Textatelier
BLOG vom: 13.03.2009

Londoner Ausstellung: Shah Abbas – Remaking of Iran

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Am Samstag, 07.03.2009, besuchte die ganze Familie diese höchst sehenswerte Ausstellung im British Museum (19. Februar bis 14. Juni 2009). Hervorragend, dass solche und ähnliche Ausstellungen stattfinden (siehe Blog-Hinweise), denn sie sind für mich „die beste Stimmgabel der Diplomatie gegen Bomben“, weil solche Ausstellungen Wissenslücken schliessen und mit irrigen Vorstellungen aufräumen, diesmal punkto Persien. Nur die USA und Israel stufen dieses Kulturland nach wie vor als „Achse des Bösen“ ein.
 
Die Savavid-Dynastie herrschte zwischen 1501 und 1629 und erreichte mit dem 5. Herrscher, Shah Abbas, ihren Höhepunkt. Die u. a. an das Ottoman-Reich verlorenen Territorien eroberte Shah Abbas zurück, und Persien weitete sich bis nach Bagdad aus. Shah Abbas vertrieb die Portugiesen aus dem Fort auf der Hormuz-Insel, sicherte und baute die Handelswege aus. Mogul Indien wurde zu Persiens wichtigstem Handelspartner. Das Reich fand neue Absatzwege für Seide und Teppiche in Europa (England, Frankreich, Holland, Spanien usf.) und importierte im Gegengeschäft Gold und Silber.
 
Isfahan (übersetzt: ‚nisf-i jahan‘ = Hälfte der Welt) wurde 1589 zur Hauptstadt des Landes. Prunkvolle Moscheen entstanden dort und in Qum, Shiraz und Mashad. Diese Wallfahrtsorte spielte Shah Abbas geschickt gegen Mekka aus und sicherte dem Land, dank der Pilgerscharen, ein zusätzliches Einkommen. Er siedelte Armenier in Isfahan an und erbaute ihnen eine Kathedrale. Sie durften weiterhin ihren christlichen Glauben beibehalten. Die Armenier trieben den Teppichhandel voran und fanden gastfreundliche Aufnahme in Persien. Der Handel gedieh, und Isfahan wurde zur weltoffenen Metropole.
 
Auch in den Künsten galt Shah Abbas als ein Erneuerer und Wegbereiter. Er förderte das Kunsthandwerk, die Kalligrafie, Miniaturen und Manuskripte aller Art, die Poesie, die Baukunst. Ich werde einige Beispiele aus dem reichhaltigen Ausstellungskatalog pflücken, doch gilt es zuerst, diesen Herrscher kurz vorzustellen.
 
Shah Abbas wird einerseits nachgesagt, dass er ein feuriges Temperament hatte und sich brutal seiner Gegner entledigte. Anderseits war er weichherzig, aufgeschlossen und fühlte sich auch bei den Derwischen ausserhalb seines prunkvollen Palasts wohl. Er mengte sich oft schlicht bekleidet unters Volk. Von mittlerer Grösse und blauäugig, trug er einen wuchtigen schwarzen Schnauz. Er reiste viel durch die Provinzen Persiens, die er aus den zerklüfteten Stammestraditionen in seinen autoritären Bann zog. Er straffte die Zügel der islamischen Rechtslehre. Bald war er ein Asket und pilgerte barfuss von Isfahan zum Schrein der Freitagsmoschee in Mashad, bald hielt er an Festlichkeiten mit und genoss seine Schale Wein. Es ist mir kein Trost zu wissen, dass Mary, die Königin von Schottland, geköpft wurde. Im Hinblick auf die Thronnachfolge zeigte sich auch Shah Abbas von der grausamsten Seite: Er liess einen Sohn ermorden und 2 anderen seiner Söhne die Augen ausstechen.
 
Zurück zu der von Shah Abbas eingeleiteten Renaissance von Persien, erinnere ich mich sehr wohl meiner Besichtigung der Freitagsmoschee. Lily, ihrer Mutter und mir wurde der Weg durch die Masse der Gläubigen bis zum Schrein vom Iman Riza von einem Diener vorgebahnt. Worte reichen nicht aus, um die kunstvoll in blauen Kacheln eingelegten Koran-Inschriften beim Haupteingang und den mit Silber und Gold strahlenden Verputz, das Minarett und den Dom zu würdigen. Auf dem Vorplatz waren persische Gebetsteppiche ausgebreitet, worauf sich die Gläubigen zum Gebet niederliessen. Die in der Ausstellung gezeigten Seidenteppiche mit Gold- und Silberfäden durchwirkt, sind die Meisterwerke der feinsten Knüpfkunst. Ein alter, feiner Wollteppich, etliche Jahrhunderte alt, ziert unseren Salon und zeigt ähnlich traditionelle, geometrische Muster wie einige der ausgestellten. Lilys Familie stammt ursprünglich aus Nayim, und dieser Teppich hat sie durch Generationen begleitet – bis nach Wimbledon …
 
Lange bestaunten wir die rhythmisch durchpulsten kalligrafischen Kunstwerke von Ali Riza Abbasi in diagonal hängenden Schriftzügen (nasta’liq), der für Shah Abbas wirkte. Dieser Kalligraf war gleichzeitig der Leiter der kaiserlichen „kitab-khaneh“-Bibliothek und Werkstatt der kalligrafischen Kunst. Damit haben wir zugleich die Poesie erreicht: etwa zu den Versen aus „Haft Aurang“ (sieben Throne). Ein Vers schildert, wie ein Jüngling von seiner Dachwarte eine 14-jährige Schönheit beäugte, bis sich ihm ein alter gekrümmter Mann näherte und den Jüngling zum Ziel seiner amourösen Zuneigung machen wollte. Der Jüngling bat ihn, stattdessen das liebliche weibliche Wesen zu bewundern. Kaum hatte sich der Greis nach ihr umgedreht, stiess ihn der Jüngling vom Dach. Der Geschichte war, wie es sich gebührt, eine Moral zugegeben.
 
Viel Poesie rankt sich um wehmütige Trauer von jemand, der das Leben intensiver im Schlaf als im Wachzustand erlebt. Die Wirklichkeit der unsichtbaren Welt wird gegen die Unwirklichkeit der materiellen Welt ausgespielt und fällt in den Bereich der mystischen Poesie. Eine Verhaltensregel, wiederum von Abbasi kalligrafisch geschildert, besagt: „Zuerst schaue auf alle Seiten; iss weniger, spreche weniger und schlafe weniger. Mache dies zu deinen Gewohnheiten.“ Hier ist der Beginn eines weiterer poetischen Ausspruchs, diesmal vom Kalligrafen Imad al-Hasini geschrieben: „Nutze den Tag, denn die Welt ist flüchtig. In den Augen des Weisen ist der Augenblick besser als die ganze Welt.“
 
Die persischen Miniaturen entzücken mich ganz besonders. Ich geniesse die humorvoll dargestellten Derwische, die weisen Bettelmönche, wie der trübselig in der Wüste sitzende Derwisch. Der Zeichner dieser Skizze hat hinzugefügt: „Eine Zeichnung vom niedrigsten Sklaven.“ Eine weitere, grössere und detaillierte Miniatur zeigt ein Treffen von Derwischen, das einem fröhlichen Gelage gleicht, in Wasserfarben und Tinte um 1640 gezeichnet.
 
Diese Ausstellung war sehr gut besucht! Hoffentlich wird Persien nicht als Zielscheibe der Amerikaner oder Israeliten in Schutt gelegt. Persien gehört zum Kulturgut der ganzen Welt. Das Plakat der Ausstellung war in jeder Metro-Station angeschlagen und begleitete unsere Rückfahrt nach Wimbledon.
 
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