Textatelier
BLOG vom: 28.06.2009

Wo die Moral versagt: Suppenhühner für die Biogasanlage

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Die zu Legemaschinen abgerichteten und degradierten, ebenso bedauerns- wie liebenswerten Hühner sind nach der Produktion von etwa 300 Eiern während eines Jahres verbraucht, das heisst ihre Legeleistung nimmt ab. Und Undank ist ihr Menschen Lohn: Ab 2010 sollen die pro Jahr rund 1,7 Millionen im jugendlichen Alter von etwa 18 Monaten ausgemusterten Hühner nicht einmal mehr verwertet werden – sie dürften in einer Kehrichtverbrennungsanlage oder in einer Biogasanlage landen. Und die Eierproduzenten, womit nicht die Hühner gemeint sind, müssen für die Entsorgung jedem Huhn noch etwa 1 CHF nachwerfen. Darüber, wie man sie ermordet, ist nichts zu erfahren. Die Vereinigung der Schweizer Eierproduzenten GalloSuisse sucht nach sinnvollen (und hoffentlich auch tierfreundlichen) neuen Lösungen.
 
Früher verwandelte man die Legehennen in wohlschmeckende Suppenhühner; damals wurden sie länger am Legen und am Leben gelassen – ihr Fleisch war zäher. Es gibt zwar noch Leute, die das nach wie vor tun, vor allen in der mit einem besonderen feinschmeckerischen Talent ausgestatteten Westschweiz. Der Direktor von Aviforum, der Geflügelzuchtschule in CH-3052 Zollikofen, Ruedi Zweifel, sagte zur AZ (28.10.2008): „Wenn jede Familie in der Schweiz pro Jahr ein Suppenhuhn essen würde, dann wären unsere Probleme gelöst.“ Nach seinen Feststellungen in www.foodaktuell.ch lohnt sich das Ausbeinen der Althennen zu den Schweizer Lohnkosten nicht: „Die rationellste Verwertung ist das Garen als Ganzes.“ Die Garzeit beträgt knapp 2 Stunden, wobei eine gehaltvolle und schmackhafte Bouillon entsteht, und das Fleisch lässt sich leicht von den Knochen lösen. Die ausgezeichnete Köchin Käthi Fässler vom „Appenzeller Hof“ in Weissbad AI lobte das Suppenhuhn als Grundlage für eine vortreffliche Bouillon. Meinem Selbstversuch zu diesem Thema werde ich ein separates Blog widmen.
 
Es ist schon noch Fleisch dran
Die Fleischausbeute ist bei den schwereren Hybridhennen, die etwa 30 % des Legehennenbestands ausmachen, besser als bei den leichtgewichtigen weissen Hühnern, deren Schlachtgewicht bei etwa 1 kg liegt, wovon immerhin 500 bis 550 Gramm Fleisch zu retten wären. Insgesamt werden in der Schweiz pro Jahr fast 90 000 Tonnen Geflügelfleisch verzehrt (18 % des gesamten Fleischkonsums). Etwas mehr als die Hälfte des konsumierten Geflügelfleischs wird aus dem Ausland eingeführt, aus Frankreich, Deutschland, Ungarn, Polen und Brasilien – insbesondere begehrte Teilstücke wie Brustfleisch. Anderseits wären die Chinesen dankbare Abnehmer für Flügel und Füsse; Asien importiert von diesen Delikatessen Tausende von Tonnen. Je weniger Fleisch da dran ist, umso mehr werden sie geschätzt.
 
Bisher schlachteten die Firmen Micarna und Bell fast alle Althennen von den Schweizer Eierproduzenten – und ab Ostern 2010 soll damit aus wirtschaftlichen Erwägungen Schluss sein. Gründe für die Einstellung dieser Dienstleistung sind laut der Migros-Tochter Micarna Hygienerisiken, die unregelmässigen Schlachtzyklen und der Umstand, dass Althennen auf den für die Pouletverarbeitung konstruierten Anlagen nicht ideal verarbeitet werden können. In verschiedenen Ländern gibt es spezialisierte Althennen-Schlachthöfe – technisch lässt sich das Problem also durchaus lösen.
 
Appell zur Vernunft
„Es darf doch nicht wahr werden, dass 1,7 Millionen Hühner (...) zu ‚Legemaschinen’ erniedrigt werden und, weil sie weniger Leistung erbringen, via Kehrichtverbrennung entsorgt werden! Diese so genannten Althennen könnten durchaus als schmackhafte Suppenhühner auf dem Teller verantwortungs- und preisbewusster Konsumenten landen“, schrieb Elsie Taugwalder-Hochuli, CH-5000 Aarau, zusammen mit weiteren empörten Konsumentenschützerinnen an die Direktionen von Migros-Genossenschafts-Bund Schweiz, Coop Schweiz, an die Fleisch-Fachverbände, GastroSuisse (Arbeitgeber-Verband für Hotellerie und Restauration), den Schweizer Bauernverband in Brugg, den Verband GalloSuisse, den Landwirtschaftlichen Informationsdienst LID in Bern und ans Zürcher Konsumentenforum.
 
 „Wir appellieren deshalb an Sie als Vertreter einer Firma, die wohl berechtigte ökonomische Ziele verfolgt, dabei aber auch vermehrt bereit ist, für die ökologischen Folgen ihrer Geschäftspolitik Verantwortung zu übernehmen. Wir hoffen sehr auf Unterstützung bei der Realisierung unseres Anliegens, die wir uns folgendermassen vorstellen:
 
Sie setzen Ihre Printmedien zur Information Ihrer Kundschaft über den Eiermarkt ein.
Sie stellen ansprechende Rezepte zur Verfügung, um für die Konsumenten ‚das Huhn im Topf’ wieder attraktiv zu machen (Rezepte eventuell durch Annemarie Wildeisen und/oder Käthi Fässler vom GalloSuisse-Verband) und
• Sie starten auf breiter Front Verkaufsaktionen an strategisch gut sichtbaren Standorten in Ihren Filialen.
 
Wir sind überzeugt, dass es dank ernsthafter Bemühungen von Produzenten, Verwertern inkl. Metzgereibetrieben und eventuell der Gastronomie möglich wird, die Legehennen als Lebewesen zu respektieren und ihre Verbrennung zu vermeiden. Denn es ist eine Schande und ethisch inakzeptabel, in der heutigen Zeit Nahrungsmittel planmässig zu vernichten.“
 
So weit der aufrüttelnde Brief. Antworten trafen nur von Coop, Migros und vom LID ein – die übrigen warfen den Brief der besorgten Damen, ähnlich den Suppenhühnern, offenbar einfach weg.
 
Antwort Coop (21.11.2008):
Aline Petermann, Sachbearbeiterin des Coop-Konsumentendiensts in CH-4002 Basel, antwortete u. a:
 
„Leider ist es so, dass das Suppenhuhn massiv an Bedeutung verloren hat. Aus diesem Grund führen wir das Suppenhuhn nur noch in der Suisse Romande, wo es noch etwas beliebter ist.
 
Neben der geringen Nachfrage ist die Unregelmässigkeit der Verfügbarkeit eine weitere Problematik. Denn Legehennen (Suppenhühner) werden nicht wöchentlich geschlachtet. So werden wegen der steigenden Nachfrage nach Eiern einige Wochen vor Weihnachten und Ostern gar keine Hennen mehr geschlachtet.
 
Wir möchten Ihnen an dieser Stelle aber für Ihren Hinweis danken. Die verantwortliche Fachabteilung wird prüfen, ob eventuell ein tiefgekühltes Suppenhuhn national in den grösseren Verkaufsstellen angeboten werden kann. Leider können wir Ihnen diesbezüglich aber nichts versprechen und bitten Sie um Verständnis.“
 
Antwort Migros (21.11.2008):
Für die Migros antworteten Daniel Meister, stellvertretender Leiter der M-Infoline, und Manuela Näf, Kundenberaterin, in CH-8031 Zürich:
 
„Wir freuen uns, dass Ihnen das Wohl der Tiere am Herzen liegt und Sie es wichtig finden, die Legehennen als Lebewesen zu akzeptieren und nicht einfach fortzuwerfen. Sie liegen damit ganz auf unserer Linie. Dass Sie der (Presse-)Artikel aufgewühlt und entsetzt hat, bedauern wir sehr. Ihre Argumentationen können wir gut nachvollziehen (...).
 
Die Kundennachfrage nach Suppenhühnern steigt laufend, jedoch auf einem eher bescheidenen Niveau. Die Migros verkauft in allen Genossenschaften – und praktisch in allen Filialen – pro Jahr über 200 000 Suppenhühner tiefgekühlt. In einigen Genossenschaften (Genf, Neuenburg, Waadt und Zürich) sind die Suppenhühner sogar in grösseren Metzgereiabteilungen der Migros erhältlich.
 
Es ist allerdings eine Tatsache, dass sich die Essgewohnheiten und das Konsumentenverhalten der Schweizer Bevölkerung über viele Jahre klar verändert haben, so dass das Suppenhuhn in unserer Nahrungskette leider kaum noch einen Stellenwert hat. Aus diesem Grund ist es eigentlich unmöglich, alle Althennen zu Suppenhühnern zu verarbeiten, da diese einfach zu wenig gekauft werden.
 
Wir haben Ihre Vorschläge an die zuständige Fachstelle weitergeleitet. Wir bitten Sie jedoch um Verständnis, falls diese nicht umgesetzt werden können.“
 
So weit die Antwort. Tatsächlich habe ich auch im MMM Wynenfeld/Buchs AG in der Tiefkühlabteilung ganze und aufgeteilte Suppenhühner gefunden. Vor der Truhe herrschte kein grosses Gedränge. Aber das wird sich noch einstellen, wenn dieses Blog hinreichend bekannt ist.
 
Antwort des LID (29.04.2009).
Der LID hatte am 22.04.2009 eine Pressemitteilung „Suppenhühner oder Biogas?“ herausgegeben, die wie folgt lautet:
 
„ed. Auch wenn sie für Laien gleich aussehen: Hühner, die Eier legen, und Hühner, die gemästet werden, sind zweierlei. Während die Mastrassen jedes Körnchen Getreide in pures Fleisch verwandeln, investieren die Legerassen ihre ganze Energie in die Eierproduktion. Nach dem Ableben machen sie auf dem Grill eine dementsprechend schlechte Figur: Sie haben zu wenig Fleisch am Knochen. Bisher hat man die Legehennen deshalb zu Suppenhühnern, Pastetlifüllung und Geflügelfleisch für Saucen oder zu Tierfutter verarbeitet. Doch ab Mitte 2010 sind die beiden grössten Schlachtbetriebe der Schweiz, Micarna und Bell (welche für Migros und Coop produzieren), nicht mehr bereit, die Legehennen zu schlachten. Sie begründen dies damit, dass die ausgedienten Hennen auf ihren Schlachtanlagen nicht ideal verbreitet werden können und dass die Nachfrage nach Suppenhühnern fehle. So wird den Legehennenhaltern künftig nicht viel anderes übrig bleiben, als rund 1,7 Millionen ausgediente Eierproduzentinnen in Biogasanlagen zu entsorgen.“
 
Elsie Taugwalder stellte am 29.04.2009 dem LID gegenüber fest, die Grossverteiler würden sich samt ihren Schlachtbetrieben aus ihrer Verantwortung zurückziehen, und eine „Entsorgung“ in der Biogasanlage sei inakzeptabel und ethisch unverantwortbar. Zudem wollte sie darüber informiert werden, wie die Hennen, die in eine Biogasanlage gelangen, darauf vorbereitet werden. Vor allem steht dabei die Tötungsart im Raum.
 
Der Leiter redaktionelle Dienste beim LID, Roland W. Wyss-Aerni, antwortete am 05.05.2009:
 
„Die wirtschaftlichen Zwänge, die von den Grossverteilern und ihren Schlachtereien geltend gemacht werden, führen hier zu Zuständen, die aus unserer Sicht nicht wünschenswert sind. Die Aufgabe des LID ist es allerdings nicht, in der einen oder anderen Form Lobbying zu betreiben oder einen Einfluss geltend zu machen (...). Schon gar nicht liegt es in unserer Macht, den Entscheid von Micarna und Bell rückgängig zu machen. Was der LID tun kann, ist transparent machen, informieren und die verschiedenen Sichtweisen zu Wort kommen lassen (...). Wir haben vor Ostern auch über einen Metzger im Emmental berichtet, der alte Legehennen zu Fleischwaren verarbeitet: ‚Kopps Chickenburger war mal eine Legehenne“ im Mediendienst Nr. 2914 vom 08.04.2009 (...) Sie sehen also, uns ist das Schicksal der Suppenhühner nicht egal. Leider können wir aber nicht darüber bestimmen.“
 
Der angesprochene Metzger ist Christian Kopp aus Heimisbach BE, der jährlich 20 000 Althennen zu Hamburgern und Würsten verarbeitet, diese aber nicht direkt vermarktet. Er stellte dazu fest: „Die Schlachtung und Verarbeitung von Legehennen war früher Sache der Bäuerinnen. Nicht einmal ein Störmetzger hätte einem Huhn den Kopf abgeschlagen. Geschweige denn ein Dorfmetzger.“ Auch sei die Schlachtung und Verarbeitung von alten Hühnern nicht gerade ein lukratives Geschäft. Schliesslich liefere ein 2,5 bis 3 Kilogramm schweres Huhn nur etwa 400 Gramm verwertbares Fleisch. Die Rechnung von Christian Kopp geht dennoch auf. Nicht zuletzt weil ihm die Bauern bei der Schlachtung und beim Einpacken der fertigen Produkte zur Seite stehen, nicht selten mit einem ganzen Hofstaat von hilfsbereiten Leuten. Kopp und seine Kundenmetzgerei sind im ganzen Land bekannt. Vom Boden- bis zum Genfersee bringen Bauern ihre ausgedienten Legehennen zu ihm (Quelle: Karin Iseli/LID).
 
Fazit
Die sinnvollste Verwertung der ausrangierten Legehennen wäre ihre Umwandlung in Suppenhühner. Die Werbung dafür lässt zu wünschen übrig – und die Schweizer sind verwöhnt, „schnäderfrässig“, wie es im Dialekt heisst. Man müsste sie zu den kulinarischen Freuden rund um den Genuss eines Suppenhuhns erziehen, nach Westschweizer Art. Wertvolles und untadeliges Fleisch in Biogas umzuwandeln oder gar in einer Kehrichtverbrennungsanlage zu vernichten, schlägt jeder Ethik ins Gesicht. Und nicht in Erfahrung zu bringen war, wie Althennen ermordet werden – da ist Schlimmes zu vermuten, ansonsten man es ja sagen würde.
 
Ein anständiger Schlachtprozess vorausgesetzt, kann es einem Huhn im Prinzip egal sein, was nach seinem Tod mit ihm angestellt wird. Ob ein Mensch erdbestattet oder kremiert wird, braucht ihn wenig zu kümmern. Ghupft wie gschprunge, um eine weitere mundartliche Redensart einzufügen, auch wenn es dann angeblich mit dem Hüpfen und Springen zu Ende ist. Vorbei ist vorbei.
 
Die Vernichtung eines wertvollen Lebensmittels (wofür man noch draufzahlt!) ist moralisch nicht zu verantworten. Würde man wie der Metzger Kopp Wege finden, um das Legehennenfleisch im grösseren Stil attraktiv zu verwerten, könnten die übrige Hühnerfleischproduktion und der Import entsprechend reduziert werden – auch darin läge eine tierschützerische Chance. Und noch wichtiger: Nach dem jüngsten Bericht der Welternährungsorganisation FAO hungern weltweit 1,02 Mrd. Menschen tagtäglich. Damit ist der Welthunger auf einem historischen Höchstwert, kommt die FAO http://www.fao.org zum Schluss. Und wir vernichten ganze Hühner.
 
Wir in den noch einigermassen reichen Nationen leben, wie man sieht, in der Zeit des zur Totalverblödung führenden Neoliberalismus: Der Gewinn diktiert das Verhalten der Menschen und leider auch das Schicksal der missbrauchten Hühner.
 
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