BLOG vom: 20.01.2010
Berühmte Weinliebhaber (I): Eine Flasche pro Heuss-Rede
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
„Wer Wein säuft, der sündigt!
Wer Wein trinkt, der betet!
Drum lasset uns beten!“
(Theodor Heuss; entdeckt auf der Speisekarte im Landgasthof „Am Rebhang“ in Huttingen)
*
„Selbst der beste Wein vermag es nicht,
wirkliche Sorgen zu vertreiben.“
(aus China)
*
„Stets trank er lieber Wein als Wasser
und war auch nie ein Weiberhasser.“
(Wilhelm Busch)
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Unter den europäischen Berühmtheiten der Vergangenheit gab es viele Liebhaber des Weins. Nennen möchte ich zum Beispiel Johannes Gutenberg, William Shakespeare, Giuseppe Verdi, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, E.T.A. Hoffmann, Heinrich IV., Wilhelm Busch, Lovis Corinth, Gerhart Hauptmann, Charles Baudelaire, Francisco Jesé de Goya, Pablo Picasso, Heinrich Heine, Karl Heinrich Marx, Friedrich Engel und Hermann Hesse.
Viele nutzten den Wein als Medizin oder als anregendes Getränk zur Luststeigerung und für geistige Höhenflüge. Georg Christoph Lichtenberg (1742‒799) sagte einmal: „Es sind wenig Dinge in der Welt, die eines Philosophen so würdig sind, als die Flasche, die cum spe diviti durch die Gurgel eines Liebhabers oder eines Dichters fliesst.“
Man kann nur staunen, welche Mengen Wein durch manche Kehlen flossen. So verwundert es nicht, dass sich manche mit einer Leberzirrhose (z. B. E. T. A. Hoffmann mit 46 Jahren) von dieser Welt verabschiedeten. Aber es gab auch unter den Weintrinkern Berühmtheiten, die sehr alt wurden.
Als Prof. Dr. Georg („Schorsch“) Mayer, ehemaliger Präsident der „Deutsch-Französischen Gesellschaft“ und Agrarwissenschaftler, 1973 mit 81 Jahren starb, wollten die Pathologen wissen, wie seine „schwimmgerechte“ Leber die zahlreichen Trinkgelage überstanden habe. Sie rechneten mit einer kranken Leber, waren aber erstaunt, als diese völlig gesund, nicht verfettet, nicht zersetzt, war, und sie hätte noch viele Jahre ihre Arbeit sehr gut verrichtet.
Vermutlich waren die Trinker, die sehr alt wurden, mit einer gehörigen Portion Dehydrogenasen, die den Alkohol abbauen, ausgestattet. Sie hatten aber auch eine robuste Leber.
Weinfreund Theodor Heuss
Deutschlands 1. Bundespräsident Theodor Heuss (1884‒1963) war in der Jugend ein rechter Lausbub. Er hat Zäune bestiegen, Bäume und Sträucher geplündert. Auf die Frage, ob er auch von den süssen Trauben der Heilbronner Gemarkung genascht habe, antwortete er, er habe sich nicht vergriffen, „weil fleissige und oft arme Familien daraus ihre Nahrung zogen“.
1955 weilte Theodor Heuss anlässlich des „Hebelfests“ in Lörrach D. Von der Ehrentribüne aus betrachtete er zusammen mit anderen Honoratioren und Gästen den vorbeiziehenden Festzug. Eine Winzergruppe machte Halt. Der Vorsitzende goss einen ganzen Liter Wein in den mächtigen Silberpokal und überreichte ihn dem Ehrengast. Der Bundespräsident setzte an und trank und trank, bis das köstliche Nass zur Neige ging. Er selbst nannte dies als eine „Lausbuberei“, aber später berichtete Hanna Frielinghaus-Heuss, ihr Onkel habe sich in die Herzen der trinkfesten Markgräfler „hineingesoffen“.
Theodor Heuss, der die Doktorarbeit „Weinbau und Weingärtnerstand in Heilbronn“ verfasste, trank zuhause und bei offiziellen Gelegenheiten immer württembergische Weine. Dies war vielen Weinanbauern ein Dorn im Auge. Als er einmal die Bemerkung hörte, es gäbe ja noch andere gute Weine in Deutschland, sagte Heuss: „Was wollt ihr denn, Mosel-, Rhein- und Nahewein kriegen die Kerle überall, aber einen württembergischen Wein, den kriegen sie nicht, weil die Schwaben ihren Wein selber wegsaufen!“
Eines Tage überreichte der frühere Postminister Richard Stücklen (1916‒2002) dem Bundespräsidenten eine Serie Wohlfahrtsmarken. Als er die auf einer Marke lächelnde Winzerin, die Trauben pflückte, sah, konnte er sich nicht zurückhalten und belehrte den Minister mit folgenden Worten: „Nächstens müssen sie einen Agrarwissenschaftler zu Rate ziehen. Trauben werden nämlich vom Rebstock geschnitten, weder gepflückt noch gerissen, weil sonst der Weinstock beschädigt wird. Ich denke mir eben die Schere dazu.“
Anlässlich eines Weinbaukongresses in Kreuznach wurde ihm ein mit Wein gefüllter Pokal aus den 1870er-Jahren gereicht. Der Vorsitzende des Winzervereins vom Nahe- und Glantal sagte dazu, es sei ihm eine grosse Genugtuung, wenn eine weitere bedeutende Persönlichkeit aus diesem Pokal das köstliche Nass einverleibe, und er bemerkte weiter, dass aus dem Gefäss schon Kaiser Wilhelm I., der Kanzler Otto von Bismarck, der Reichspräsident und Feldmarschall von Hindenburg, getrunken hätten. Auch hier konnte sich Theodor Heuss die folgende Bemerkung nicht verkneifen: „Verehrter Herr Graf! Ihre Worte haben mich tief bewegt. Ich kann nur dies sagen: Was für ein Glück für Sie und für mich, dass Herr Hitler Abstinenzler war!“
Nach Besichtigung der Milchzentrale in Lörrach wurde dem hohen Gast ein Imbiss gereicht. Als er volle Milchgläser sah, meinte er: „Verlangt nun aber nicht von mir, dass ich entrahmte Frischmilch trinke.“ Er trank dann mit Genuss einen „Markgräfler“.
Theodor Heuss schrieb oft erst am späten Abend seine Reden und Bücher. Dabei beflügelte er seinen Geist mit dem einen oder anderen Viertele. Als er mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Reinhold Maier in der Villa Hammerschmidt beim Kaffee zusammensass, kamen sie auch auf die Vorbereitung von Reden zu sprechen.
Auf die Frage von Reinhold Maier, wie lange er an seiner letzten Rede ‒ er hielt eine über „abstrakte Kunst“ ‒ geschrieben habe, entgegnete ihm Heuss: „Im Allgemeinen brauche ich für eine Rede eine Flasche Wein lang. Für diese Rede habe ich dreieinhalb Flaschen Wein lang gebraucht.“
Reinhold Meier wusste dies richtig zu interpretieren. Theodor Heuss brauchte 3 Abende und 1 Überstunde für die Rede.
„Reisst das alte Haus nur ab...“
In Brackenheim wurde gegenüber dem Geburtshaus von Theodor Heuss eine Gedächtnisstätte errichtet. Als Heuss erfuhr, dass sein Geburtshaus 1950 abgerissen werden sollte, um einer neuen Kelter der Weingärtnergenossenschaft Platz zu machen, sagte er: „Reisst das alte Haus nur ab; eine Stätte zur Pflege des guten Brackenheimer Weines scheint mir viel wichtiger zu sein als romantischer Ruhm auf Vorrat.“
Quellen: „Heuss Anekdoten“ von Hanna Frielinghaus-Heuss, Bechtle Verlag 1969; „Anekdoten aus Baden-Württemberg“ von Richard Carstensen, Husum Verlag 1989.
Weinfreund Hebel
Heimatdichter Johann Peter Hebel (1760‒1826) verfasste viele volkstümliche, humorvolle Geschichten, Anekdoten und alemannische Gedichte, aber auch tiefsinnige „Weinsprüche“. Als er einmal auf einer Reise beim Pferdewechsel im Gasthof „Alten Post“ in Müllheim abstieg, setzte er dem Markgräfler Wein ein Denkmal.
Z’ Müllem an der Post,tausigsapper most!Trinkt mer nit e guete Wi!Goht er nit wie Baumöl i,z’ Müllem an der Post...Woni gang und stand,wär`s e lustig Land ...
Im Gedicht „Freude in Ehren“ finden wir einen Vers über den Kräfte spendenden Rebensaft:
„Ne Trunk in Ehre,wer will`s verwehre?Trinkt’s Blüemli nit si Morgetau?Trinkt nit der Vogt si Schöppli au?Und wer am Werchtig schafft,dem bringt der Rebesaft am Sunntig neui Chraft.“
Nach der Beförderung vom Subdiakon am Karlsruher Gymnasium 1791 folgte ein Jahr später die Berufung zum Hofdiakon. Die Besoldung war nicht üppig, eine Besserung erfolgte erst 1792. Jährlich erhielt Hebel 250 Gulden, 10 Malter Korn, 2 Malter Weizen, 2 Malter Gerste, 10 Ohm Wein 1. und 5 Ohm Wein 2. Klasse.
Johann Peter Hebel schätze einen guten Markgräfler Tropfen. Immer, wenn er von Karlsruhe in seine Heimat zurückkehrte, besuchte er Weinliebhaber oder kehrte in so manche Wirtschaft ein. Der Hebelkenner Richard Nutzinger meinte sogar, dass „dieses edle Getränk für ihn die lebendige Verbindung mit seiner Heimat bedeutete“.
An seine Freundin Gustave Fecht im Weiler Pfarrhaus schrieb er: „Wenns an einem Sonntag schön Wetter ist, und ich nur halbwegs glaube, dass jemand von Lörrach nach Weil komme, so lass ich mirs nicht abkauffen, dass ich nicht in den Keller gehe, und auch mein Gläslein mittrinke.“
Hebel erkundigte sich des Öfteren nach dem Stand der Reben. Einmal beklage er sich, dass er in Karlsruhe keine eigenen Reben habe. Seinen Freund Hitzig ermunterte er: „Bald wird euch für alle Drangsalen der Witterung eine freuden- und traubenreiche Weinlese trösten, ihr gesegneten des Herrn.“
Und „Frau Vögtin“, Koroline Günttert, in Weil, galten die heiteren Verse:
„Gott segne Euer Hausvom Mann bis zu der Maus,Traube reif und süssSaftig das Gemüs ...“
Quelle: Hermann Schäfer: „Hebel und das Rebland“, „Badische Heimat“, 40. Jg. H.1/2, 1960.
Justinus Kerners Weinkonsum
Der Arzt und Dichter der schwäbischen Romantik Justinus Kerner (1786‒1862), der in Weinsberg lebte, soll seinen Patienten gelegentlich zur Stärkung „zwei Viertele roten Wein und dazu ein Ripple“ verordnet haben. Er selbst sprach dem Wein übermässig zu. Täglich trank er 2 bis 2 ½ Liter Wein. Wie sein Sohn versicherte, hat er bis zu seinem Tode etwa 21 000 Liter Wein getrunken. Übrigens wurde eine Kreuzung von blauem Trollinger und weissem Riesling als „Kerner-Rebe“ nach ihm benannt.
Quelle: Richard Hachenberger; Jürgen Dietrich: „Von Brotwasser und Neckarchampagner“, Ipa Verlag, Vaihingen/Enz, 2. Auflage 2000.
Justinus Kerner als Weinexperte
„Der aus reifen, nicht sauren Rieslingen erzeugte Wein und der auch im Keller eine verständige Erziehung erhielt, derjenige Wein ist, der am wohlthätigsten von allen Weinen auf das Nervensystem einwirkt“, schrieb der Arzt, Poet und Geistesseher in seiner Veröffentlichung „Einige Worte über die Wirkungen des Rieslings auf das Nervensystem“ (1847). Der Muscateller und „Roth- und Weisselben“ hingegen wirken betäubend, während der Ruländer einen positiven Einfluss auf Nerven und Augen ausübt. Die Wirkungen fand er in eigenen Experimenten heraus, aber auch durch Beurteilungen der „Seherin von Prevorst“.
Justinus Kerner warnte auch vor übermässigem Weingenuss. Er schreibt: „Übermass ist aber in allen Dingen, und besonders im Genusse der Weine, sie mögen unter die kalten oder die warmen gehören, schädlich und sie üben hier alle ihre Tücke, doch möchte selbst ein Rausch von Riesling weniger schädlich als einer von Clevner und Veltiner sein.“
Justinus Kerner trank des Öfteren einen über den Durst. In einem Protokoll des Städtischen Polizei-Commissariats Heilbronn vom 11. Dezember 1843 lesen wir das Folgende: „Der Polizeidiener Strakan zeigt an, dass gestern Abend vor 10 Uhr ein grosser Lärm (vermutlich von jungen Leuten) in der Klostergass entstanden, und die Einwohner derselben aus dem Schlaf geweckt worden seyen, dass sie aber beym Erscheinen der Polizei auseinander gesprungen, nur Herr Dr. Kerner aus Weinsberg nicht habe fortkommen können. Da der Nachtwächter die Aussage des Strakans bestätigt, so wurde beschlossen: Den Herrn Dr. Kerner aus Weinsberg mit einem sogenannten Saufgulden zu bestrafen.“
Quelle: Zitiert in „Justinus Kerner 1786-1862 - Arzt-Poet-Geistesseher“ von Otto-Joachim Grüsser, Springer-Verlag, Berlin 1987.
Literatur
Bockholt, Werner: „Da hab´ich mich ja umsonst besoffen…“ (Goethe und der Wein), Verlag Schnell Buch & Druck GmbH, Warendorf 2002.
Gussek, Karl-Diether: „Berühmte europäische Weintrinker“, Verlag Dr. Bussert & Stadeler, Jena 2009.
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