Textatelier
BLOG vom: 18.04.2009

Lindenberg-Wanderung von Bettwil AG bis Müswangen LU

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Das Schweizer Dorf Bettwil im aargauischen Bezirk Muri ist eher selbstbewusst als verschlafen. Sein Name ist denn auch nicht etwa von Bett abgeleitet, sondern von der „Hofsiedlung des Peto“. Bettwil ruht auf einer als sanfte Mulde ausgestalteten Terrasse des Lindenbergs und ist mit seinen 688 m ü. M. stolz darauf, die höchstgelegene Aargauer Gemeinde zu sein (etwa 570 Einwohner). Am Ostersonntag, 13.04.2009, nahm ich das Dorf als Ausgangspunkt zu einer Wanderung auf der Bergroute des Freiämterwegs nach Oberschongau LU (gut 30 Min.) und Müswangen (1 Std. 45 Min.) – und zurück.
 
Bettwil
Dieser Freiämterweg schreckt auch vor Durchquerungen des heutigen Kantons Luzern nicht zurück, der seit Jahrhunderten seinen Anteil an den Freien Ämtern hatte. Bettwil selber wurde 1415 mit der Eroberung des Aargaus den Eidgenossen untertan und kam als eigenes Amt zu den Freien Ämtern, einer so genannten Gemeinen Herrschaft (gemeinsame Verwaltung als Vogtei). Während der Reformation liessen sich die Bettwiler nicht vom katholischen Glauben abbringen und wurden 1547 für ihre Standhaftigkeit mit einem eigenen Dorfrecht belohnt, in das der Landvogt nicht dreinzureden hatte. Die Bettwiler durften den Untervogt, die 4 Richter, die 2 Dorfmeier, die 2 Schätzer, den Weibel, den Kirchmeier, den Sigristen und die Waisenvögte selber bestimmen. Zu diesem Zwecke veranstalteten sie alle 2 Jahre eine Amtsgemeinde unter freiem Himmel.
 
Neben der Pfarrkirche St. Joseph, eine schlichte Saalkirche mit 3 Achsen aus Stichbogenfenstern und mit spätbarockem Inneren, die in ihrer heutigen Form 1788/89 von Franz Joseph Rey gebaut wurde, sind viele bemerkenswerte Bauten im Ort. Da ist einmal das Pfarrhaus westlich neben der Kirche. Unter dem Satteldach sind Klebedächer angebracht, wie man sie in dieser Gegend häufig sieht. Ein auffallend schönes Haus mit Holzfassaden sieht man auch an der Brunnäckerstrasse 89 am oberen Weg nach Schongau, ein Blockständerbau mit Klebedächern sowie rotweiss geflammten Schiebeläden und ebensolchen Verzierungen zwischen den beiden unteren Fensterreihen. Zuoberst sind noch die Butzenscheiben erhalten. Bei diesem Haus steht ein Bildstock, der mit einem kerbschnittartigen Feldergitter überzogen ist und ein Memento-Mori-Relief von 1694 zeigt.
 
Kühe weideten nahe beim Dorf, dessen grösster Gewerbebetrieb die „Brunner Küchen“ sind. Der Inhaber des Küchen-Unternehmens, Ernst Brunner, ist Besitzer der Trostburg in Teufenthal. Der Erusbach ist beim Dorf noch ein Stück weit offen; dort erwachten gerade Sumpfdotterblumen (Bachbombele) und Kopfweiden zum frühlingshaften Leben.
 
Manchmal führt auch bauliche Bescheidenheit zum Glück: „Unser Glück und unser Stolz ist dies kleine Haus aus Holz“ ist auf die dunkel imprägnierte Fassade eines gepflegten, neueren Châlets mit weiss umrahmten Fenstern und weissen Fensterläden gemalt. Und am Dorfausgang ist eine Art Stöckli, ein mit auskragenden Holzbalkonen umfasstes Gebäude mit abgewinkeltem Satteldach, wie man es oft neben bernischen Bauernhäusern sieht. Der Freiämterweg wird bald einmal zum Natursträsschen, das mit verschiedenen Kurven und Abzweigungen durch Landwirtschaftsland führt.
 
Oberschongau
Dabei hat man auch die Aargauer Kantonsgrenze überquert und findet sich bald im Dörfchen Oberschongau LU, das mit seinen 744 m noch etwas höher oben auf dem Lindenberg liegt und die äusserste Gemeinde im Nordwesten des Kantons Luzern ist. Zu ihr gehören auch Mettmenschongau, Niederschongau und Rüedikon. Auffallend ist die rote Zwiebelkuppel auf der Wallfahrtskirche St. Maria und Ulrich in Oberschongau, die um 1500 erbaut und 200 Jahre später erweitert und barock ausgestattet wurde. Dieses an guter Aussichtslage gelegene Gebiet über dem Hallwilersee war schon in frühgeschichtlicher Zeit besiedelt, wie römische Funde und die älteste datierte Namensform „Scongaua“ aus dem Jahr 831 in einer Schenkungsurkunde für das Kloster St. Gallen bekunden. 1415, als die Eidgenossen den habsburgischen Aargau eroberten, besass Wilhelm von Grünenfeld die Vogtei Schongau als Pfand von Österreich. Er verkaufte sie der Stadt Sursee, und von ihr ging sie 1420 an Luzern über. Bis 1798 war Schongau dem Michelsamt zugeteilt.
 
Neben der Kirche steht der schlossähnliche Pfarrhof, dessen Geschichte mit jener der Kirche fast identisch ist. Über dem Eingangstor ist das Wappen des Propsts Peter Emberger von 1609 angebracht.
 
Der Freiämterweg führt weiter, immer Richtung Süden, vorerst durch offenes Landwirtschaftsland und vorbei an einer langen Holzbank, die zum Absitzen und Ausschau halten einlädt; an der Rücklehne steht: „Lueg dorab ond hock doch ab.“ Im Gebiet Chalchtaren betritt man den Wald, und der Weg verläuft etwa 50 m Meter oberhalb des Waldrands zwischen Bäumen. Dort begegnete ich Willy Stierli aus Boswil, der seine Waldparzelle inspizierte, und wir unterhielten uns über seine Ansammlung von Buchen, Eichen, Eschen, Rot- und Weisstannen. Eine alte Eiche, die bei einer Rodung in ihrer Umgebung vor vielen Jahren dem Licht ausgesetzt worden war, hatte bis weit hinauf zur Krone Klebäste, was sich auf die Holzqualität mindernd auswirkt. Und das Weisstannenholz wolle heute auch kaum jemand, sagte Herr Stierli. Dieses Holz ist gegenüber dem Rottannenholz zwar zäher, doch ist es lebendiger, das heisst, es verformt sich gern. Ich lobte die vielen alten Obstbäume, die in der Landschaft wenig weiter unten überlebt haben. Diese aber sind laut meinem Gesprächspartner durch die Viehweide bedroht. Die Hufe der schweren, glücklichen Kühe verdichten den Boden, so dass zu wenig Sauerstoff (und wohl auch Wasser) zu den Wurzeln vordringen kann.
 
Müswangen LU
Der Wald ist gegen Müswangen auch in seinem weiteren Verlauf recht vielseitig gemischt und altersmässig gut strukturiert. Auf der Höhe der „Höf“ (Peierhof) ist oben im Rüdikerwald die mit 878 m höchste Erhebung des Lindenbergs (Gemeinde Müswangen); viele weitere Gebiete liegen ebenfalls auf über 800 m.
 
Der Feiämterweg ist in diesem Sektor nicht eben spektakulär, sondern er ist ein nicht befestigtes Waldsträsschen am Westhang des Lindenbergs, das meist leicht ansteigt. Erst im Oberwald, der zu Hämikon gehört, hat die Forstwirtschaft gerodet, neu gepflanzt und die Bäumchen aus der Baumschule mit Drahtgitterschutz vor Wildverbiss geschützt. Offenbar beteiligten sich Schüler an dieser Pflanzaktion, sind an den eingehagten Bäumchen doch die Namen von Schülern vermerkt: Maria, Karin und wie sie alle heissen mögen. An einem Nadelbaum war eine Schnur mit Plastik-Ostereiern aufgehängt – ja, es war ja Ostern. Und kein Hase weit und breit, nicht einmal auf den nahen Feldern.
 
Was dort noch vom Wald übrig geblieben ist, öffnet sich auf einer Krete plötzlich, und die Sicht hinunter ins nahe Müswangen (knapp 500 Einwohner) wird frei. Mit seinen 783 Höhenmetern ist es die höchstgelegene Gemeinde am Westhang des Lindenbergs, von der aus sich die Silhouetten von Säntis, Churfirsten, Glarner Alpen sowie dem berühmten Trio Eiger, Mönch und Jungfrau abzeichneten. Das Dorf Müswangen wurde in den 1860er-Jahren von 3 Grossbränden (1861, 1865 und 1866) heimgesucht, so dass vom alten Dorfbild nichts mehr vorhanden ist, abgesehen von der geosteten, massigen Kirche von 1669 mit dem viereckigen, spitzen Dachreiter.
 
Im Vordergrund bannte der Hämikerberg (Hämikon Berg), eine Exklave der Gemeinde Hämikon LU, an der Strasse zur Schlatt – Bünz-/Reusstal die Aufmerksamkeit. Dort, im Bereich der Müswanger Allmend, sind 5 historische Bauten versammelt, welche der Stiftung Anton Achermann, Luzern, gehören. Dominant ist das stilreine Lindenberger Haus, das über dem gemauerten ebenerdigen Bereich 4 ganz von verwittertem Holz eingekleidete Etagen hat, die jeweils (schon wieder) von einem Klebdach geschützt sind. Die Fenster sind verspielt eingefasst, die Schiebeläden bemalt. Das im Giebelbereich leicht angeschnittene, mit Ziegeln bedeckte Satteldach ist wuchtig. Daneben stehen Speicher und ein Bauernstöckli im gleichen Stil, in geringer Entfernung aber auch weniger verspielte, moderne Landwirtschaftsbauten. Und die Baugruppe ist von einer veritablen Kanone geschützt.
 
In dieser ehemaligen Moorlandschaft war einst ein Truppenübungsplatz geplant, der glücklicherweise verhindert werden konnte. Dafür ist hier 1977 die beschriebene Art eines Luzerner Heimatmuseums, sozusagen ein Mini-Ballenberg, entstanden, das vom Luzerner Kunstsammler Anton Achermann („Herrgöttli-Achermann“) zusammengestellt und aufgebaut wurde. Seit Sommer 1994 steht es leer. Wegen seiner Rechtsstreitigkeiten mit der Luzerner Kantonsregierung postierte Achermann die erwähnte Kanone mit Zielrichtung just aufs Luzerner Regierungsgebäude. Die Anlage wurde 1999 vom Gemeinnützigen Verein Hämikerberg in der Absicht gekauft, hier ein Begegnungszentrum zu schaffen. Ein Hippotel „Zum Stiefelreiter“ mit 45 Plätzen wurde eingerichtet. Das Restaurant ist in Betrieb (www.hippotel.ch), auch wenn das offerierte Ostermenu auf der Webseite noch von 2008 stammt.
 
Auf dem Hämikerberg sind verschiedene Spazierwege markiert, so der Dachsenweg, der Igelweg, der Eichhörnli- und der Hasenweg. Und hinzu kommt ab der Kirche Müswangen auch ein 1600 m langer Besinnungsweg zum Sulzer Kreuz. Ich war zu Profanerem gezwungen, musste den weiten Weg nach Bettwil zurückwandern, was mir tatsächlich zu ausreichend Bettschwere verhalf. Bis nach Oberschongau wählte ich abwechslungshalber die asphaltierte Ortsverbindungsstrasse, die in Müswangen Schongauerstrasse und in Schongau Müswangerstrasse heisst. Sie führt zuerst an einer Straussenfarm vorbei. Die grossen, schweren Tiere mit den dünnen Beinchen und dem langen, schlangenartig beweglichen Hals begleiteten mich bis ans Ende ihres Gehegs.
 
Die Strasse ist ins kupierte Gelände mit den Bauernhöfen und einem Wegkreuz mit einer vergoldeten Figur des Gekreuzigten, der uns unsere Sünden vergibt, eingepasst. Der Hallwilersee ist als schmaler Streifen sichtbar.
 
Sündenfrei erreichte ich Schongau, wo im Rötler etwa 100 Rehe weideten. Im Restaurant St. Ulrich in Oberschongau kehrte ich zu einer Flasche Seetaler Bier („Das Bier von hier“) aus der 1997 installierten Brauerei Seetal in Hochdorf LU ein – nach Rehschnitzeln fragte ich nicht, um nicht gleich wieder mit dem Sündigen zu beginnen. Ich sog das leicht trübe, unfiltrierte Bier wie ein Schwamm auf.
 
Der Abend dieses Ostersonntags brachte etwas kühlere Luft. Die Felder-Überquerung nach Bettwil war unter solchen Bedingungen noch zu bewältigen.
 
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