Wachstum und Leben im Fricktal: Der geniale Mix
Autor: Heiner Keller
Nehmen wir einmal an, es gebe irgendwo auf der Welt Gewinner der Globalisierung. Ich behaupte, das aargauische Fricktal wird nicht zu ihnen gehören. Eigentlich ahnen wir hier das. Nicht von ungefähr rangieren Ängste um den Verlust des Arbeitsplatzes, Sorgen um das Geld im Alter und die Unsicherheit Fremdem gegenüber bei Umfragen über das Befinden der Bevölkerung hoch oben.
Weder Politiker in permanentem Wahlkampf noch Medien unter Spardruck und bei schwindenden Inseraten greifen tiefschürfende Themen auf. Niemand stellt ernsthaft gewohnte Annehmlichkeiten in Frage. Lieber reden wir von schöner Landschaft, als ob uns das weiterhelfen würde. Solange noch ein Rest von Geld da ist, nutzen wir ihn. Auch die Fluggesellschaft Swiss wird in Raten um- und abgebaut. Dennoch fühlen wir uns noch nicht einmal unwohl innerhalb des von Werbung und Dienstleistern verbreiteten angewärmten Nebels.
Wachstum wird propagiert. Wir müssen wachsen, damit wir den Wohlstand halten können. Stillstand ist Rückschritt. Aber was heisst Wachstum für das Fricktal, in dem ich wohne (in Oberzeihen AG)? Ist das Wachstum, wenn alle Baugebiete mit unterschiedlichsten Gebäuden in grauslichster Anordnung überpflastert werden? Wenn immer mehr Leute aus den Zentren an die neuen Siedlungsränder drängen? Wenn die Flächen an der Autobahnausfahrt Frick gleich aussehen wie diejenigen der Greater Zurich Area? Wachstum heisst offenbar auch, Vorschriften lockern und umzonen. Bevor der Preishammer die Umkehr in der Landwirtschaft endgültig erzwingt, dekorieren Siloballen und alte Maschinen weiterhin die Natur. Jeder Aussiedlerhof soll zusätzlich zu den Direktzahlungen auch noch sein Nebengewerbe, Garagen, Baugeschäfte, Schreinereien, Clublokale und Übernachtungsmöglichkeiten haben, damit er es noch möglichst lange aushält.
„Preise senken“ heisst der geniale Mix von Qualität und Preis von Coop und anderen Grossverteilern: Tiefere Preise für mehr Umsatz. Nicht einmal Coop kann sich einen eigenen Weg leisten. Der Markt entscheidet über das Wachstum. Bis Tiefpreise in Pink, die wesentlich auf billigen Produkten aus China und auf uneingeschränktem Verkehr beruhen, auch unsere Löhne einholen. Irgendeinmal fehlen zudem die Konsumenten, die alle diese Angebote nutzen wollen und können − und auch die Kühe, die das Gras der Landschaft fressen.
Die heutige Betriebsamkeit ist Beweis genug, dass wir Zeiten mit weniger Geld entgegengehen. Mit Vorteil stellen wir uns darauf ein. Wachstum ist nicht die einzige Alternative. Wir können auch wieder mehr von dem und mit dem leben, was wir hier erarbeiten können. Damit wir das vermögen, müssen zuerst die Schulden weg, denn das Überleben ist letztlich eine Vermögensfrage. Oder wir harren weiter der Dinge und freuen uns über die billigen Lebensmittel, die fernen Reisen und die Träume beim Schlafen im Stroh.
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