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BLOG vom: 03.02.2005

Rummel um Gourmetführer, Sterne und Kochlöffel

Autor: Heinz Scholz

Der als extrem konservativ geltende Restaurantführer „Guide Michelin“ kam, wie in der „Badischen Zeitung“ vom 29. Januar 2005 zu lesen war, in Misskredit. Denn in diesem Gastroführer ist das Lokal „Ostende Queen“ in der belgischen Hafenstadt Ostende mit der Empfehlung „sorgfältig zubereitete, preiswerte Mahlzeiten“ bewertet, obwohl das Lokal zum Zeitpunkt der Drucklegung des Werks noch gar nicht eröffnet hatte. Daraufhin wurde die Benelux-Ausgabe zurückgezogen.

Es war dies das erste Mal, dass sich der „Guide Michelin“ zu einer solchen peinlichen Massnahme entschliessen musste. Die Macher des Werkes bezeichneten ihren Schritt als „mutig“. Wie sich jetzt herausstellte, hatte sich der Restaurantbesitzer bereits im November 2004 für eine „positive Bewertung“ eingesetzt.

Immer wieder geraten Tester von solchen Gourmetführern in Kritik und sorgen in der Gastroszene für einen mächtigen Wirbel, besonders dann, wenn unberechtigte Kritiken laut werden. So empfahl ein Tester eines 1-Sterne-Restaurants im Markgräfler Land, man solle doch lieber einen Spaziergang rund um das Lokal machen, weil ihm die Auswahl der Speisen offenbar nicht gefiel.

Hans Bödicker, Cheftester des „Aral-Schlemmeratlas“, kritisierte in der Zeitschrift „Der Sonntag“ vom 30. November 2003, die Tester von der Konkurrenz. Tester sollten vom Fach sein und nicht nur „Journalisten“. Sie sollten über ein hohes Mass an Standhaftigkeit verfügen. Wie der Cheftester betonte, gab es in der Vergangenheit immer wieder Bestechungsversuche, und Tester, die sich als charakterlich nicht einwandfrei erweisen, werden sofort ausgetauscht.

Bödicker geht immer so vor, dass er vor Ort Lob und Kritik übt und nicht unerkannt verschwindet und „dann den Hammer auspackt“. Auch wenn es ihm schmeckt, wird das Essen genau „seziert“. Seine Frau hat wohl von dieser genauen Betrachtung des Essens genug, sie möchte nicht mehr mit ihm essen gehen.

Paul Steiner, 2-Sterne-Koch und Patron des „Hirschen“ in Sulzburg, weiss einiges von diesen Testern zu berichten. Kritik an böswilligen Testern kann keiner üben, denn die Burschen haben ein „langes Gedächtnis und sind nachtragend“. Ihm ist es inzwischen egal, ob man ihn herabstuft. Er will so weiter kochen und seine Gäste, die aus ganz Deutschland und halb Europa zum Schlemmen kommen, zufrieden stellen.

Über Steiner kursiert eine nette Anekdote, die auch im Buch „Essen und Trinken im Schwarzwald“ von Hans Ulrich Lochar publiziert wurde. Hier die Geschichte: Eines Tages fand der Pfarrer von Sulzburg in seinem Opferstock einen 10-Mark-Schein und einen Zettel, auf dem geschrieben stand: „Lieber Gott, lass den Steiner 100 Jahre alt werden, er kocht so gut!“

Kommentar von Jochen Stückler, Olympiakoch, Küchenchef und Leiter des Schwarzwaldhotels „Arnica“ in Todtnauberg D: „Zu den Restaurantprüfern habe ich nicht die beste Meinung. Man muss sich als Besitzer eines solchen Restaurantführers bewusst sein, dass die Autoren, sprich Kritiker, nur ihre eigene persönliche Meinung abgeben und diese nur bedingt als Entscheidungshilfe für einen Besuch eines Restaurants taugt. Der Geschmack des Essens, die Freundlichkeit des Personals und das Ambiente des Hauses entscheidet schlussendlich nur der Betrachter, sprich Kunde, selbst, da jeder Mensch unterschiedliche Auffassungen über Gutes und Schönes hat.

Restaurantkritiker sollten sich bewusst sein, dass sie eine grosse Verantwortung haben, oft sogar wesentlich mitentscheiden über Aufschwung oder Niedergang eines Restaurants. Wobei ich erfahren habe, dass beispielsweise ein Restaurantbesitzer einige Prüfer mit Kaviar für die Ehefrau bestochen hat, nur um eine gute Kritik zu bekommen. Kurzfristig war ein Erfolg da, aber 3 Jahre später war der Betrieb pleite. Somit hat sich meine Meinung bestätigt, dass die Kundschaft selbst entscheidet, ob sie ein Restaurant annimmt oder meidet.

Eine Auszeichnung eines Betriebes bringt finanzielle Belastungen und neues Publikum, aber manchmal auch jenes, welches man gar nicht haben will, deswegen verstehe ich einige Besitzer, die gerne die Auszeichnung zurückgeben wollen.“

Kommentar von Günter Rosskopf, Koch und ehemaliger Gastwirt aus Lörrach (D), der 36 Jahre lang Chef im Restaurant „Kranz“ in Lörrach war: „Ja, ja, die Tester, die Schiedsrichter, die Politiker und, wenn wirs genau betrachten, ganz einfach wir Menschen neigen halt hier und da zu ganz besonders gierigen Auswüchsen, was jedoch nicht heissen soll, denjenigen Absolution zu erteilen, ganz im Gegenteil, wenn man sieht, welche Gemeinheiten und Ungerechtigkeiten dadurch entstehen können, müssen solche Leute und Machenschaften an den Pranger gestellt und bestraft werden. Der Einzug der belgischen Druckauflage des GM ist sicher eine dieser gerechten Strafen.

Als ich noch Chef im „Kranz“ war, habe ich mich nie um diese so genannten Tester gekümmert. Ich habe keinen gekannt und wollte auch keinen kennen lernen. Ich war auch nie bereit, meine Art zu kochen, das Angebot, die Einrichtung des Lokals oder die Weinkarte nach der erhofften (?) Punktezahl, Sternen oder Kochmützen auszurichten. Für uns im ‚Kranz’ stand immer der Wunsch des Gastes im Vordergrund unseres Tuns. Im ‚Gault Millau’ stand über den ‚Kranz’ hier und da eben auch Eigenartiges, was auf die nicht achtsame Art des Testers oder eben nur auf das ‚Durchlesen’ der Speisekarte hindeutete.

Eine gute Werbung für den ‚Kranz’ war der über Jahrzehnte behaltene „ROTE BIP“ im Gault Michelin, welcher – unterhalb des Sterns – eine sehr gute Küche mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis anzeigt. So haben auch wir uns gesehen, und ich habe auch niemals darauf verzichtet, unseren Gästen auf Wunsch einen Wurstsalat und permanent lokale Hausmannskost zu bieten, auch wenn das nicht ‚sternewürdig’ war. Dafür haben wir – nun auch mein Sohn als Nachfolger – immer noch, mittags und abends, eine sehr gut besuchte Gastwirtschaft.

Die Sucht, ohne den notwendigen Hintergrund, grossartig ausgezeichnet zu werden, um damit ein gutes Geschäft machen zu können, hat viele Kollegen in den kaufmännischen Ruin getrieben. – Nun, jeder ist seines Glückes Schmied.“

Soweit die Stellungnahme eines Betroffenen. Etliche Wirte im Markgräfler Land und in Freiburg scherten sich in letzter Zeit nicht mehr um die Auszeichnung. Sie verzichteten auf einen Stern oder Kochlöffel. Und das Geschäft florierte. Sie merkten, dass bei einer Auszeichnung die bürgerliche Kundschaft wegblieb, weil das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht mehr stimmte. „Es ist keinesfalls so, dass mit einem Stern alle wirtschaftlichen Probleme gelöst sind. Das Gegenteil ist der Fall“, bemerkt der Gastrokritiker Wolfgang Abel in einem Interview in der Zeitschrift „Der Sonntag“ vom 30. November 2003.

Alfred Schmidt, der 32 Jahre Wirt in der „Sonne“ zu Schopfheim D und lange Jahre Vorstand des Wirtevereins war, sieht den ganzen Rummel um die Sterne und Kochlöffel gelassen. Er sagte zu mir, dass sich jeder Gastronom auf die Auszeichnung freue. Er hat jedoch Angst, wenn ihm ein Stern genommen wird. Das bereitet ihm schlaflose Nächte, da er mit dieser Abstufung wirtschaftliche Einbussen befürchtet.

Meine eigenen Erfahrungen mit den Sterne-Restaurants sind sehr unterschiedlich. Vor Jahren wurde ich anlässlich eines Besuches bei der Firma Dragoco in Holzminden zu einem Gourmetessen eingeladen. Das Lokal blitzte vor Sauberkeit; es gab Blumenbuketts, feine Tischdecken, Kristallgläser und Silberbesteck. Da würde jedes Testerherz jauchzen, aber nicht meines. Das Essen war zwar sehr schmackhaft, aber auf dem Teller musste man die einzelnen Bestandteile des Hauptganges mit der Lupe suchen. Auf dem Teller lagen 2 Filetstückchen in der Grösse von Fünffrankenmünzen, einige gedünstete Möhren und 2 halbierte Pellkartoffeln („Gschwellti“). Nachbestellen konnte man nichts; anscheinend hatte der Gourmetkoch keine Kartoffeln mehr im Keller. Es gab zwar als Vorspeise eine Suppe und als Nachspeise etwas Süsses der ausgefallenen Art, aber kein Mensch konnte hier satt werden. Es war das erste Mal, dass ich ein Lokal hungrig verlassen musste. Mit knurrendem Magen suchte ich mein Nachtquartier auf.

Anlässlich des 18. Geburtstages meiner Tochter speisten wir im „Wasserschloss“ zu Inzlingen bei Lörrach D. Es gab 4- und 8-gängige Menüs. Die Speisen und die Weine waren ausgezeichnet, die Bedienung sehr freundlich und nicht aufdringlich. Wir kamen uns im heimeligen Rokokozimmer vor wie Angehörige des Basler Geschlechts der von Reichenstein, die 1563 an diesem Ort eine ältere Wasserburg zu einem viereckigen Wasserschloss umbauten. Der runde Turm ist heute noch erhalten.

Auch in einem Schwetzinger Lokal wurde anlässlich eines runden Geburtstages meiner Schwiegermutter „fürstlich“ gespeist. Was uns störte, war ein Kellner, der mit Argusaugen die Speisenden beobachtete und sofort heranbrauste, um Wein nachzuschenken. Auch wurden wir beim Speisen immer wieder mit Fragen „Sind Sie zufrieden?“ oder „Haben Sie noch einen Wunsch?“ unterbrochen. Ein ungestörtes Geniessen war hier unmöglich.

Und noch eine weitere Geschichte, die aus dem Heft „Baden-Württemberg“ Nr. 3 (1980) „Zu Tisch in Baden-Württemberg“ erwähnt wurde: In einem 1-Sterne-Restaurant im Badischen wurde von einer dreiköpfigen Tischrunde ein Glas Champagner als Apéritif bestellt. Die Servierdame meinte, sie könne den Wunsch nicht erfüllen, weil gerade keine offene Champagnerflasche parat sei.

Heute ist es so, dass wir gut bürgerliche Restaurants, die hauptsächlich regionale Gerichte anbieten, bevorzugen. Ich könnte viele Restaurants in der Umgebung von Schopfheim und im Markgräfler Land aufzählen, die eine sehr gute Küche haben. Die Speisen werden frisch zubereitet und sind sehr schmackhaft. Ich finde, auch diese Kost sollte auszeichnungswürdig sein. Vielleicht findet sich einmal ein Tester, der dies zu würdigen weiss. Wir leisten unseren Beitrag durch eine gute „Mund-zu-Mund“-Propaganda, auch wenn sie, genau genommen, von Mund zu Ohr geht.

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