Textatelier
BLOG vom: 08.02.2005

Baut die Applaudierkulissen bitte endlich ab!

Autor: Walter Hess

Das Fernsehen ist selbst hinsichtlich der Unterhaltungssendungen nicht immer ein reines Vergnügen. Geradezu zu einer Landplage sind auf Mattscheiben und in Lautsprechern die Applaudierkulissen geworden, die jede Bewegung des Moderators, Redners oder Spassvogels mit frenetischem Getöse untermalen. Manchmal sind sie live, manchmal aus Tonkonserven eingefügt.

Kaum erscheint der Moderator durchs goldene Tor, geht das Gejohle, Gekreisch und Geklatsche los, als handle es sich um eine Erscheinung des Mensch gewordenen Allmächtigen, und der Begeisterungssturm würde wohl nicht enden, wenn der Hauptdarsteller auf der Bühne, der schliesslich seine Nummern innerhalb einer gewissen Zeit abziehen muss, nicht mit besänftigenden, nach unten gerichteten Handbewegungen zur Mässigung auffordern würde. Aber wenn dann im Verlaufe des immer wieder durch Jubelrufe und das Verwerfen von Armen unterbrochenen Programms das Publikum einen abverheiten (missglückten) Gag nicht kapiert hat und weder lacht noch applaudiert, wird das Studiopublikum durch Hopp-Hopp-Handbewegungen nach oben aufgefordert, den genau hier fälligen Applaus dennoch zu spenden. Und es wird dann auf Kommando heftig geklatscht.

Wie Orchestermusiker auf Anweisung ihres Dirigenten, so spielen auch Zuschauer willenlos mit. Wenn ein junger Schlagerstar zu seinem Song ansetzt und den Weg vom Luft einatmen bis zum ersten Vokal geschafft hat, übertönt ihn das Fan-Gekreische, so dass man nicht mehr feststellen kann, um welchen englischen Titel es sich überhaupt handelt. Aber das ist noch am leichtesten zu ertragen.

Auch Politikerauftritte werden ständig von solchem Klatschgetöse begleitet und unterbrochen, und mögen ihre verbalen Absonderungen noch so banal oder gar gefährlich falsch sein. Als George W. Bush am 2. Februar 2005 in seiner eingeübten Rede zur Lage der Nation, in der ausgerechnet Demokratie und Freiheit im Zentrum standen, mit rhetorischem Pathos die Pleite der US-Altersversorgung eingestehen musste, aber sofort ein neues System ankündigte, gerieten einfältige Abgeordnete in einen wahren Freudentaumel; sie konnten sich vor Begeisterung kaum noch halten. Die Begeisterung des hohen Hauses wurde noch gesteigert, als Bush zum siebenhundertsten Mal seine Entschlossenheit ausrief, die Terroristen zu bekämpfen, obschon er damit genau das Gegenteil erreicht. Und als gar die Eltern eines im Irak gefallenen US-Soldaten gefeiert wurden, dauerten die stehend vorgenommenen Beifallskundgebungen minutenlang. 75-mal wurde Bush beim Hinterlassen seiner Allgemeinplätze und den emotionalen Einlagen vom Jubel seines republikanischen Flügels unterbrochen, während die meisten Demokraten still und verärgert dreinblickten. Sie taten einem aufrichtig Leid, wie alle, die diesem verschwommenen Schmarren zuhören mussten. Sinnvollerweise sollte man das US-Kongressgebäude mit Stehpulten ausrüsten.

Stichwort Stehpulte: Der frenetische Applaus kann durch die so genannten Standing Ovations (herumstehende Ovationen… worauf das attributiv gebrauchte Partizip Präsens genau genommen hinweist) noch betont werden; die Sprache, aus welcher der missglückte Ausdruck stammt, lässt zuverlässig auf die Herkunft dieser aufgestandenen Beifallskundgebungen schliessen. Wenn irgendein Redner eine Betonung wählt, die darauf schliessen lassen könnte, es sei Wichtiges gesagt worden, hat sich das Publikum zu erheben und zu klatschen – und zwar steht tatsächlich das Publikum auf und nicht die Ovationen. Und diese gymnastischen Übungen mit der merkwürdigen anglizistischen Bezeichnung gehen dann in Fleisch und Blut über – sie werden immer wieder wiederholt. Vom gesundheitlichen Standpunkt des Muskeltrainings aus betrachtet ist dagegen nichts einzuwenden, bei Fernsehübertragungen aber ist dieser oft schlecht motivierte Überschwang für die Zuschauer zum Erbrechen. Man könnte ja auch das Standing puke (das stehende Kotzen) einführen.

Bei Unterhaltungssendungen und Politikerauftritten spielt das Jubel-Publikum mindestens die gleich wichtige Rolle wie der oder die Hauptdarsteller. Es ist leicht manipulierbar und hat zu beweisen und zu untermauern, wie toll die ganzen Auftritte waren. Das gehört heute zum Stil. An Fasnachtsveranstaltungen in Deutschland wird jede Witzpointe von 3 heftigen Fanfarenstössen begleitet, um dem Publikum das Witz-Ende zu signalisieren und die Applaudierphase einzuleiten. Und man singt auf Kommando und wirft die Arme in Stereo empor: „Die Hände zum Himmel hoch, lasst uns fröhlich sein.“ Wenn dann rhythmische Musik wie Marschmusik ertönt, wird während der ganzen Darbietung im Takt geklatscht, falls man nicht gerade mit befohlenem Schunkeln beschäftigt ist.

Manchmal mache ich mir Gedanken darüber, wie gefährlich diese Massenhysterien und grenzenlosen Begeisterungsstürme auf Bestellung sein können, wenn wirkliche Verführer und kriegs- und machtlüsterne Menschen ihre Worte erschallen lassen – das gabs ja auch schon und gibts selbst heute wieder (siehe oben). Deshalb geht meine dringende Bitte dahin, die bestellten Klatschkulissen endlich abzuschaffen, in der Rumpelkammer zu versorgen oder besser gleich zu entsorgen. Der Applaus sollte nur dort eintreten, wo er wirklich berechtigt ist. Dann ist er das Brot des Künstlers und nicht bloss eine billige, gedankenlose Masche, die zur Show gehört. Und als Publikumsmitglied möchte ich unbedingt selber entscheiden, wo ich Applaus spende und wo nicht.

In diesem Fall wäre es in Fernsehstudios und überall, wo Mikrophone vollgequatscht werden, wesentlich ruhiger. Und etwas mehr Ruhe könnte diese mitläuferische Welt sehr wohl gebrauchen.

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