Textatelier
BLOG vom: 20.03.2010

Durchs Schächental hinauf zur Schneeschranke am Klausen

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
 
Mit einem Urner Urgestein namens Paul Gisler durchs felsig-gebirgige Schächental und den Klausenpass hinauf bis zur Strassensperrung vor dem 215 m langen Seelital-Tunnel unter der Läged Windgällen zu fahren (der gewaltige Gross Windgällen ist auf der anderen Talseite), ist ein potenziertes Erlebnis. Mit von der Partie waren auch Eva und Gislers Hund Luna. Diese Luna mit dem ebenmässig braunen Fell ist eine Mischung aus Border Collie und etwas Schäfer, welche in dieser unbekannten Gegend die Vorderteile der Ohren aufmerksam nach vorne abknickte.
 
An jenem Nachmittag des 17.03.2010 war nach einer unendlich scheinenden Kälteperiode ein richtiger Frühlingstag ausgebrochen, der bereits eine Spur Rotbraun in unsere verblasste Gesichtshaut brachte. Vor dem erwähnten Tunnel auf etwa 1530 Höhenmetern lag noch etwa 1 m Schnee, der sich gerade auf dem Rückzug befand. Wir waren mit dem Auto bis in die Friteren gefahren und dann zu Fuss auf der vorerst noch aperen Klausenpassstrasse weitergewandert. Etwa 500 m vor dem Tunnelportal hatten die Strassenräummaschinen ihre Arbeit beendet, und die Strasse war von hier aus unter einer Schneedecke begraben. Ein zur Vorsicht mahnendes Dreiecksignal mit einer Schranke (Abschrankung), wie es im Unterland vor Strassenbahnen, Bahnen und Flugplätzen warnt, verdeutlichte die Wintersperrung. Doch hatte immerhin ein Fussgänger bereits ein Weglein gestampft, dem wir bis zum Tunneleingang folgten. Vor dem Eingang war eine wirkliche Barriere, welche über die ganze Strassenbreite reichte.
 
Wir benützten den seitlichen, viereckigen Eisenklotz, der als Gegengewicht zur langen, rot-weissen Abschrankungsstange dient, als Picknicktisch, sassen auf Pauls Allwetterjacke und machten uns über einige Delikatessen her, die wir in Altdorfer Metzgereien beim Zeughaus und der „Brotstubä A. Gisler“ zusammengekauft hatten. Darunter befanden sich ein angenehm feuchtes Kartoffelbrot – wie gut man doch während des 2. Weltkriegs gegessen hat ... – sowie Ofen- und Zigerkrapfen. Bei den letzteren handelt es sich um ein Chilbigebäck mit einem rosaroten Innenleben. Die Farbe stamme von Magenträssig, hatte mir die nette Verkäuferin gesagt, ein Wort, das ich zum ersten Mal hörte. Wahrscheinlich handelt es sich um den Glarner Gewürzzucker Mägenträs (Magentraes), der aus Zucker, Sandelholzpulver, Ingwer, Zimt und anderen geriebenen Gewürzen besteht.
 
Die Enden und die Häute der Cervelats traten wir an Luna ab, die durch verschiedene Grabarbeiten im Schnee auf sich aufmerksam gemacht hatte. Eva vergrub die Leckerbissen im Schnee, auf dass das Graben belohnt werde; der Hund wurde fündig, verschlang die Beute. Paul beglückte uns mit einem Biosaft aus vollreifen italienischen Bio-Aprikosen und sizilianischen Mandarinen mit einem ausgewogenen Zucker-Säure-Verhältnis und jenem Geschmack, den nur Früchte haben, die am Baum weitgehend ausreifen durften. Die getrockneten und geräucherten Urner Hauswürste, die wir uns ebenfalls zugelegt hatten, kamen vorerst ungeschoren davon.
 
Strassentunnel zu Fuss
Den Verdauungsspaziergang unternahmen wir im Tunnel, wanderten in der Dunkelheit bis zum oberen Ausgang. Das Wild scheint nichts von solchen Betonanlagen zu halten; am Tunneleingang gab es jedenfalls kaum Spuren im Schnee. Am Rand der Tunnelaus/eingänge waren die Bestandteile der Metallzäune gestapelt, die während der Passöffnung bei steil abfallenden Stellen den Strassenbenützer auf den richtigen Weg weisen und sie vor Abstürzen bewahren sollen. Der Pass kann erst für den Verkehr freigegeben werden, wenn sie wieder montiert, die Abhänge vor dem Steinschlagmaterial gereinigt und der Zustand der Felsen kontrolliert sind. Die in Blech konservierten Automobilisten sind ja derart wertvoll, teuer, dass man keine Beschädigungen dieses wertvollen Guts riskieren kann.
 
Der Tunnel ist innen mit Spritzbeton versehen, und in dieses Grau hat austretendes, sehr kalkhaltiges Bergwasser weisse Höhlenzeichnungen hinterlassen. Offenbar ist selbst solch ein Tunnel nicht vollkommen wasserdicht zu bauen; an einigen Stellen hatte tropfendes Wasser Eisflächen oder kleine Eisplastiken hinterlassen. Die Tunnelwände sind unregelmässig geformt – ein Bio-Design. Der Tunnel vollzieht eine sanfte Rechtskurve und dann erscheint durchs obere Portal eine neue Bergwelt mit dem Chli Glatten und dem Bödmer und das weitere Tödigebiet (die Strasse führt nach Glarus).
 
Kraftorte und -personen
Auf der anderen (südlichen) Talseite ist die Alp Aesch über Aesch im Tal der Vorder Schächen, wie der Bergbach heisst. Am Abhang gibt es einen gerade zu Eis gefrorenen Wasserfall. Paul Gisler machte ich aufs Buch „Orte der Kraft in der Schweiz“ von Blanche Merz (AT Verlag, Aarau 1998) aufmerksam. Sie bezeichnet dieses Aesch als „eine der Perlen, die sich in die Kette der anderen schweizerischen Orte gleichen Namens einreiht“. Der Ortsname Aesch, mit Asche und Feuer verbunden, findet sich in den Kantonen Baselland, bei Neftenbach im Kanton Zürich und Urnäsch (Kanton Appenzell Ausserrhoden). Diese Aesch-Orte haben alle eine Stärke von 75 000 Boviseinheiten: Da brodelt es also. Der Wert von etwa 6500 Boviseinheiten, die radiästhetisch ermittelt werden, gilt als neutral.
 
Es verwundert unter solchen Kraft spendenden Umständen nicht, dass der Kanton Uri einige der bedeutendsten Nationalhelden im Rahmen der Freiheitskriege gegen die Habsburger hervorgebracht hat. Darunter ist der Wilhelm Tell, der, wenn man der eindrücklichen Geschichte Glauben schenken mag, Bürger von Bürglen im unteren Teil des Schächentals gewesen sein soll. Nicht umsonst steht dort, an der Stelle von Tells vermutetem Wohnhaus die Tellskapelle. Wir hatten den Ort als erstes Dorf nach Altdorf durchfahren und uns zu höheren Taten motiviert gefühlt. Im Urner Hauptort Altdorf hatte ich gerade wieder einmal das 1882 bis 1895 von Richard Kissling geschaffene Tellen-Denkmal in Bronze einer genaueren Betrachtung unterzogen. Es zeigt einen 4 m grossen, muskulösen kraftvollen, kühnen, entschlossenen Mann mit Armbrust und seinem Sohn vor dem mittelalterlichen Wohnturm.
 
Man weiss ja nicht so genau, ob dieser Tell gelebt hat. Ganz sicher ist bloss (ich weiss das aus dem Schulunterricht noch), dass dieser den Landvogt Gessler erschlagen hat und damit für die ehemalige Abwehrbereitschaft der aufkeimenden Schweiz gegen jede Form von Unterdrückung steht. Davon ist die noch heute gültige Bundesverfassung in Artikel 2 beeinflusst, die man ja auch wieder einmal lesen und beherzigen könnte – doch das war einmal, in der Vorglobalisierungszeit: „Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes. Sie fördert die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes.“
 
Irgendwie war es für mich tröstlich, dass in der Person des bekannten Liedermachers und Volksmusiker Paul Gisler („Uriginal"), 1,87 m gross und von kräftiger Statur, so etwas wie eine modernisierte, diesmal unbewaffnete Tellenfigur in meiner Nähe war. Ich sagte ihm es denn auch. „Mein Vater (Gustav Gisler) war viele Jahre Präsident der Theater- und Tellspielgesellschaft Altdorf“, sagte er, mein vernetztes Denken stabilisierend. Sein Grossvater mütterlicherseits (Waldis) hatte in Altdorf eine von einem Wasserrad angetriebene Hammerschmiede. Paul Gisler wohnt zwar heute im zugerischen CH-6312 Steinhausen; doch ist er Urner durch und durch geblieben, kennt die Gegend wie seinen Hosensack.
 
Das Schächental
In seiner ganzen Eindrücklichkeit und Erhabenheit präsentiert sich das Schächental, wenn man von Altdorf aus nach Osten in dieses Seitental der Reuss hinein gelangt und den von Bergen aus Gebirgskalkstein umschlossenen, gewaltigen Talkessel vor sich hat. Paul Gisler zeigte auf den Chli Wingällen im Norden, den Gross Windgällen im Süden; dort stehen auch der langgestreckte Gross Ruchen und hinter dem Steinplanggen der Chli Ruchen und das Schärhorn, dessen Gipfelpaar (Doppelgipfel) sich wie eine Schere kreuzt, gefolgt vom Chammliberg. Bei den Windgällen sollen laut dem Zürcher Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer die Nordwinde manchmal so stark sein, dass sie ganze Steinplatten durch die Luft wirbeln. Der Luzerner Schreiber Johann Conrad Fäsi bezeichnete 1766 die „Berge, welche gegen Mittag (Süden) das Thal umschliessen, zugleich aber das Schächen- vom Maderaner-Thal absondern“ als „Schock von ungeheuren Eisbergen“ (Quelle:
 
Wir sprachen auf dem Rückweg noch mit einem Jagdrevierpächter aus Erstfeld, der hier oben, bei der Friteren (1432 Höhenmeter), mit einem Feldstecher bewaffnet das Frühlingslicht und die Sonnenwärme genoss. Selbst der Schnee schmolz vor Begeisterung. Der Mann mit dem blauen T-Shirt trug rote Hosenträger, in die weisse Ahornblätter gestickt waren. Er kennt die Routen des Wilds und konnte sogar eine Art Zuckerstock neben den Schächentaler Windgällen und direkt oberhalb von uns benennen: den Berglichopf (2307 m), ein markanter Felsturm in der Fluh, die sich vom Höch Pfaffen zu den Schächertaler Windgällen hinüber zieht, ein beliebter Kletterberg. Gegenüber breitete sich am Steilhang ein zerfurchter Schutzwald aus, hielt das weiche Gesteinsmaterial zusammen, so gut es eben ging, und einige Wasseraustritte waren zu bläulich schimmernden Eis-Monumenten erstarrt.
 
Wir fuhren dann langsam wieder talabwärts, fanden in Unterschschächen lauter geschlossene Restaurant-Türen vor. Doch im Restaurant Alte Post in CH-6464 Spiringen wurden wir freundlich empfangen und konnten einen Kaffee oder einen Möhl-Most trinken. Im Altdorfer Zentrum-Markt weihte uns Paul noch in einige regionale Käsegeheimnisse ein: verschiedene Urner Berg- und Alpkäse, z. B. vom Urnerboden, den Galtenebnet und den wuchtigen, fast rässen Surener, der einen Duft verströmt, wie man ihn in einem sauberen Kuhstall antrifft. Dieser Käse repräsentiert die ausgesprochen freundliche Urner Art zwar nicht, aber das Markante, Wehrhafte, Eigenwillige bringt er sehr schön zum Ausdruck. Das Uriginale eben.
 
Hinweis auf CDs von Paul Gisler
Uriginal“, Mund Art Musik, 2002.
„edel wyyss und raabäschwarz“, 2009.
Internet: www.uriginal.ch
 
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