BLOG vom: 10.11.2009
Schreiben heute mit Multitasking: Stress und Zeitdruck
Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
Allgemein versteht man unter Multitasking, gleichzeitig aufgerufene Prozessabläufe via CPU/ EDV während der Arbeitsabwicklung zu benutzen. Ohne Fachjargon kenne ich es bloss in der einfachsten Form beim Schreiben. Im Text werden Fehler sofort rot oder grün unterstrichen. Ich kann den „spell-check“ mit einem Tastendruck mobilisieren, um (vermeintliche) Fehler zu verbessern, im elektronischen Wörterbuch nachschlagen, Übersetzungshilfe anfordern, ohne meinem Text zu entgleiten. Ich schätze diese Helfer, kenne aber ihre Grenzen. Sie schalten, besser gesagt, schleichen sich manchmal unaufgefordert in meine Arbeit ein, besonders dann, wenn ich einen verschlungenen Gedankenpfad verfolge. Sie melden sich, bevor ich den Satz geschrieben habe. Solche Einmischungen beachte ich nicht mehr. Viel Rot und Grün löscht sich von selbst, nachdem der ganze Satz geschrieben ist.
Meine Vorgehensweise beim Schreiben folgt einem schrittweise Nacheinander und kann kaum als Multitasking gelten. Angenommen, ich möchte einen Aufsatz über Theodor Fontane schreiben, kann ich vorbereitend im Wikipedia nachschlagen, um eine Übersicht der Werke dieses Dichters zu gewinnen, mitsamt seiner Bibliographie. Aber dabei muss ich wählerisch sein, denn oft erweist sich das Wikipedia als ungenügend und fehlerhaft. Dann stöbere ich in anderen Quellen nach besseren und zuverlässigeren Unterlagen. Aber was immer ich als Arbeitshilfsmittel wähle, ist es bloss ein Vorgespann zur Arbeitserleichterung, denn ich will meinen Aufsatz nicht aus solchen Grunddaten zusammenkleistern. Meine eigene Aussage zum Thema hat Vorrang.
Es muss ein innerer Zusammenhang zwischen dem Dichter und mir bestehen – eine Affinität, damit mir der Aufsatz gelingt. Ich erinnere mich, zum Beispiel, an „Effi Briest“, wiederholt in meinem Leben gelesen. Ich klaube dieses Buch aus meiner Bibliothek und frische meine Erinnerungen auf und stosse dabei unverhofft auf einen Satz, der in mein Aufsatzthema passt und einen frischen Gedankenimpuls auslöst. Darin erkenne ich eine Art Multitasking im kreativen Arbeitsprozess. Diese Einflüsse strömen in meiner Arbeit ein, wie ich weiter schreibe. Am liebsten schreibe ich in einem Guss – doch nicht aus dem Stegreif –, denn ich habe gedanklich mein Arbeitsgerüst vorbereitet, wie der Maler seine Staffelei. Vielleicht wird der Fontane-Satz in einem neuen Paragraphen aufgegriffen und weiterverfolgt.
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Viele Leute finden sich in der Berufsarbeit vom Multitasking überfordert. Mitten in ihrer dringlichen Hauptaufgabe vertieft, werden sie von Telefonanrufen unterbrochen, von Kollegen links und rechts, die sich nicht abwimmeln lassen. Wie oft lauschte ich nicht mit einem halben Ohr, den Hörer zwischen Schultern und Kinn geklemmt, und versuchte mit meiner Arbeit vorwärts zu kommen. Immerhin war ich damals in der glücklichen Lage, eine Sekretärin zu haben, die mich vor vielen Einbrüchen während Sperrzeiten verschonte.
Dieser Luxus hat sich inzwischen verflüchtigt. Jeder Angestellte, worunter auch das mittlere Kader, ist fortwährend Störungen im Grossraumbüro preisgegeben. Eine Arbeitsteilung ist selten möglich. Jeder ist auf sich selbst angewiesen. Er ist gezwungen, sich gleichzeitig mit mehreren PC-Prozessen/Programmen herumzuschlagen, etwa bei der Vorbereitung einer Präsentation. Die benötigten Unterlagen aber muss er zuerst selbst aus verschieden Quellen zusammenklauben. Beide meiner Söhne sind in der Marktforschung tätig und können mir darüber ein Liedchen pfeifen. Immer weniger Zeit haben sie zur Vorbereitung ihrer Präsentation bei Kunden. Nicht selten schinden sie sich bis Mitternacht ab. Ihr Beitrag beruht auf Analyse und bedingt Kopfarbeit.
Die Stosszeiten verlängern sich. Der Arbeitstag beginnt immer früher und dauert länger. Mobilanrufe verfolgen die übermüdeten Leute zu allen Unzeiten. Ich stelle mir die Frage: Verbessert Multitasking die Arbeitsqualität? Eines scheint mir sicher, es verhunzt die Lebensqualität.
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Gestern lauschte ich gebannt der Messe in H-Moll von Johann Sebastian Bach, die Erstaufnahme mit Originalinstrumenten. Er hat dieses Meisterwerk mit dem Federkiel in die Partitur gebracht und im Kopf sein Multitasking vollbracht. Zum Glück war er nicht aufs computergesteuerte Multitasking angewiesen.
Hinweis auf weitere Feuilletons von Emil Baschnonga
02.11.2009: Sunday Times: Ein verregneter Londoner Sonntag …
06.02.2009: Zum Lob der Flausen: Wegweiser zu Lebensinhalten
14.07.2007: Reissaus genommen – Der wunde Punkt im Leben
24.09.2006: Hin und Her: Gespräche zwischen dem „Ich und Du”
06.07.2006: Auf Abwegen: Lumpazi Vagabundus und die Wehmut
13.05.2006: Abnabeln und Verknoten: Rund um den Bauchnabel
Hinweis auf weitere Blogs von Faber Elisabeth
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Schwarzblauer Ölkäfer oder Maiwurm
Marienkäfer als Mittel gegen Läuse
Der Kleiber – ein Hausbesetzer
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