Textatelier
BLOG vom: 24.06.2009

Iran im Umbruch: Hoffnung auf eine friedliche Zukunft

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Ohne die ganze Familiengeschichte meiner persischen Frau auszurollen, beschränke ich mich hier auf einen Hinweis: Ihr Vater war ein Freidenker, was vielleicht darin begründet sein mag, dass er die jesuitische Erziehung heil überstanden hatte, und, wie seine Brüder auch, in Europa studiert hatte. Ich wurde von der ganzen Familie weltoffen und herzlich aufgenommen zu einer Zeit, als die Heirat von Perserinnen mit Ausländern noch Seltenheitswert hatte.
 
Neugeschichtlicher Hintergrund
Ich habe den Iran verschiedentlich, während der Schah auf dem Pfauenthron sass, besucht. Sein forcierter „Modernisierungsversuch“ des Landes trieb die Leute weg von ihrer Scholle nach Teheran. Die einst blühende Landwirtschaft verkam. Das Ziel der Landflucht war ein Auto und Fernseher. Der westliche Materialismus schlich sich ins Land ein. Die geheime Staatspolizei (Savak) griff brutal ein, wo und wer immer sich gegen das Regime stemmte. Der Schah hatte, schlecht beraten, wie er war, die Religionsführer kompromisslos in den Nachtschatten verdrängt. Mit Fanfaren leitete er die „Weisse Revolution“ ein; der Grundbesitz wurde aufgeteilt, was ihm – wider alle Erwartung – seitens der in alten Traditionen verankerten Bevölkerung wenig Gunst einbrachte.
 
Was mitunter leicht vergessen wird: Der Iran gehörte schon im 19. Jahrhundert zum Britischen Imperium. 1908 wurde im Lande Erdöl entdeckt. Die „Anglo-Persian Oil Company“ (heute BP) widmete sich der Ausbeute, nicht unbedingt im besten Interesse des Landes … Im Gegenzug wurde Mohammed Mosadeq zur Wahrung des nationalen Interesses zum Ministerpräsidenten ernannt. Seine Herrschaft war kurzlebig. Er wurde unter Hausarrest gesetzt und vom Schah ersetzt. Die Briten und Amerikaner hatten diesen Wechsel hinter den Kulissen inszeniert. Es kam nicht von ungefähr zur Redensart: „Strauchelt ein Iraner über einen Stein, so hat ihm diesen ein Engländer in den Weg gelegt.“ Kein Wunder, dass der „Supreme Leader“ Ayatollah Ali Khameini England beschuldigt, das Wahlfiasko bewerkstelligt zu haben. Sein Argument ist kaum stichhaltig – ein Ablenkungsmanöver.
 
Die Folgen des Wahlfiaskos
Parallelen mit den Massendemonstrationen – 1979 bis zum Sturz des Schahs – und den gegenwärtigen werden gezogen. Damals wie heute führt der Weg zur „Freiheit“ über eine Geröllhalde. Der Wahltag mit hoher Stimmbeteiligung glich beinahe einem Karneval, wie sich die Wähler hoffnungsvoll vor den Urnen stauten. Der gegenwärtige Ministerpräsident Ahmadinejad soll über 60 % der Stimmen gewonnen haben. Die Grosszahl der Wähler fühlte sich betrogen und warf dem Regime Wahlbetrug vor. Die 1. Demonstrationen gegen das Wahlergebnis begannen friedlich. Die Anhänger des Opponenten Mirhossein Mousavi tragen grüne Arm- oder Halsbänder, schwangen grüne Wipfel und fordern eine Neuwahl. Die Fronten verhärteten sich. Die Polizei ging zunehmend aggressiver gegen die Demonstranten vor: Die mit Knüppeln bewaffnete „Basiji Militia“ auf ihren Motorrädern schlugen zu. Ein erstes Todesopfer wurde gemeldet. Die Zahl der Toten soll sich inzwischen auf rund 20 erhöht haben. Die Konfrontation dauert an. Die Reportagen der Journalisten wurden unterbunden.
 
Aber die Medien gewannen dank Twitter und Handy-Fotos den Überblick besser als dies Augenzeugen vermocht hätten. Die Berichterstattung ist gesichert. Die Presse überquillt von Nachrichten über die leidlichen Geschehnisse.
 
Ziele des Freiheitdrangs
Zur Zeit des Schahs trugen viele Mädchen Miniröcke, und die jungen Leute tobten sich an Partys aus. Kaum war der Schah abgesetzt, griffen die Mullahs ein: Frauen mussten sich verhüllen, durften nicht mehr unbegleitet ausgehen, Alkohol wurde verbannt. Das repressive Regime stutzte selbst die kleinen Freiheiten: Sogar Musik wurde als dekadent erklärt. Wenn die Zahl stimmt, sind 70 % der Iraner unter 30 Jahre alt. Die jungen Leute wollen wie die Jugend anderswo voll und ganz an der Lebensfreude teilhaben. Wer kann dagegen etwas einwenden? Sie wollen ihre Identität nicht länger dem staatlichen Diktat opfern und sich länger vom Joch erdrücken lassen.
 
Halt! So gedrosselt wie die Aktivisten vorgeben ist die Lebensfreude der Iraner auch wieder nicht. Eine gute Bekannte deutscher Herkunft hat mit einer Freundin aus Kolumbien kürzlich das Land kreuz und quer bereist. Als talentierte Fotografin hat sie uns rund 500 Aufnahmen zugestellt: Die Leute, ob jung oder alt, lachen und spassen noch immer in der heiteren Art, wie sie den Persern eigen ist, und genossen bei schönem Wetter ihr Picknick aus lecker angerichteten persischen Speisen draussen auf dem „Kelim“ (ein farbenfrohes Gewebe, bald als Sitzunterlage, bald als Tischdecke benutzt). Die Kleinhändler vertreiben weiterhin geschäftig ihre Ware und lassen mit sich feilschen. Auch das gehört mit zur Lebensfreude, denn wer nicht feilscht, ist ein Spassverderber …
 
Die Iraner sind mit Recht stolz auf ihr kulturgesättigtes Land und haben ihre humorvolle poetische Ader bewahrt. Sie sind neugierig und gastfreundlich. Immer wurden diese beiden Damen zum Imbiss im Familienkreis eingeladen und durften die Einladung keineswegs ausschlagen! Viele der Frauen tragen keine schwarzen Bettlaken, sondern bunte Gewänder. Die Mädchen zeigen kokett und grosszügig ihr schwarzes Wellenhaar durch farbige Kopftücher, die sie nach hinten verschoben haben.
 
Nebst jungen Leuten, beteiligen sich auch viele ältere, gleich ob Frauen oder Männer, an den Demonstrationen. Das vom Westen, hauptsächlich von Amerika geforderte Ablassen von der Urananreicherung ist kein Thema. Beide Seiten der Opposition lassen sich nicht in die Nuklearentwicklung dreinreden – Sanktionen hin oder her.
*
Ein Hoffnungsschimmer zur Konfliktlösung?
Wo immer die Religion die Karten mischt und ausspielt, wie dies in der iranischen Theokratie der Fall ist und wie es die Jesuiten gepflogen haben, wächst der Widerwille und Widerstand gegen die „Supreme“ (Obrigkeit) religiöser Fanatiker. Das liegt geschichtlich erwiesen auf der Hand. Dem vormaligen Ministerpräsidenten Hashemi Rafsanjani wird nachgesagt, dass er der zweitwichtigste Mann im Staat sei. Er soll im Vergleich mit Ayatollah Ali Khameini den Islam konzilianter handhaben. Rafsanjani unterstützt Mousavi. Er könnte zum Zünglein auf der Konfliktwaage werden, denn er ist zuständig für das „Assembly of Experts“ (bestehend aus 86 Klerikern) und gleichzeitig auch für das „Guardian Council“ (6 Kleriker und 6 Juristen). Theoretisch kann das „Assembly of Experts“ den Ayatollah Ali Khameini bevormunden, krass gesagt.
 
Ich hoffe sehr, dass sich dieser Hoffnungsschimmer verwirklicht, dem Land und dem Frieden zuliebe. Revolutionen enden im Blutbad. Ein begehbarer Weg durch die gegenwärtige Geröllhalde steckt im Wort Evolution.
 
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