Textatelier
BLOG vom: 04.08.2009

Pflaumen und Zwetschgen: Ein Genuss zum Dreinbeissen!

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Nimm Pflaumen für des Alters morsche Last, denn sie pflegen zu lösen den hartgespannten Bauch.“
(Marcus Valerius Martial, römischer Dichter, lebte von 38/40 bis 102/104 u. Z.)
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„Eine so gute Weihe (Wähe) habe ich noch nie gegessen“, war die Meinung von Ewald, unserem Nachbarn und Wanderfreund, als er eine von mir gebackene Zwetschgenwähe verspeist hatte. Auch seine Frau Karin geriet ins Schwärmen, als sie genussvoll ein Stückchen des Kuchens sich einverleibte. Sie verdrehte förmlich die Augen vor Wonne. Auch meine Familienangehörigen waren voll des Lobes. Dabei ist die Herstellung eines Pflaumen- oder Zwetschgen-Hefe-Kuchens kein Hexenwerk. Entscheidend ist die Qualität der Pflaumen oder Zwetschgen.
 
Tags zuvor hatte ich die Zwetschgen von einer Bäuerin aus dem Markgräflerland, die jeden Freitag bei uns vorbeikommt und ihre Waren anbietet, gekauft (1 kg für 1,50 Euro). Wie sie mir sagte, pflückt ihr Mann immer nur die reifen Früchte und keine halbreifen oder noch blau-grüne. Oft sah ich nämlich in Supermärkten oder auf dem Wochenmarkt noch nicht ganz reife Früchte. Die haben noch nicht das volle Aroma; auch löst sich der Stein nicht gut vom Fruchtfleisch.
 
Zwetschgen sind länglich
Wie unterscheidet man eigentlich Pflaumen von Zwetschgen? Wie der Gartenbau-Diplomingenieur und gelernter Baumschulgärtner und Geschäftsführer im Kreisobst- und Gartenbauverband Lörrach Klaus Nasilowski in der „Badischen Zeitung“ am 19.07.2009 berichtete, sind die Pflaumen rundlich und aromatisch. Es gibt gelbe („Ontariopflaume“), orangerote („Viktoria“) oder blaue („Czar“) Sorten. Die Pflaumen sind im Gegensatz zu Zwetschgen eher weich.
 
Die Zwetschgen sind länglich, meist blau und an einer deutlichen Linie in Längsrichtung zu erkennen. Wie der erwähnte Fachmann berichtete, sind im Kreis Lörrach rund ein Drittel aller Obstbäume in Obstanlagen und Gärten Zwetschgenbäume.
 
Süd- und Mittelbaden ist ein Zwetschgenland. Auf etwa 1000 Hektar finden wir in diesen Landstrichen Zwetschgenbäume. Die Produzenten liefern mindestens ein Drittel aller Zwetschgen von Deutschland. Eine stolze Masse. Aber der Deutsche verzehrt durchschnittlich nur 1 kg frische Zwetschgen im Jahr, während die Äpfel mit 20 kg einsam an der Spitze des Verzehrs stehen.
 
Übrigens unterscheidet man in Teilen Österreichs, Süddeutschlands, im Saarland und der Pfalz nicht zwischen Pflaume und Zwetschge. Dort sind diese Bezeichnungen Zwetschge, Zweschke, Zwetsche und Quetsche üblich. Weltweit gibt es 2000 Sorten, zu denen nicht nur die Pflaumen und Zwetschgen, sondern auch die Mirabellen, Reineclauden und die Japanische Pflaume gehören.
 
Nun, am 01.08.2009 war es wieder soweit. Ich buk erneut eine Zwetschgenwähe nach bekanntem Rezept: Hefeteig nach altbewährter Art zubereiten (für Eilige gibt es auch tiefgefrorenen Teig), dann den Hefeteig ausrollen und auf ein 40×30 cm grosses Blech geben. Es werden etwa 1 kg Zwetschgen entsteint, in kleine Stücke geschnitten, mit einem Gemisch aus Zimt und Zucker bestreut und auf den Teig so verteilt, dass das Fruchtfleisch nach oben zeigt. Anschliessend wird die noch rohe Wähe bei 180 °C (Backofen vorheizen!) etwa 30 Minuten gebacken. Der unvergleichliche Zwetschgenduft steigt dann schon bei noch nicht ganz fertig gebackenem Kuchen aus allen Ritzen des Herdes heraus. Da bekommt man schon Appetit. Nach der Abkühlung kann man sich an sie (die Wähe) heranmachen. Natürlich schmeckt die Wähe im frischen Zustand am besten.
 
Demnächst werde ich noch Pflaumen- oder Zwetschgenknödel probieren. Auch hier gibt es etliche Rezepte im Internet oder in diversen Kochbüchern.
 
Die Römer brachten sie zu uns
Die Zwetschge oder Pflaume (Prunus domestica L.) dürfte aus Wildpflanzen, die in Armenien, Persien und im Kaukasus heimisch waren, hervorgegangen sein. Im 5. Jahrhundert v. u. Z. kamen diese Steinobstarten nach Syrien. Dort wurden bald darauf etliche Sorten kultiviert. 2 Jahrhunderte später tauchten die Steinobstarten in Griechenland, Süditalien und später in Rom auf. Die Römer waren es, die die Pflaume und Zwetschge in die Schweiz und nach Deutschland brachten.
 
Im „Capitulare de villis“ Karls des Grossen aus dem Jahre 812 sind bereits Pflaumenbäume verschiedener Sorten erwähnt.
 
Sie hält den „Leib offen“
Griechische und römische Schriftsteller, Naturforscher und Ärzte befassten sich wenig mit dem gesundheitlichen Wert der Pflaume. Sie beschäftigten sich vielmehr mit der Aufzucht, den Spielarten und ihrer Verwendung. Bekannt war nur, dass Pflaumen den „Leib offen“ halten. Arabische Ärzte schätzten die mild abführende Wirkung der Pflaume. Die berühmteste Medizinschule der damaligen Zeit, diejenige von Salerno, bezeichnete die Frucht als „reinigend und kühlend“.
 
Pflaumenlatwerge und Zibärtli
Früher waren Pflaumen Bestandteil der Latwerge (brei- oder teigförmig zubereitete Arzneimittel). Die berühmteste Zubereitung war das Diaprunum, eben die Pflaumenlatwerge. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg führten Apotheker Pflaumenmus unter der Bezeichnung Pulpa Prunorum als darmanregendes Mittel. In unserer Zeit wird Pflaumenmus nicht mehr in Apotheken gehandelt. Dafür hat es sich einen Platz in unseren Küchen erobert. Es dient als Brotaufstrich und als Füllung für Knödel und Kuchen. Beliebt sind neben dem Mus und Frischobst u. a. Kompott, Saft, Wein (bekannt ist der köstliche japanische Pflaumenwein) und Liköre bzw. Schnäpse („Pflümlischnaps“). Bei uns wird in speziellen Brennereien aus Zibarten (Wildpflaumen) der Zibarten-Schnaps gebrannt (www.fiesbrennerei.de). Es ist eine begehrte Spezialität des Schwarzwaldes. So mancher Wanderfreund schätzt das „Zibärtli“, wie der Zibarten-Schnaps genannt wird. Er ist etwas teurer als andere Schnäpse, aber eine Köstlichkeit. Es gibt Brennereien, die das Zibärtle vor dem Verkauf 2 bzw. 5 Jahre in Tongefässen lagern. Die so gelagerten haben natürlich einen höheren Preis. Auf dem Schopfheimer Wochenmarkt gibt es schon Zibärtli für 18 Euro (1 Liter). In bestimmten Geschäften muss man für 1 Liter Zibärtli 30 Euro und mehr bezahlen.
 
Das bekannteste Destillationsprodukt aus Zwetschgen ist der „Sliwowitz“ (Slivovitz), der hauptsächlich im ehemaligen Jugoslawien hergestellt wurde. Heute werden in Serbien 70 % der Zwetschgenernte, das sind 424 300 Tonnen, zu Sliwowitz verarbeitet. Während unserer Tschechien-Reise im vergangenen Jahr kosteten wir den tschechischen Slivovice, der uns wirklich sehr gut mundete. In Tschechien sind Schnäpse in Gaststätten günstig zu bekommen (meistens 50 ml für 1 Euro).
 
In Frankreich werden süsse Pflaumen in Armagnac eingelegt. Sie werden als Darmregulans oder als Beilage zu Wildgerichten verwendet oder mit Vanilleeis serviert.
 
Als mildes und nebenwirkungsfreies Abführmittel dienen heute Trockenpflaumen. Die am Abend eingeweichten Trockenpflaumen (5 bis 10 Stück) werden am Morgen zusammen mit dem Einweichwasser nüchtern verspeist (gut kauen!). Verstopfung kann so wirkungsvoll behoben werden. Empfohlen wird vereinzelt auch ein Mus, das aus 2 Teilen Pflaumen und 1 Teil getrockneter Feigen besteht.
 
Reichlich Ballaststoffe und Kalium
Wie ist die darmanregende Wirkung zu erklären? Die in der Frucht enthaltenen Pektine und zelluloseartigen Stoffe (Ballaststoffe bzw. Nahrungsfasern) besitzen eine starke Quellfähigkeit und üben einen Reiz auf den Darm aus. Die Folge ist eine Verstärkung der Darmbewegung. Auch die in der Pflaume und Zwetschge vorhandenen Fruchtsäuren (Apfelsäure, Zitronensäure) und der Zuckeralkohol Sorbit sind an der abführenden Wirkung beteiligt. Darüber hinaus binden die Ballaststoffe und das Pektin unerwünschte Abfallstoffe und Giftstoffe im Darm. Auch soll die Frucht cholesterinsenkend wirken.
 
Als weitere Inhaltsstoffe sind folgende bemerkenswert: Trauben- und Fruchtzucker, Mineralstoffe (Kalium: 175 mg/100 g) und Vitamin C (5 mg/100 g). Purine sind in der Pflaume auch enthalten, nämlich 25 mg/100 g.
 
In der Pflaume sind auch Anthozyane (Farbstoffe) vorhanden. Diese helfen gegen Abwehrschwäche, Infektionen, Entzündungen, Thrombosen und entfalten wahrscheinlich eine krebsfeindliche Wirkung.
 
Und zum Schluss möchte ich noch Verena Krieger zitieren, die von 1989 bis 1993 für meine Serie „Früchte und Gemüse“ in der Zeitschrift „Natürlich“ einige Jahre Rezepte zu den beschriebenen Früchten und Gemüsen lieferte. Über die Zwetschgen sagte sie Folgendes:
 
„Wenn ihre Haut tiefblau geworden, aber noch mit einem frischen, taugrauen Film belegt ist, dann sind die Zwetschgen perfekt reif – nicht mehr sauer und auch noch nicht richtig mehlig süss – ein wahrhaft göttlicher Genuss zum Dreinbeissen und Rohessen.“
 
In der Tat sind Zwetschgen und Pflaumen ein Hochgenuss. Es gibt jedoch Menschen, die Frischobst nicht so gut vertragen, bei ihnen liegt die Frucht schwer im Magen. Diese Leute vertragen dann jedoch Früchte im gekochten Zustand besser.
 
Nun werde ich den neu fabrizierten Pflaumenkuchen nach dem Schreiben des Blogs mit Genuss verzehren. Gerne würde ich den Lesern ein Stück Wähe überreichen. Da das nicht geht, empfehle ich Ihnen das Backen eines eigenen Pflaumen- oder Zwetschgenkuchens. Wer ein so köstlich schmeckendes Gebäck nicht wünscht, der kann ja „gegen des Alters morsche Last“ auch die frischen Früchte verzehren.
 
Literatur
Heinz Scholz: „Pflaumen und Zwetschgen halten den ,Leib offen’“, „Natürlich“, 1989-09.
Barbara Hofmann: „Zwetschgenbäume – mehr als nur hochwertige Fruchtlieferanten“, „Natürlich“, 1989-09.
Verena Krieger: „Ein Septembergenuss zum Dreinbeissen“, Natürlich“, 1989-09. Hier finden Sie einige Rezepte, Haltbarmachmethoden und Hinweise zum Dörren.
 
Internet (Rezepte für Hefeteig und Zwetschgenkuchen bzw. Wähen)
www.chefkoch.de (425 Hefeteig-Rezepte und 1010 Pflaumenrezepte!)
www.frsw.de/obstbau2.htm (Infos über Obst- und Gartenbau)
 
Infos über Wähen
 
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