BLOG vom: 26.05.2010
Sagenhafte Reise von Landskron (F) nach Mariastein (CH)
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
Unser Wanderfreund Toni sorgte kürzlich für eine Überraschung. Er suchte für unsere Wandergruppe – momentan bestehend aus 4 Wanderlustigen – eine aussergewöhnliche Tour aus. Die Wanderung sollte von der mächtigen Burgruine Landskron (Elsass) zum Kloster und Wallfahrtsort Mariastein (Schweiz) führen. Diese Sehenswürdigkeiten waren für uns neu. Nur Toni war schon einmal dort.
Am 18.05.2010 war es soweit. Da wir uns mit dem Fahren immer abwechseln, war ich diesmal an der Reihe. Frohgemut und voller Erwartung chauffierte ich die Gruppe über Lörrach, Weil am Rhein, Huningue, an St. Louis vorbei über Hegenheim, Hagenthal-le-Bas nach Leymen (Leimen).
Wir hatten ein Navigationsgerät dabei, zumal wir in Frankreich in der Vergangenheit mit den verwirrenden Beschilderungen Schwierigkeiten hatten. Nun, unser Navi führte uns direkt in eine Baustelle in Hagenthal-le-Bas unweit von Leymen. Wir sahen wohl ein grosses rotes Schild mit der Ankündigung einer Baustelle am Wegesrand, fuhren jedoch weiter, da die Strasse ja nicht gesperrt war. Kurz vor Hagenthal-le-Bas sahen wir die aufgerissene Strasse und die herumwerkelnden Arbeiter, die mit Belagarbeiten beschäftigt waren. Auf einer Tonne in der Mitte der aufgerissenen Strasse befand sich ein Richtungspfeil nach links. Wir fuhren über die steinige, holperige Strasse und erreichten einen Feldweg, der uns um den Ort herumführte. Die Unterseite meines Autos bekam hier den ersten Schlag von einem hochspringenden Stein ab (später folgte ein weiterer bei der Überquerung der Schienen auf einem Übergang). Ein hinter mir fahrender Lenker eines Fahrzeuges mit französischem Kennzeichen folgte uns willig. Entweder war er ein Einheimischer, der die Schleichwege kannte, oder ein Fremder, der sich nicht auskannte und sich lieber einem Deutschen mit seinem Vehikel anvertraute und mir nachfuhr.
Nach der Umrundung des Hindernisses überquerte ich den unteren Teil der Baustelle und steuerte einem geteerten Weg zu. Dieser instinktiv gewählte Weg war richtig; er führte uns nach Leymen. Dort war dann der Weg zur Ruine Landskron gut ausgeschildert. Aber auch hier war Vorsicht angesagt. Wir mussten nämlich einen unbeschrankten Bahnübergang ohne Blinkanlage überqueren. Nach etwa 70 Minuten (von Lörrach aus gerechnet) erreichten wir nach dieser Hindernisfahrt tatsächlich den Parkplatz am Fusse der mächtigen Burgruine Landskron.
Affen auf der Landskron
Vom Parkplatz aus erreichten wir die 400 m entfernte Ruine in etwa 20 Minuten. Von der ehemals mächtigen Burg aus dem 13. Jahrhundert waren erstaunlich viele Mauerwerke erhalten. Die Burg wurde 1813 von den vereinten Bayern und Österreichern, die gegen Napoleon zogen, erobert. Die verlassene Festung wurde danach von den Einheimischen geplündert. Nach einer Feuersbrunst wurde die Burg 1814 von den Eroberern gesprengt. Auch der über 500 Jahre alte Bergfried sollte zerstört werden. Der Intervention des jungen Hagenthaler Pfarrers Tröntlin, einem gebürtigen Leymener, war es zu verdanken, dass der Turm stehen blieb. Er konnte die Eroberer überzeugen, dass ein stolzer Turm ein schöneres Siegeszeichen war als ein Steinhaufen.
Die Ruine wurde als Nationalgut versteigert und als Steinbruch ausgebeutet. Die Familie der Barone von Reinach erwarb die Ruine 1857 und verhinderten eine weitere Zerstörung. 1923 wurde Landskron zum Monument historique classé erhoben. Aber das hinderte den damaligen Besitzer nicht, eine Affenkolonie anzusiedeln. Bald verschwanden die Affen und mit ihnen der affige Besitzer. Als die Ruine 1980 zum Verkauf stand, konnte der einige Jahre zuvor gegründete französisch-schweizerische Verein Pro Landskron zum Glück die Ruine erwerben. Bald darauf folgten Renovierungen in Höhe von 1,8 Millionen CHF.
Mit dem Beitritt zum Verein unterstützt man die Bestrebungen, die Ruine zu restaurieren, zu erhalten und als Angelpunkt grenzüberschreitender Aktivitäten zu benützen. Solche Aktivitäten finde ich immer super, und sie sollten tatkräftig unterstützt werden.
Der Gefangene auf der Landskron
Die Burgruine wird vom mittelalterlichen Wohnturm mit seinen verdickten Mauern überragt. Über Innenhöfe, 2 Brunnen und Ruinenreste vorbei erreichten wir den Bergfried. Im Inneren des Turmes kamen wir auch an einem Verlies vorbei. Darin erblickten wir die Nachbildung eines Gefangenen, der hier auf einer steinernen Bank ruhte. Ich meinte noch scherzhaft: „Das ist aber nicht der Kachelmann!“ (der Wettermoderator Jörg Kachelmann kam nach einem Vergewaltigungsvorwurf einer Exgeliebten in Mannheim D in Untersuchungshaft). Alle konnten sich vor Lachen kaum mehr halten. Aber den Gefangenen gab es wirklich, und als wir die Geschichte über den unten beschriebenen prominenten Gefangenen lasen, lachten wir nicht mehr.
Von 1690 bis 1789 diente die Landskron als Staatsgefängnis. Der prominenteste Gefangene war der 1737 in Nouvelle Orléans in Amerika geborene Bernard Duvergier (Duvergez) de Soubardon. Nach Verlust der Kolonie Luisiana kam er als Offizier nach Frankreich zurück und lebte am königlichen Hof in Versailles. Aufgrund eines königlichen Haftbefehls („Lettre de cachet“) wurde er 1769 auf der Landskron eingekerkert. Warum das? Auf einer Tafel konnte man lesen, dass er angeblich wegen eines ungebührlichen Benehmens am Hof verhaftet wurde. Aber der wirkliche Grund dürfte wohl eine Liebschaft mit einer jungen Hofdame – die Beziehung missfiel einem Minister – gewesen sein. Nach 21 Jahren, also 1790 (in Zeiten der Französischen Revolution, die von 1789 bis 1799 dauerte), erinnerte man sich an den politischen Gefangenen. Dieser war jedoch inzwischen dem Wahnsinn verfallen. Er wurde befreit, konnte sich aber nicht mehr lange der Freiheit erfreuen. Er starb nur wenige Wochen später in einem Spital in Strassburg.
Es gab jedoch noch eine ganz rührende Liebesgeschichte um den Gefangenen. Auf der erwähnten Infotafel war dies zu lesen: „Die junge Dame in Versailles hatte nach der grausamen Trennung nur noch ein Lebensziel: den Ort ihres Geliebten ausfindig zu machen. Nach über 20 Jahren war sie am Ziel. Im Bad Flüh stieg die vornehme Dame ab. Der Wirt und einige junge Burschen von Flüh heckten einen Rettungsplan aus und befreiten den Gefangenen. In liebender Umarmung fanden sich die beiden Geliebten wieder.“
Eine schöne Geschichte, die leider, wie so oft im Leben, nicht der Wahrheit entspricht. Die Wirklichkeit hatte einen viel brutaleren Ausgang. Es ist unglaublich, welche Anlässe in der Vergangenheit genügten, um unschuldige und lästige Menschen von der Bildfläche verschwinden zu lassen.
Wir gingen weiter und erreichten über eine stählerne Wendeltreppe eine Aussichtsplattform. Von hier hatten wir einen faszinierenden Blick auf die Burganlage und zum Schweizer Jura. In der Ferne sahen wir die Kirchturmspitze von Mariastein über einem Wäldchen herausragen. In der Ferne erblickten wir die Rheinebene und Basel.
Die Errettung eines Kinds
Nach der eindrücklichen Begehung des Burgareals schlenderten wir zurück auf den Parkplatz und gingen eine schmale Strasse zur Grenze und von da ab nach Mariastein. Vorher machten wir, nach der Walddurchquerung, einen kurzen Abstecher zur St. Anna-Kapelle. Sie ist ein sechseckiger Kuppelbau mit Laterne, Glockenträger und Kreuz. Die Kuppel ist innen ausgemalt mit 6 dreieckigen Bildfeldern. Von der Kapelle und von dem in der Nähe befindlichen Kreuzweg aus sind es vielleicht noch 15 Minuten zum Kloster Mariastein. Sehr schön ist der Klosterplatz gestaltet mit einem schönen Blick auf die Fassade der barocken Klosterkirche.
Auch hier gibt es eine Sage: Eine Bäuerin, die mit ihrem Sohn Vieh hütete, schlief in einer kleinen Höhle in der Mittagshitze ein. Als sie aufwachte, war ihr Kind verschwunden. Sie suchte und fand den Knaben wohlbehalten unterhalb einer steilen Felswand beim Blumenpflücken. Das Kind erzählte dann von seiner wunderbaren Errettung durch die Jungfrau Maria. Sie soll dann den Wunsch geäussert haben, in dieser Höhle eine Kapelle zu errichten, die dann auch realisiert wurde. Bis heute zieht die Gnadenkapelle viele Pilger an. Zwischenzeitlich wurde in der ausbrechenden Reformation die Kapelle 1530 von Neugläubigen aus der Nachbarschaft zerstört, der Zugang verstopft, Bilder und Zierrat verbrannt.
Jakob Augsburger, ein Schwabe aus Dillingen, schwörte der neuen Glaubenslehre ab und wurde Wallfahrtsgeistlicher in Mariastein. Unter seiner Führung ereigneten sich zahlreiche Wunder. Als der junge Junker Hans Thürg Reich von Reichenstein den Felsen hinunterstürzte und am Leben blieb, war dies ein Beweis für ein Wunder. Die Herren von Reichenstein waren schon seit dem 15 .Jahrhundert als Wohltäter des Gnadenortes bekannt und sie richteten die Stätte reichlich aus, wie z. B. die Reichensteinische Kapelle. 1636 übernahmen 2 Benediktinermönche vom Klosters Beinwil (am Passwang im Schweizer Kanton Solothurn) die Wallfahrtsseelsorge. 1648 wurde das Kloster Beinwil nach Mariastein verlagert. Als Folge des Kulturkampfes wurde das Kloster 1874 aufgehoben, später durften die Konventualen wieder zurückkehren. In einer Volksabstimmung wurde die Abtei 1971 wieder hergestellt. Danach folgte eine Totalsanierung der Klosteranlage und der Kirche.
Die Klosterkirche
Beim Eintritt in die Klosterkirche fielen mir in der Vorhalle zahlreiche Votivtafeln aus alter und neuerer Zeit auf, die an den Wänden aufgehängt waren. Durch das innere Hauptportal gelangten wir in die Klosterkirche. Die Basilika wurde zunächst in spätgotischem Stil errichtet. Die Kirche erfuhr dann immer wieder Umgestaltungen. Zwischen 1900 und 1934 wurde der Innenraum in 2 Phasen neubarock umgestaltet und ausgemalt. Die nächste grössere Renovierung erfolgte 1999/2000. Es wurde wieder die neubarocke Ausstattung durchgeführt. Die dreischiffige Basilika hat heute wieder einen frohen Charakter. Das Kircheninnere wirkte auf mich sehr angenehm. Keine Düsternis ist hier vorhanden, sondern ein lichtdurchflutetes Inneres, das auf den Besucher eine angenehme und fröhliche stimmende Wirkung erzeugt.
Besonders eindrucksvoll sind der Hochalter, die Seitenaltäre mit Tabernakel, die prächtige barocke Kanzel und die imposante Orgel. Auf dem Schalldeckel der Kanzel und auf der Kanzelbrüstung befinden sich keine Putten, wie dies in anderen Kirchen oft der Fall ist, sondern die 13 Apostel. Putten sah ich an ganz anderen Stellen der Kirche, nämlich hoch oben auf den Seitenwänden. Mir fiel auf, dass alle Putten nicht nackt waren, sondern eine goldschimmernde Bedeckung um ihre Hüften hatten.
Im Chor dominiert der mächtige Hochaltar, ein Geschenk des französischen Königs Ludwig XIV. (Sonnenkönig). Der Hochaltar, der vom Altarbauer J. F. Buol von Kaiserstuhl 1680 errichtet wurde, hat eine Besonderheit zu bieten, nämlich 8 auswechselbare Altarbilder. Diese werden zu den entsprechenden kirchlichen Festtagen ausgewählt und ausgetauscht.
Besonders beeindruckend und ein schönes Fotomotiv ist die dreimanualige Orgel von 1978. Die Orgel von der Firma Metzler von Dietikon wurde unter Verwendung des alten Orgelprospektes errichtet.
Über 59 Stufen zur Gnadenkapelle
Nach der Bewunderung des Kircheninneren gingen wir wieder auf den Vorplatz zurück. Von dort aus durchschritten wir den Eingang links neben der Klosterkirche, um zur Gnadenkapelle zu gelangen. Die Gnadenkapelle mit der „lächelnden Madonna“ wird jährlich von vielen Tausend Pilgern aufgesucht. Sie erhoffen sich von der Jungfrau Maria Hilfe in allen Lebenslagen. Im Internet (www.kloster-mariastein.ch) wird wie folgt darauf hingewiesen: „Seit dem 14. Jahrhundert bezeugen Fallwunder und unzählige Gebetserhörungen, dass Mariastein so ein Gnadenort ist.“
Die Pilger bedanken sich dann auch, wenn ihre Gebete durch die Fürsprache von Maria erhört wurden. Die vielen Votivtafeln erinnern an die Erfüllung ihrer Wünsche.
Einige Inschriften, die mir auffielen, möchte ich hier wiedergeben: „Danke für die gute Arbeitsstelle“, „Vielen Dank für die gelungene Operation“, „Maria im Stein hat unser Kind geheilt, wundersam dem Tod entrissen, uns allen Trost erwiesen, ewigen Dank der Himmelsgöttin, Basel 1979‒1989, Familie S. + M. C.“ Aber es gibt auch ein ganz anderes Dankeschön: „Prager Jesulein und Hl. Maria v. Stein rettete das tschechische und slowakische Volk vor dem Untergang, 28.9.1980“.
Wir rätselten, ob hier das Hitler-Deutschland oder die russischen Militärs gemeint waren, die 1968 in die damalige Tschechoslowakei einmarschierten und den „Prager Frühling“ beendeten.
Durch einen unterirdischen Gang kamen wir zur Siebenschmerzen- oder Reichensteinischen Kapelle und von dort aus zu einer 59-stufigen Treppe, die uns dann in die tieferen Gefilde der Klosteranlage führte. Bevor wir durch die Tür zur Gnadenkapelle schritten, entdeckte ich noch zahlreiche Graffiti auf einer weissen Wand. Auch hier waren Worte des Dankes und Wünsche verewigt.
Die sehr düster wirkende Gnadenkapelle (sie ist nur wenig beleuchtet) wird vom Gnadenbild der „lächelnden Maria“ beherrscht. Es ist eine sitzende Marienstatue aus Stein, die das Jesuskind auf dem rechten Arm hält. Das Bild wird von 6 getriebenen Putten, die je einen Kerzenleuchter tragen, umrahmt.
Etwas entfernt vom Gnadenbild entdeckte ich ein Stehpult, auf dem ein Widmungsbuch aufgelegt war. In diesem blätterte ich kurz und erblickte u. a. diese Eintragungen:
„Liebe Maria, ich bedanke mich, dass ich eben einen guten Arbeitsplatz und eine gute Frau zum Heiraten gefunden habe.“
„Mein grösster Wunsch ist, dass Papa keine Rückenprobleme mehr hat und dass ich sehr gut in der Schule bin und die Universität abschliessen kann.“
Kurz nach dem Lesen kam ein hagerer, junger Mann, der einen leidenden Eindruck machte, herein, kniete sich vor dem Gnadenbild hin und begann intensiv zu beten. Er erhoffte sich wohl eine Gebetserhörung.
Nach einer kurzen Besinnung verliessen wird die Kapelle, keuchten die 59 Stufen hinauf, schritten an unzähligen Votivtafeln vorbei und erreichten bald darauf wieder den Vorplatz der imposanten Klosteranlage. Da es schon etwas spät an diesem Nachmittag war, kürzten wir den Wanderweg zum Parkplatz ab. Von da an fuhren wir mit Hilfe des Navis diesmal wegen der Baustelle eine andere Strecke über Alschwil und Basel nach Deutschland zurück. Wir mussten mehrmals die Grenze nach Frankreich und der Schweiz überqueren. Da wir in Wollbach im Markgräflerland die Schlusseinkehr machen wollten, gab mein Beifahrer Toni die Daten ins Navi ein. Aber es war eine Fahrt über Feldwege und andere holprige Strassen. In Leymen sauste ich mit meinem VW Golf zu schwungvoll über einen buckligen Bahnübergang, und schon machte das Unterteil des Vehikels wiederum Bekanntschaft mit dem holprigen Belag. Kein Wunder, hinten sassen schwergewichtige Wanderfreunde, die den Wagen in die Knie zwangen. Zum Glück wurde nichts beschädigt.
Die 3-Länder-Reise wurde nach einer aufreibenden Fahrt gut zu Ende geführt. Kein Wunder, dass wir dann in der „Alten Krone“ in Wollbach unsere trockenen Kehlen benetzten und auch ein ausgiebiges Vesper verzehrten.
Es war für uns alle einer der interessantesten Ausflüge, die wir in letzter Zeit durchgeführt hatten. Sehr beeindruckend waren für mich die mächtige Burgruine Landskron und das faszinierende Kloster Mariastein. Eines Tages werden wir wohl wieder dorthin reisen.
Internet
Literatur
Schenker, Lukas: „Mariastein“, Führer durch Wallfahrt und Kloster, Verlag Beat Eberle, Einsiedeln 2005.
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