Textatelier
BLOG vom: 11.12.2009

Adventszeit: Allerlei Erfahrungen mit Licht und Dunkelheit

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
In diesen Tagen erlebe ich Licht und Dunkel ganz bewusst. Manchmal denke ich, die beiden Gegensätze sässen auf einer Kinderschaukel. Wenn ein Element den Boden berührt, schnellt das andere in die Höhe.
 
Letzte Woche erlebte ich das Licht der tief stehenden Sonne als Blendung. Ich konnte entgegenkommende Menschen in einer weiten Gasse nur noch als dunkle Schemen wahrnehmen. Einzig ihren Haaren gelang es, das Licht aufzufangen und abzubilden.
 
In einer Feier, während einer Lesung, löschte ein Kurzschluss das Licht abrupt, das die Madonnenfigur beleuchtet hatte. Der Raum selber wurde nicht tangiert. Mir fiel auf, wie die Skulptur sofort plastischer erschien, weil sie nicht mehr total ausgeleuchtet war. Ich blieb immer wieder an ihr hängen. Nicht nur wegen ihrer jetzt gut zur Geltung gekommenen Schönheit. Der elektrische Zwischenfall erinnerte mich sofort an die damalige Ausstellung im Zürcher Landesmuseum (November 2007, „Maria Magdalena Mauritius – Umgang mit Heiligen“).
 
Es war eine eindrückliche Schau, die schon in den ersten 6 Wochen 10 000 Besucher zu sich lockte. In abgedunkelten Räumen, nur punktuell angestrahlt, empfingen uns die Heiligenfiguren unserer Vorfahren mehrheitlich auf schwarzem Samt. Viele von ihnen trugen Gold. Die darunter liegenden Holzarbeiten wirkten auf mich als Schreinersfrau wie wundervolle Stoffe. Die faltenreichen Kleider schienen zu rauschen. Die diskrete und pietätvolle Beleuchtung belebte sie. Die Ausstelldung führte durch einen gewundenen Gang, und irgendwann war sie scheinbar beendet. Man trat in einen quadratischen, hell erleuchteten, leeren Saal. Dieser war mit „Reformation“ überschrieben. An den Wänden war je eine markante Aussage eines Reformators angebracht. Hier wurden keine Figuren mehr geduldet. Hier, wo alles ausgeleuchtet war, war ausser den Worten nichts zu sehen, was hätte anrühren und in Erinnerung bleiben können. Mir war es eindeutig zu hell, exakt so, wie wenn mir das Föhnlicht eine Migräne beschert.
 
Dieser Ort war aber nicht das Ende des Rundgangs. Es folgte noch das ausgestellte Lager der nicht verwendeten Figuren. Von oben herab sahen wir die in vielen Kisten deponierten Heiligen.
 
Später habe ich verschiedene Bekannte auf diesen scheinbar leeren (geistigen?) Reformationsraum angesprochen. Und bin auf Unverständnis gestossen. Man wusste gar nicht, wovon ich sprach.
 
Die Bahnhofstrasse von Zürich ist für mich persönlich auch zu grell geworden. Die einzelnen Lichtdekorationen für die Vorweihnachtszeit konkurrenzieren sich und zur grossen Lichtband-Installation, die heuer zum letzten Mal eingerichtet worden ist, haben sie ebenfalls keinen Bezug. Immer mehr Beleuchtung, scheint die Devise zu sein, obwohl wir Strom sparen sollten.
 
Letztes Jahr besuchte ich um diese Zeit die Ausstellung über die polnische Weihnacht im Kindermuseum in Baden. Ich habe darüber berichtet. Diesmal war ich hieher gekommen, um mich auf das Brauchtum der dänischen Weihnacht einzulassen. Letztes Jahr war ich bei unwirtlichem Wetter unterwegs. Am Himmel hingen dunkle Wolken. Zudem war es nicht einfach, das Museum zu finden. Als ich dort endlich angekommen war, begann es zu schneien. Die Schneeflocken tanzten vor den Fenstern der installierten Weihnachtsstube. Es war warm. Leise Weihnachtsmusik sorgte für festliche Stimmung. Ich fühlte mich zum Fest geladen. Diesmal war es ein heller Tag und wie oben berichtet, blendete mich das Licht. In der Ausstellung war auch alles gut ausgeleuchtet. Kinder sprangen herum und suchten nach Abbildungen, weil sie an einem Wettbewerb teilnahmen. Musik wurde verdrängt. Obwohl mich das Brauchtum Dänemarks begeistert hat, fühlte ich mich nicht als Gast in einer Weihnachtsstube. Diesmal war ich eine aussen stehende Person, die sich am Ausstellungsgut informierte.
 
Wenn Licht und Dunkelheit miteinander agieren, lösen sie oft einen Zauber aus. Ihr Zusammenspiel macht uns Freude. Helle allein oder Dunkel allein zu ertragen, das ist schwer. Aber schon das kleinste Licht auf dunklem Hintergrund bewegt uns, kann Freude oder auch Hoffnung hervorbringen.
 
Als ich an jenem Abend nach Hause kam, flackerte auf dem obersten Treppenabsatz ein Teelicht in einem facettierten Glas und warf seinen strahlenförmigen Schatten an die Wand. Der Windstoss, den ich beim Eintreten mitbrachte, bewegte das schöne Bild.
 
Das machen wir im Dezember immer so: Wer zuerst heimkommt, zündet ein Teelicht an. Und immer ist es eine Überraschung, die uns heiter stimmt. Da sind wir zu Hause.
 
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