Alkohol und Engländer: Saufen bis zum Umfallen
Autor: Emil Baschnonga
Sie werden es kaum glauben: Seit rund 10 Jahren lebe ich hier in Wimbledon abseits von Pubs. An jene im alten Stil erinnere ich mich noch ganz gut. Ich stand plaudernd an der Theke, trank allenfalls ein oder zwei „half a pint of Bitter“ (nicht „Lager“) und fand den Heimweg entspannt, ohne zu torkeln. Solche Pubs gibt es gewiss heute noch. Doch jetzt sind die so genannten „gastro pubs“ in Mode. Und getrunken wird wie ehedem.
Die beiden, der Alkohol und die Engländer, vertragen einander sehr schlecht. Das war schon zu Zeiten des englischen Malers William Hogarths (1697−1764) so, als Ginhöhlen die Trunksucht vorangetrieben hatten. In England wird übermässig viel Alkohol − auf einmal − konsumiert, wofür der Ausdruck „binge drinking“ (schnelles, exzessives Rauschtrinken bis zum Umfallen) geprägt worden ist. Während der Alkoholkonsum in Frankreich abnimmt, erhöht er sich in England stetig, hauptsächlich unter Jugendlichen.
Wiewohl im europäischen Vergleich der Pro-Kopf-Konsum von Alkohol in England im Mittelfeld liegt, weitaus tiefer als zum Beispiel in Deutschland, und etwa gleich hoch wie in Belgien und Holland, ist das erwähnte „binge drinking“ der wunde Punkt.
Und wie wird versucht, ihm beizukommen? Die Pubs schliessen traditionell 23 Uhr abends. 10 Minuten vor der Pub-Schliessung fliesst reichlich Bier. Humpen um Humpen wird stracks in die Kehle gegossen. Ab Februar 2005 bewilligt das neue Gesetz (Licencing Act) eine bis auf 24 Stunden erweiterte Saufzeit. Ist dies ein Wahlköder? Damit wird der Alkoholspiegel gewiss nicht gesenkt.
Es kommt noch schlimmer: Allein im Londoner West End ist die Zahl der Lokale mit Alkohol-Lizenz, inbegriffen Bars und Clubs mit Musik und Tanz für „clubbers’, von 33 000 (vor 10 Jahren) auf 128 000 hochgeschnellt!
Selbst im „Wimbledon Village“ herrscht übers Wochenende ein Heidenbetrieb in mehr und mehr Pubs. Grölend wanken die Zecher kurz vor Mitternacht auf den Strassen herum. Jetzt ist es bald um die ganze Nachtruhe vieler Einheimischer geschehen, es sei denn, sie leben wie ich in einem abgeschiedenen Seitensträsschen ...
Die Folgen dieser englischen Trinkkultur sind sattsam bekannt: Horden von „lager louts“ (Biersäufern) verteufeln den Spass am Fussballspiel, und bald kein Ferienort an südlichen Küsten ist mehr vor ihnen sicher.
Mädchen und Frauen zechen wacker mit und stehen den Männern keineswegs nach. Auch für sie wurde eigens ein Name geprägt: „ladettes“. Sie bevorzugen „Alcopops“ – Fruchtsäfte mit Alkohol, die eigens für sie auf den Markt gebracht wurden. Betrunken und anfällig, wie sie sind, werden sie von Gaunern sozusagen von der Strasse aufgelesen. Selten ist ein Polizist in Sichtweite. Mit Blaulicht und Sirenengeheul sausen die Polizeiautos bloss durch die Strassen.
In der Nacht sind die Notfallstationen der Spitäler voll von Besoffenen, mit oder ohne Beulen und Stichwunden. Untersuchungen − wen wundert es? − decken auf, dass besonders milieugeschädigte Jugendliche vom Alkohol gefährdet sind (worunter Prinz Harry). Unter Alkoholeinfluss werden mehr und mehr auch Gewalttaten begangen. Die alkoholbedingte Todesrate nimmt inzwischen stark zu.
Sie in der Schweiz sind vorderhand – vielleicht irre ich mich als Auslandschweizer − von solchem Alkoholmissbrauch weitgehend verschont, wiewohl er sich ebenfalls in Städten einschleicht. Nach der Devise „Vorbeugen ist besser als heilen“ sollte viel mehr für den Jugendschutz unternommen werden, statt den Herstellern von Alkohol gewinnträchtig voranzuhelfen.
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