BLOG vom: 22.03.2010
Biberstein AG: Zwischen der Stein-, Bronze- und Digitalzeit
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
Als „Hochburg“ bezeichnet man etwas, das als Zentrum einer geistigen, allenfalls kulturellen Bewegung gilt. In diesem Sinn ist das Schloss Biberstein über dem Steilufer der ehemals wilden Aare, das ja keine Burg (befestigter Bau) mehr ist, ein Kulturhochschloss. Vor und hinter seinen durchlässigen Mauern zeigen immer wieder Kunstschaffende Kostproben ihres Werkens, so auch am Wochenende vom 20./21.03.2010. Der Thalheimer Holzbildhauer und Bronzeplastiker Thomas Lüscher, der Bibersteiner Steinbildhauer und Maler Josef Perchthaler und der Oberentfelder Steinbildhauer Michel Veuve dekorierten den Eingangsbereich und die Schlossräume mit ihren Bildern und Skulpturen – Meisterwerke, wie sie in der Beschaulichkeit des ländlichen Lebens heran- und ausreifen können.
Kunst ums Schloss
Der Zugang zum Schloss über den in einen tobelartigen Einschnitt versorgten „Brusch“ (Dorfbach), der sich dort zu einem kühnen Sprung in einen kleinen Weiher entschliesst, sodann über die ehemalige Fallbrücke (heute eine überdachte Holzkonstruktion mit Ziegeldach) führte an mit verschränkten Armen wartenden oder musizierenden Holzfiguren von Thomas Lüscher vorbei. In der Eingangshalle im Untergeschoss des Schlosses war unter dem grätigen Sterngewölbe eine märchenhaft-mystische Stimmung an die Wand projiziert. Nicole und Nadine Schwarz aus Biberstein sowie Marianne Engel (Zürich und Mandach AG) hatten im Rohrer Schachen (heute zu Aarau gehörend), ennet der Aare also, ein nächtliches, mit Blumen geschmücktes Waldstück fotografiert, in dem sich weiss gekleidete Kinder wie Elfen spielerisch bewegten, in der Dunkelheit verschwanden und wieder auftauchten. Rauschende Naturtöne, von Daniel Menche eingefangen, die an einen Wind erinnerten, der durch eine Röhre bläst, umfingen diese Mischung aus Vertrautem, Erträumten und Verlorenem. Die eintreffenden Ausstellungsbesucher, deren Schatten aufs Bild fiel, wurden kurz in dieses stimmungsvolle bewegte Gemälde einbezogen und in eine andere Welt versetzt.
Vernissage
Bei der Eröffnung der Ausstellung „Kunst im Schloss“ griff der Präsident der Kulturkommission Biberstein, Wolfgang Schulze, vor einem stattlichen Publikum auf einen Gedanken von Leonardo da Vinci (1452‒1519) zurück, der Kunstschaffender und Philosoph in einem war: „Wo die Natur aufhört, ihre Abbilder zu schaffen, dort beginnt der Mensch aus natürlichen Dingen mit Hilfe der Natur, unendliche Bilder zu schaffen.“ Diese Naturmaterialien waren im gegebenen Bibersteiner Fall das Holz, „das für Leben und Tod steht und dem der Künstler neues Leben einhaucht“ (Schulze), sodann Stein, dieses ursprüngliche Material, und schliesslich Bronze, eine Legierung aus Kupfer und 8,5 bis 22 % Zinn, je nach Verwendungsart. So wurde also ein Bogen von der Stein- über die Bronzezeit bis zum digitalen Zeitalter geschlagen (Holzzeit und Bibersteinzeit war und ist immer).
Und dank einsatzbereiter Einwohner blüht auch das kulturelle Leben praktisch pausenlos. Der präsidiale Sprecher dankte Ursula Schwarz als Hauptverantwortliche für diese jüngste Ausstellung und Rita Bircher für die grafischen Arbeiten, die zusammen wesentlich zum Gelingen der Schau in diesem „wunderbaren Schloss“ beitrugen.
Frühlingsstimmung mit Dame im Akazienkleid
Die Werke fanden in den grossen Schlossgemächern genügend Platz, kamen deshalb schön zur Geltung. Josef Perchthaler brachte mit elementar aufblühenden Blumen, gemalt und als Relief, Frühlingsstimmung ins mittelalterliche Haus. Michel Veuve erwies sich ebenfalls als zeichnerisches und gestalterisches Talent. Seine behauenen Steine, denen das naturgegebene Unregelmässige belassen worden war, hatten nun menschliche Antlitze, wurden zu Persönlichkeiten. Und Thomas Lüscher schaffte nicht allein eine Frau im Akazienkleid und grosse Eichenkugeln mit knorrigem Innenleben, sondern er brachte selbst seine Bronzefiguren durch eine Spur Aluminiumsalzzugabe zum Leben; ihre golden-bronzefarbene Haut hatte die Distanziertheit, die Metallen gelegentlich eigen ist, verloren.
Der Bronzeguss
Im Schlosshof zeigte Lüscher die Technik des Bronzegiessens, das bei rund 1200 °C funktioniert. In einen Ring aus ziegelrotem Giesssand drückte er mit Baumnussschalen einen unregelmässigen, strukturierten Kranz und füllte dann die gelb glühende Metallmasse ein, die genau wusste, was sie zu tun hatte: abkalten, erstarren. Und im Schlossbrunnen wurde sie bis auf die Umgebungstemperatur (gegen 20 °C) abgeschreckt. Ein Bestandteil zu einem neuen Kunstwerk war geboren.
Die archaische Bronzetechnik war bereits im alten China hoch entwickelt, vor allem in der Schang-Dynastie zwischen dem 16. und 11. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Bronze-Werkzeuge, -Waffen, -Essgefässe, -Vasen usf. waren beliebte Handelsobjekte. Sie hatten manchmal die Form von Tieren, und auch die Etrusker und andere Völker fanden sich mit mit dem Bronzeguss zurecht. Wegen ihrer breiten Anwendung hat die Bronze einem ganzen Zeitalter den Namen gegeben: Als Bronzezeit bezeichnet man die Kulturperiode zwischen dem Ende des 3. und dem Beginn des 1. Jahrtausends v. u. Z. Das war nach der viel älteren Steinzeit, die vor etwa 2,6 Millionen Jahren begonnen und vor etwa 9000 Jahren geendet hatte, bzw. in die Kupfersteinzeit überging, als die Menschen lernten, Metalle zu verwenden. Nach der Bronze- meldete sich die Eisenzeit an. Doch damals hat niemand gesagt, er lebe in der Steinzeit; solche kulturgeschichtlichen Begriffe haben sich erst viel später eingestellt. Unsere Zeit wird man in ferner Zukunft einmal als Kunststoff- und Wegwerfzeit bezeichnen.
Den in Biberstein entstandenen Bronzekranz mit dem Baumnussmotiv wird man im Rückblick als Beweisstück für die Feststellung nehmen, dass sich hier und im Schenkenbergertal, wo der Künstler wohnt, eine frühe Kultur besonders lange halten konnte und es also noch bewunderungswürdige Regionen gab, in denen der Niedergang später als anderswo einsetzte. Damit wäre unser Ansehen auf Jahrhunderte hinaus gerettet.
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