Textatelier
BLOG vom: 22.04.2010

Hausmittel (V): Senfsamenkur, Kompressen, Senffussbad

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Wer kennt nicht die Redensart „Er gibt seinen Senf dazu“? Sie bezieht sich auf Zeitgenossen, die ungefragt ihre Meinung zu allen möglichen Themen kundtun. Wer unaufgefordert seinen Senf dazugibt, der reizt zum Widerspruch. Aber es gibt noch ganz andere Menschen, nämlich diejenigen, die „einen langen Senf über etwas machen“, also solche, die weitschweifig und langatmig sich über etwas auslassen. „Der ,lange Senf’` ist die verdünnte Senfsosse, die, bildlich gesprochen, dem inhaltlosen Geschwätz entspricht“, wie Kurt Krüger-Lorenzen in seinen „Deutschen Redensarten“ aussagte.
 
Aber lassen wir das Geschwätz und konzentrieren wir uns auf die Geschichte und die gesundheitlichen Wirkungen des Senfs. Da gibt es in der Tat einige Überraschungen.
 
Zunächst möchte ich Ihnen die Senfarten auf dem Teller servieren: den Weissen oder Gelben Senf (Brassica alba oder Sinapis alba), den Braunen Senf bzw. Indischen Senf (Brassica juncea) und den Schwarzen Senf (Brassica nigra).
 
Vor 3000 Jahren schon wurde Senf angebaut
Senf wurde schon vor 3000 Jahren von den Chinesen angebaut. Alte Funde beweisen, dass schon damals eine Senfpaste zu Heilzwecken verwendet wurde. Der Senf könnte aber schon von den Indern kultiviert worden sein. Über Ägypten kam der Senf nach Griechenland und von dort ins Römische Reich. Die Römer waren sehr erfindungsreich und bereiteten die tollsten Heil- und Würzpasten aus Senf, Honig, Salz, Pfeffer und Olivenöl zu. Später wurden sogar Zimt und Nelkenpulver beigemischt.
 
Das 1. Senfrezept wurde von Lucius Iunius Moderatus Columella um 50 u. Z. überliefert. Er war ein römischer Schriftsteller. Ihm zu Ehren kamen die heutigen Columella-Senf-Spezialitäten aus Bayern, wie Feigen- und Ingwersenf, in den Handel. Der römische Schriftsteller Rutilius Taurus Aemilianus Palladius publizierte um 350 u. Z. ein weiteres Senfrezept.
 
Die Griechen nannten den Senf „sinapi“, „das, was die Augen plagt“. Wahrscheinlich entstand die Bezeichnung dadurch, dass bei Senfverzehr manchmal die Augen tränen.
 
Karl der Grosse (ca. 747‒814) befahl beim Anlegen eines Klostergartens auch den Senfanbau. Und Hildegard von Bingen (1098‒1179) hatte immer einen Vorrat an Senfblättern, Senfblüten und Senfkörnern parat, um damit Eintöpfe zu würzen.
 
Schon im 13. Jahrhundert wurde Dijon zu einer Hochburg der Senfproduktion. Der Senf war damals nur den Adeligen und Wohlhabenden zugänglich. 1726 wurde in Düsseldorf die erste deutsche Senfmühle in Betrieb genommen. Dann folgten weitere, und es gab Senf im Überfluss, so dass sich jeder die Würzpaste leisten konnte.
 
Heute verwendet man in der Heilkunde den milder wirkenden Weissen Senf mit hellgelben Samenkörnern innerlich und den schärferen Schwarzen Senf mit schwarzen Samen äusserlich.
 
Für die Herstellung eines milden Gewürzsenfs kommen die weissen, für den scharfen die schwarzen Samen zum Einsatz. Je nach Mischungsverhältnis bekommt man Produkte mit unterschiedlicher Schärfe.
 
Lagerhinweis: Da die Senföle mit der Zeit entweichen, sollte man Senf immer im Kühlschrank aufbewahren.
 
Früher wurde zur Senfbereitung auch junger Wein bzw. Most (lateinisch mustum) benutzt. Aus „mustum ardeum“, dem „scharfen Most“ entstand später „moutarde“ und in Deutschland die Bezeichnung „Mostrich“, „Mostert“ oder „Mostard“.
 
Enzym macht ihn scharf
Senfsaaten weisen etwa 30 % Eiweiss, 25 % Schleimstoffe und 42 % Öl, Vitamin C, Mineralstoffe, Bitterstoffe auf. Zunächst sind die Samen nicht scharf. Gibt man zum Senfmehl Wasser, wird das Enzym Myrosinase aktiv. Dieses Enzym spaltet die Senfölglucoside (Glucosinolate) auf, und es entstehen Senföl (Allyl-Isothiocyanat bzw. Thiocyanat) und Sulfat. Im schwach sauren Milieu entstehen Nitrile. Flüchtige Senföle zeichnen sich durch einen stechenden Geruch und einen scharfen Geschmack aus. Die Nitrile besitzen demgegenüber ein lauchartiges Aroma.
 
Heute gibt es sehr gute Senfprodukte aus der Tube. Die Senfe des Handels bestehen aus Senfsamen, Essig, Salz, Zucker (oder künstliche Süssstoffe) und Gewürze. Unter www.chefkoch.de sind auf der Datenbank viele Senfsorten mit den unterschiedlichsten Würznoten zum Selbermachen aufgeführt.
 
Gesundheitliche Wirkung
Die Inhaltsstoffe des Senfs wirken durchblutungsfördernd, darmanregend, appetitanregend, stoffwechselanregend, verdauungsfördernd, entzündungshemmend. Äusserlich angewendet (Wickel, Packungen) entfaltet der Senf eine lindernde Wirkung bei Erkältungskrankheiten, Husten, Kopfschmerzen, Rheuma-, Ischiasbeschwerden.
 
Die Glucosinolate, die in Rettich, Kresse, Senf, Kohl vorkommen, entfalten vermutlich krebshemmende Eigenschaften. Sie wirken aber auch auf bestimmte Bakterien wachstumshemmend.
 
Senfsamenkur
Innerliche Anwendung (ganze Senfsamen von Weissem Senf) bei: Verstopfung, Appetitmangel, Blähungen, Völlegefühl.
 
Senfsamenkur: 3-mal täglich vor dem Essen einen Teelöffel keimfähige Senfkörner unzerkaut mit etwas Flüssigkeit einnehmen. Man kann die Menge in den nächsten Tagen auf bis zu 3-mal 3 Teelöffel steigern, bis eine milde Abführwirkung zu beobachten ist. Nach einer Woche gehen Sie wieder auf die Ausgangsmenge zurück. Eine Senfsamenkur können Sie mehrere Wochen lang durchführen.
 
Blätter und Sprossen: Die Blätter des Weissen Senfs kann man auch Salaten beifügen. Wer Lust hat, wird aus den Samen des Weissen Senfs Sprossen ziehen. Aus den Sprossen lassen sich vorzügliche Salate herbeizaubern.
 
Wickel und Kompressen
Äusserliche Anwendung (Senfmehl vom Schwarzen Senf): Es kommen Wickel und Kompressen u. a. bei Husten, Bronchitis, Schnupfen und Erkältung zur Anwendung. Der Schwarze Senf st auch wirksam bei Asthma, Lungenentzündung und Brustfellentzündung (hier ist immer eine heilkundige Person hinzuziehen!).
 
Ausführung (Brustwickel): Auf einem Innentuch wird das Senfmehl 2 mm dick verteilt. Dann werden die Stoffränder übereinander gelegt, und die Packung wird in einer Schüssel mit 50 °C warmen Wasser übergossen und vorsichtig ausgedrückt. Der Wickel wird anschliessend so aufgelegt, dass nur eine Lage zwischen Stoff und Senf auf den Körper kommt. Dann deckt man den Wickel mit einem Aussentuch, das sich bereits unter dem Rücken befindet, ab. Die Achselhöhlen und Brustwarzen (auch bei Männern) sollen jedoch vorher mit Vaseline und einem darüber platzierten Tuch abgedeckt werden.
 
Einwirkungsdauer: 5 bis 15 Minuten. Die Einwirkungsdauer richtet sich nach der Hautreaktion und dem allgemeinen Befinden. Nach der Entfernung des Wickels oder der Kompresse Reste von Senfmehl mit Wasser abwaschen, und die Haut mit Hautöl behandeln.
 
Mildere Senfbehandlungen sind das Senffussbad und das Senfpflaster des Handels. Oder man mischt vor der Wasserzugabe 2/3 Senfmehl mit 1/3 Leinsamenmehl.
 
Alfred Vogel empfahl einen Senfwickel bei Bronchiolitis (Entzündung und allmählicher Verschluss der feinsten Luftwege in der Lunge) beim Säugling. Er schrieb in seinem Buch „Der kleine Doktor“: „Ein richtig durchgeführter Senfwickel oder ein Senfbad bei der gefürchteten Bronchiolitis der Säuglinge war schon oft die einzige Rettung in höchster Not, als das Kleine schon blau war und verzweifelt nach Luft rang, um das junge Leben zu retten.“
Auch hier ist die Rücksprache mit einer Fachperson unerlässlich.
 
Maya Thüler schrieb in ihrem Wickelbuch: „Gestaute Entzündungsprodukte werden durch die starke Anregung von Atmung und Kreislauf abgeleitet. Senfbehandlungen wirken rasch (z. B. über Nacht). Ihre Wirkung ist oft frappant: schwere Entzündungen können schnell gebessert werden. Ausserdem haben sie eine beruhigende Wirkung.“
 
Ein Senfwickel belastet Herz und Kreislauf. Deshalb ist die Anwendung bei Herz-Kreislaufstörungen nur mit dem Einvernehmen der Heilsperson angebracht. Diese wird nötigenfalls ein Kreislaufmittel vor der Anwendung verordnen.
 
Senffussbad
Dieses Bad hat eine ableitende Wirkung. Das Senffussbad hilft bei Kopfschmerzen (auch Migräne) und Erkältungen.
 
Durchführung: Etwa 30 g schwarzes Senfmehl in 10 Liter warmes Wasser (37 °C) einrühren. Beine bis unterhalb des Knies eintauchen. Bei Krampfadern nur Füsse baden.
 
Dauer: Maya Thüler, die Wickelexpertin, verzichtet hier auf eine Zeitangabe, da das Prickeln und die Erwärmung individuell sehr verschieden sind. Man soll selbst herausfinden, welche Badedauer am Besten ist (5 bis 20 Minuten). Nach der Behandlung Füsse abduschen und trocknen.
 
Vorsichtsmassnahmen: Senfwickel oder Senfkompressen erzeugen eine Hautreizung und Durchblutungssteigerung. Die Schleimhäute von Mund, Nase und Augen reagieren sehr empfindlich!
 
Die Anwendungen sollten genau nach Vorschrift erfolgen. Ein zu langer Hautkontakt erzeugt eine zu starke Hautreizung mit Blasenbildung. Es ist nicht verkehrt, wenn man vor der Anwendung etwas Senfmehlpaste auf den Unterarm streicht und die Reaktion abwartet. Diese Probe ist nicht nur Rothaarigen, Blonden und Kindern zu empfehlen, da diese besonders stark reagieren, sondern jedermann.
 
Internet
 
Literatur
Habs, Robert; Rosner, Leopold: „Appetit-Lexikon“, Oase Verlag, Badenweiler 1997 (dieser Neuauflage liegt das 1884 in Wien erschienene Appetit-Lexikon zugrunde).
Herzog, Ute: „Das kleine Senf -Kochbuch“, Hölker Verlag, Münster 2010.
Schneeberger, Hans; Zeller, Georges; Opplinger, Peter: „Grossmutters Hausmittel“ , AT-Verlag, Aarau 1982.
Vogel, Alfred: „Der kleine Doktor“, Verlag A. Vogel, Teufen (68. Auflage, ohne Jahreszahlangabe).
Thüler, Maya: „Wohltuende Wickel“, CH 3076 Worb, 2003.
 
Hinweis auf Glanzpunkte-Artikel
 
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(Lislott Pfaff schrieb in diesem Blog über die Wirkung von Wickel bei Bronchitis).
 
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