BLOG vom: 02.08.2009
Ein anderes Persien: Die Annäherung an den Sufismus
Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
The Ecomist: A Suvey of Iran (1960)
Gestern entschloss ich mich, den wiederum überfüllten Schuppen aufzuräumen. Wie so oft zuvor ist es beim Versuch geblieben … Zwischen den Papieren fischte ich eine Sonderausgabe „Another Persia – A Survey of Iran“, in „The Economist“ im Oktober 1970 veröffentlicht, heraus. Es war ein Loblied auf den einstigen Schah. Der Artikel bejubelte die von den Amerikanern und Briten vorangetriebene Industrialisierung, die dank des Erdöls ermöglicht wurde. Die von Mohammed Mossadegh 1953 angestrebte soziale Reform wurde nicht verwirklicht. Warum? Die Finger weisen – wen wundert es? – auf Amerika und England. The Economist äusserte sich abfällig über Mossadegh – hier im Originaltext belassen:
„Postwar Iran hit its nadier in the mid-1950’s. This is remembered best for Mohammed Mossadegh, Iran’s prime minister whose government nationalised the British oil company and indulged in a kind of socialist rhetoric and xenophobic nationalism which by 1953 had brought Iran to its knees.” Jeder Kommentar erübrigt sich. Der Schah kehrte aus dem Exil in Rom zurück, was den Amerikanern und Briten in den Kram passte.
Auch ich ahnte nichts von den Umwälzungen, die dem Land bevorstanden, als ich es 1973 zum 1. Male besuchte: besonders das Ausmass des unterschwellig aufgestauten Fundamentalismus. Die Amerikaner und Briten galten insgeheim als Ausbeuter des Landes. Nur im engsten Familienkreis wurde Kritik am Regime geäussert; denn die staatshörige Sicherheitspolizei (Savak) ging rabiat gegen die Kritiker des Regimes vor.
Mir selbst war die Rolle zugefallen, als Angestellter des SRI-International (damals Standford Research Institute) verschiedene Ministerien zu besuchen. Ich wurde von den Technokraten freundlich empfangen – es waren die vom Schah willkommen geheissenen Heimkehrer nach ihren Studien in Amerika. Sie waren durchwegs überzeugt, dass sie zum Wandelprozess beitragen und Iran ins „moderne Zeitalter“ verhelfen könnten. Gewiss haben sie ihren Teil dazu beigetragen. Nur was dabei heraus kam, war nicht voraussehbar. Auch im privaten Leben lässt sich nicht aus der Vergangenheit geradlinig extrapolieren. Die Fassade täuscht.
Kulissenwechsel: Hátif Isfahani
Im gleichen Streifzug durch die Papiere entdeckte ich den heute vergriffenen „Tarji“-Band von Hátif Isfahani (Geburtsjahr unbekannt – gestorben um 1783), 1960 von der „Tehran Book Friends Society“ veröffentlicht. Die von E’mad-ul-Kottab kalligraphisch gestalteten persischen Verse begannen von der Rückseite (was in Persien die Vorderseite ist) mit Farbillustration von Mahmood Javidipoor bereichert. Edward G. Browne hat die Verse übersetzt. Hátif selbst studierte Mathematik, Medizin, Philosophie und Literatur, und war von Saadi und Hafez beeinflusst. Ausserdam hatte er auch Europa bereist.
Derart von der Räumungsarbeit abgelenkt, verzog ich mich in meine Bude und begann den „Tarji“ erstmals zu lesen. Das war das andere Persien voller Mystik, im Sufismus verankert. Wiewohl der Text leicht verständlich anmutet, blieb mir der Inhalt weitgehend rätselhaft. Ich bin im mystischen und kryptisch verschlüsselten Sufismus unbewandert. Das Internet bot mir einige geistige Einstiegsluken, worunter „The Influence of Sufism on Traditional Persian Music“ von Seyyed Hossein Nasr und der Wikipedia-Eintrag unter Hátif Isbahani. Ein weiterer Steigbügel war mir der Ausstellungskatalog „Spirit & Life – Masterpieces of Islamic Art“.
Hátif zählt zu den grossen iranischen mystischen Poeten, erfuhr ich, der die Leser, so sie wollen, in die höheren Gefilde des Menschseins verhilft und in 3 Stadien die Reise oder den Weg der Seele zur höchsten Stufe der Erkenntnis aufdeckt. Durch den mystischen Schleier lässt er durchblicken, wie eng die Verbindungen zwischen den Weltreligionen sind. Ich bin kaum religiös behaucht, eigentlich ganz und gar nicht, doch sehe ich ein, dass diese Erkenntnis die fanatisch eingekerkerten Verfechter ihrer allein „seligmachenden“ Religion zum besseren Leben und Auskommen miteinander verhelfen könnte. Nur ist leider der Engstirnigkeit schwer beizukommen, denn in unseren Breitengraden wurde eigene Erkenntnisfähigkeit viel zu früh eingeschläfert.
Die Musik ist ein Wegweiser zur Spiritualität, ganz besonders innerhalb der traditionellen persischen Musik; sie entspringt aus der Stille zur Vielfalt der Klänge. Sie führt zur unfassbaren Wahrheit, was ich aphoristisch so ausdrücken möchte:
Was das Herz spricht, braucht keine Zunge.
Der Sufismus weist den Weg zur Stille und ist in diesem Sinne den verinnerlichten Sphärenklängen vergleichbar, die das Ohr zwar nicht erreicht, aber an sich und in sich selbst die unfassbare Grundwahrheit birgt. Habe ich dies richtig mitgekriegt? Aber der Sufismus schliesst aktives Dasein in „all seinen legitimen Tätigkeiten nicht aus“. Das tröstet mich, der bodenständig bleiben will.
Ich selbst habe nach wie vor Schwierigkeiten mit der christlichen Dreifaltigkeit: Vater, Sohn und Heiliger Geist. In der 2. Strophe klärte ihn (Hátif) ein holdes Geschöpf in der Kirche wie folgt auf: „Wenn die göttliche Einheit dir fremd ist, denke dabei an Parnidján, Harir und Parnad – persische und arabische Wörter für Seide.“ Das leuchtet mir ein: Seide, silk und soie.
Die 3. Strophe im „Tarji“ beginnt für mich keineswegs mystisch. Doch das von Hátif beschriebene Zechgelage darf man nicht wörtlich nehmen: Wein und Trunkenheit sind symbolisch zu deuten. Ich übersetzte hier diese Strophe verkürzt:
„Gestern Nacht ging ich (Hátif) zur Strasse der Weinverkäufer, mit von Feuer und Liebe siedendem und brodelndem Herzen, und stiess dabei auf eine Gruppe von Weinverkäufer (damit sind Sufis oder Derwische gemeint), die Schulter an Schulter beisammen sassen. Sie waren teils (be)trunken, teils beschwipst. Mit reinen Herzen voll im Gespräch, blieben ihre Lippen verschlossen. Respektvoll näherte ich mich den Zechern und sprach: ,Eure Herzen beherbergen den Engel Surdùsh (Erzengel Gabriel im Islam als Engel der Offenbarung geltend) – und ich bin von der Liebe befallen und brauche Hilfe, um meine Pein zu lindern.’
Da lächelte der Weise und sagte spassend: ,O du, der du als Sklave der Vernunft folgst. Was trennt uns voneinander? Vor dir, Fremdling, sitzt mit verschleiertem Antlitz die Tochter der Trauben.’
Ich bat ihn um einen Becher Wasser, damit der Trank meinen Brand lösche und fügte hinzu: ,Gestern Nacht versengte mich dieses Feuer … Und was, wenn meine heutige Nacht gleich der gestrigen sein wird?’
Lächelnd erwiderte der Weise: ,Da, nimm den Becher’. Ich nahm ihn zur Hand. ,Halt!’ schrie er: ,Trink nicht mehr!’
Der Trunk aus dem Becher erlöste mich vom Schmerz des Unverstands und den Wirren der Sinne. Als ich wieder zu mir kam, sah ich für einen Augenblick den Einen, und alles sonst bloss in Linien und Figuren („I saw for a moment One, and all else in mere lines and figures“).Plötzlich im Tempel flüsterte mir der Engel Surùsh zu:
He is One and there is naught but He:There is no God save Him alone!”(Er ist der Einzige und es gibt keinen als Er:Es gibt keinen Gott als Er allein!)
Alle 5 Strophen des „Tarji“ enden mit diesem Kehrreim. Die Sufi haben Sinn für Humor, und mir scheint, dass in der 1. Strophe eine Dosis Schalk beigemengt ist. Am ausgeprägtesten wohl ist der Schalk in den Spässen von Mullah Nasredin, die jenseits des Sufismus unterhalten und nicht belehren wollen.
Zum Abschluss pflücke ich noch einige Zeilen aus Hátifs Werk:
Öffne die Augen des Herzens, damit du den Geist erkennst und zu sehen vermagst, was nicht sichtbar ist.
Was du siehst, begehrt dein Herz – und was dein Herz ersehnt, wirst du sehen.
Du suchtest eine Kerze im vollen Sonnenschein: Der Tag ist hell, während du in der tiefsten Nacht bist.
Die Liebe erleichtert vieles, was die Vernunft allein stark erschwert.
*
Anmerkungen: Auch Lao Tse und Konfuzius haben den Weg zur Erkenntnis beschritten – nicht religiös, sondern philosophisch. Der chinesische Poet und Philosoph Tschuang Tse hat ebenfalls in seinen „Reden und Gleichnissen“ einen ähnlichen Weg eingeschlagen, mit dem ich mich identifizieren kann. Ob Religion oder Philosophie – jedermann ist jedermann der Weg zur Erkenntnis freigestellt, solange er damit nicht Andersdenkende bevormunden will. In diesem Sinne schätze ich auch die Sufis und Derwische, die für mich „das andere Persien“ bedeuten, abseits des materiellen Gewinnstrebens und des blinden Fanatismus.
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