3. Baugrube auf der Schweizer Flussseite beschäftigt, in der das Maschinenhaus (Krafthaus) auf Verwerfungen und Hohlräumen, die hydrostatisch zu verfüllen waren, entstehen soll; der Stau ist bereits auf das neue Stauwehr verlegt, das bis zu 5400 m3 Wasser pro Sekunde sicher abführen kann. Die Arbeiten sollen hier 2011 beendet sein. Das neue Krafthaus, das ebenfalls quer im Wasser steht, wird vor allem unterstromig (unter Wasser) angelegt, damit das Landschaftsbild geschont wird; es wird nur 2 m über den Wasserspiegel hinaus schauen, aber 30 m in die Tiefe hinab reichen. 4 Turbinen mit 6,5 m Durchmesser hinter einer Grobrechenanlage mit einem bis dahin nicht gekannten Schluckvermögen von je 250 m3/sec, die sich auch von armdicken Baumstämmen nicht beeinträchtigen lassen, übernehmen den Antrieb. Wahrscheinlich würden sie auch mit einem Känguruh-Leichnam fertig, wie er tatsächlich einmal im Grobrechen des alten Werks anlandete … Die Generatorleistung beträgt 35 000 KVA.
Damit die Elektrizitätsproduktion auf diese Höhe hinaufgeschraubt werden kann, werden der Einstau im Oberwasser um 1,4 m (auf 270,5 m ü. M.) – auf 1 Zentimeter genau – erhöht und anderseits die Rheinsohle entlang des Schweizer Ufers auf einer Breite von zirka 100 m eingetieft. Dadurch gehen etwa 46 % des landschaftsprägenden Gwilds verloren. Mit dem Wort Gwild (Gwilt) werden die charakteristischen felsigen Stromschnellen (Laufen) des Hochrheins bezeichnet (von allemannisch = wildes Wasser). Insgesamt müssen 65 naturschützerische (ökologische) Auflagen erfüllt werden.
Bei Niedrigwasser liegt die von den tiefen Canyons gezeichnete Felslandschaft fast trocken; mit steigender Wassermenge aber entwickelt sich ein typischer Wildwassercharakter, ein faszinierendes Naturschauspiel. Damit das so bleibt, wurde in den Genehmigungsauflagen festgehalten, dass mindestens die Hälfte der Gwildfläche erhalten bleiben und ihre ökologisch wichtige Funktion erfüllen können muss. Die Benässung dieser Fläche mit etwa 30 m3/sec erfolgt mit Hilfe einer zusätzlichen Dotierturbine im Trennpfeiler zwischen Maschinenhaus und Wehr, die das Tosbecken und dann das Gwild mit Wasser beliefert und gleichzeitig etwas Strom (2 MW) erzeugt; die Leistung des Kraftwerkneubaus beträgt damit total 102 MW (altes Werk: 26 MW), also rund viermal mehr als bisher.
Die Jahresproduktion erhöht sich dementsprechend auf 600 Mio. kWh, die für fast 200 000 Haushalte ausreicht. Die Baukosten sind mit 380 Mio. Euro veranschlagt, angesichts der Dimensionen und Probleme des Baus eher bescheiden, besonders auch im Vergleich zu dem, was Banken im Schlepptau der USA-Schuldenmacherei im Moment vernichten. Die Renovation der Kraftwerke Laufenburg (250 Mio. Euro) und Zwillingskraftwerk Wyhlen (100 Mio. Euro) erscheinen auf den ersten Blick vergleichsweise hoch.
Das alte Kraftwerk Rheinfelden
Das alte Kraftwerk Rheinfelden, das 1898 in Betrieb genommen wurde und bis heute seinen Dienst treu versehen hat, ist bemerkenswert. Es war die erste grosse Wasserkraftanlage in der Geschichte der europäischen Elektrizitätsproduktion und gilt als zweitältestes weltweit (nach dem Niagara-KW, das 3 Jahre früher errichtet worden war). Die Rheinstrecke bei Rheinfelden war schon damals wegen ihres grossen Gefälls auf kurzer Strecke aufgefallen, wiewohl der ganze Hochrhein für Wasserkraftwerke beste Voraussetzungen bietet (rund 1 m Gefälle pro Kilometer Fluss), weshalb es dort 11 Staustufen gibt.
Das Rheinfelder Kraftwerk wurde von der Kraftübertragungswerke Rheinfelden Aktiengesellschaft (KWR) erstellt, die seit 2002 Energiedienst AG (ED) heisst. Das alte Krafthaus soll im Herbst 2010 seinen Dienst beenden, und es wird dann leider abgerissen, obschon es eines der schöneren Gebäude im Rheinfelder Industriegebiet auf deutscher Seite ist. Dort ist unter anderen die Evonik (früher: Degussa), ein Spezialchemiekonzern. Ende August 2006 begann dieses Unternehmen mit der Herstellung von Monosilan (ein Siliziummolekül, SiH4), aus dem das Solarsilizium gefertigt werden kann. Auch einige Gebäude der 1889 angekommenen Alusuisse sind noch dort, die dann zur Aluminium Industrie AG (AIAG) und nachher zur Algroup wurde und 2000 mit der kanadischen Firma Alcan fusionierte. In Rheinfelden (Name: Rheinfelden Alloys) werden Aluminium-Gusslegierungen hergestellt. Auch die Namen sind zu einer Art Legierung geworden, wie es die Globalisierung will.
Anstelle des heutigen Kraftwerkkanals wird ein naturnahes Fliessgewässer Fischen und anderen Wasserlebewesen neben Laichplätzen auch Aufstiegsmöglichkeiten bieten, wie sie nun einmal zu einer Industriegesellschaft gehören. Dank der mit Muschelkalksteinen wirklich perfekt angelegten Fischtreppe (Fachjargon: Raugerinnebeckenfischpass) auf der deutschen Seite haben bisher 21 Fischarten den Aufstieg geschafft, auch bodennah wandernde Fische wie Groppen, Schmerlen und Aale, aber auch Krebse. 3 der insgesamt 44 von Schwarzpappeln beschatteten Becken sind Ruhebecken mit geringer Strömung, in denen sich die Wassertiere beim Aufstieg ausruhen können. Es fehlen bloss noch die Coca-Cola-Automaten.
Unser Wissenschaftsautor Heinz Scholz hatte mich zur Teilnahme an der Führung auf der KW-Baustelle eingeladen – etwa 50 interessierte Personen haben sich beim Informationspavillon an der Unteren Kanalstrasse in D-79618 Rheinfelden eingefunden. Roman Gayer und Sabine Trapp-Brüstl vom ED waren kompetente und angenehme Begleiter durch die Geschichte und über die Baustelle, wo eifrig auf- und abgebaut wurde. Sie machten auch auf einen bemerkenswerten Nebenaspekt aufmerksam: das Schloss Beuggen, das wegen des Aufstaus nasse Füsse erhält.
Besuch beim Schloss Beuggen
Heinz Scholz, sein Bekannter, Ewald Greiner, und ich absolvierten nach einem Abschiedskaffee im Info-Pavillon deshalb eine kurze Visite im Schloss Beuggen (Gemeindegebiet von Rheinfelden D), das rund 2 km flussaufwärts gelegen ist und wegen des Höherstaus von 1,4 m im Oberwasser im Fundamentbereich eine aufwändige Trockenbehandlung erhält und als ehemaliges Wasserschloss recht eigentlich wieder als solches neu geboren wird. Der Höherstau soll im Oktober 2010 erfolgen.
Wir betraten den Schlossbereich durchs Obere Tor beim Torhaus, über dem uns ein schöner Stein mit dem Andlauer Wappen willkommen hiess. Die Schenke (Trinklokal), die einmal da drinnen war, gibt es leider nicht mehr.
Dass die immer wieder erweiterte und umgebaute Schlossanlage aufs Jahr 1268 zurückgeht, sieht ihm kein Mensch an. Insbesondere zwischen 1585 und 1598 wurde das Schloss im Renaissancestil neu gebaut bzw. erweitert. 1752 bis 1757 baute es der Baumeister des Deutschen Ordens, Johann Caspar Bagnato (1696‒1757) um und verpasste dem Bauwerk ein spätbarockes Aussehen mit ziegelroten Haus- und Fensterumrahmungen, genau dem Farbton von Scholz’ Windjacke entsprechend. Der Schlossbereich unmittelbar am rechten Rheinufer und teilweise umfasst von Ringmauer und Wassergraben ist ein kleines, in sich geschlossenes Dorf mit Gebäuden aus verschiedenen Bauperioden. Es umfasst das alte und das neue Schloss, seit 1983 eine Tagungs- und Begegnungsstätte, die Schlosskirche mit einem Glockenturm als Dachreiter, die Firmarie (Pfarrhaus), eine Mühle mit dem Wappen des Komptur von Stadion über der Haustür, eine Bogenhalle (Remise), eine Scheune, eine Schütte (Küferei, Kelterei), ein Teehaus, den Hof sowie den Storchenturm, auf dem Störche gelegentlich ihre Brutgeschäfte erledigen. Die Anlage liegt heute bis 3 m unter dem Wasserspiegel. War hier von 1815‒1816 Kaspar Hauser, der geheimnisvolle junge Mann, der wohl ein badischer Erbprinz war, versteckt?
Die Anlage, im Eigentum der evangelischen Landeskirche Baden D, ist im Moment eine ausladende Baustelle. Aussenmauern sind bis tief hinunter freigelegt und wasserdicht verpackt, vor allem dort, wo Keller sind. Dort erfolgt die Gebäudesicherung mit einem Horizontaldichtungsschleier im Mauerwerk sowie einer äusseren und inneren Abdichtung im Mauerwerk mit einer teilweisen Auffüllung der Keller. Der Kellerverlust wurde entschädigt.
Wir fanden dann einen Durchschlupf im Drahtgitterzaun und konnten die Gebäude auch von der Rheinseite her begehen beziehungsweise betrachten; noch ist dort ein schmaler Landstreifen vorhanden. Rheinseitig sind die Bauten durch eine Anschüttung hinter organisch angeordneten Muschelkalksteinbrocken und mit weiteren baulichen Massnahmen gesichert; dieses Unterfangen kostet insgesamt etwa 2,4 Mio. Euro.
Ich kann mir vorstellen, dass die Schlossanlage nach den Bauarbeiten und dem Aufstau an Ästhetik noch gewonnen haben wird, auch was den teilweise erhöhten Park anbelangt. Eine nette Frau aus der Stadt Rheinfelden, mit einer Rebschere bewaffnet, war gerade mit der Pflege von Blumenrabatten beschäftigt – gratis, wie sie betonte. Die Schneeglöckchen blühten schon. Die Hobbygärtnerin findet an diesem mystischen Ort offensichtlich Erbauung, Geborgenheit, Erholung. Und gewiss wird es bald vielen anderen Leuten ebenso ergehen.
An jenem Nachmittag war das Schloss an sich geschlossen. Nachdem wir das Hauptportal aus Eichenholz zu öffnen versucht hatten, erschien eine Angestellte und gewährte uns den Eintritt in den neu, hell und modern gestalteten Empfangsraum, der einst als Kutscherstube, Priesterstube, Verwaltungsraum, Werkraum und zuletzt als kleiner Speisesaal gedient hatte – und wo auch die Moderne eingezogen ist. In einer Fensternische ist ein PC mit Netzzugang – gerade vis-à-vis einer gusseisernen Ahnenprobe des Komturs Hartmann von Hallwyl aus dem 16. Jahrhundert, auf dem die 8 adeligen Urgrosseltern nachgewiesen werden, wie sie für die Aufnahme in den Deutschen Orden nötig war. Im Büroraum konnten wir die Broschüre „Schloss Beuggen. Geschichte, Gebäude, Gegenwart“ für 5 Euro erwerben. Ohne dieses vom Freundeskreis des Schlosses herausgegebene Büchlein wäre es mir nicht möglich gewesen, so detailliert über diese reizvolle Anlage zu erzählen, die es sehr wohl verdient, vor aufsteigendem Wasser gerettet zu werden.
Weitere Quelle: Sonderdruck „Neubau Wasserkraftwerk Rheinfelden“ aus „Wasser Energie Luft“ 3-2008, VH-5401 Baden. Autoren: Helmut Reif und Armin Fust.
Informationen: www.energiedienst.de
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