BLOG vom: 02.06.2010
Wo man sich an Worthülsenfrüchten und Helvetismen erlabt
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
„Heisch“ – mit diesem Namen stellte sich mir Peter Heisch im gotischen Saal des Zuger Rathauses vor.
„Hess“, sagte ich, dem freundlichen älteren Herrn die Hand kräftig drückend.
„Nein, Heisch“, erwiderte er in der Annahme, ich hätte seinen Namen falsch verstanden. „Ja, aber mein Name ist Hess.“
Das Missverständnis klärte sich: „Aha, unsere Namen sind zum Verwechseln ähnlich“ (Heisch zu Hess).
Peter Heisch (1935) war früher Chefkorrektor bei den „Schaffhauser Nachrichten“, eine sprachbegabte und sprachenkundige Persönlichkeit. Er hat 83 Sprachbetrachtungen in seinem Buch „worthülsenfrüchte“ (Friedrich Reinhardt Verlag, Basel 2009) zusammengestellt. Eine davon trägt den Titel „Kennen wir uns, dass Sie mich duzen?“ und befasst sich ebenfalls mit dem Begrüssungsritual, mit den heute vereinfachten Formen des zwischenmenschlichen Verkehrs: „Steife Etikette, standesbewusstes Imponiergehabe und umständliches Zeremoniell haben längst ausgedient.“ Zu neuen Duzfreunden kommt man heute umso schneller, etwa in aufgeräumter Stimmung bei einem Glas Bier oder Wein, und tags darauf erinnert man sich weder ans Gesicht noch an den Namen. Peter Heisch zeigt in seinem Werk dazu die Schwierigkeiten auf, die sich ergeben, wenn man einen Vornamen zum Geschlechtsnamen wie etwa Peter hat; dann sind peinliche Missverständnisse unvermeidlich. Und manchmal, wenn sich zwischen Menschen unüberwindliche Hürden aufgebaut haben, regt sich der Wunsch, das Umsteigen auf das Herumlaufen auf den Duzfüssen zu widerrufen.
Meine Begegnung mit Herrn Heisch ergab sich im Schosse des Schweizerischen Vereins für die deutsche Sprache (SVDS, www.sprachverein.ch), der am 29.05.2010 im Rathaus Zug seine Jahresversammlung durchführte. Dabei waren die landesüblichen Traktanden wie die Wiederwahl des Vorstands abzutragen.
Das Vereinsorgan ist der sechsmal pro Jahr erscheinende „Sprachspiegel“, in dem Wortgeschichten, Einblicke in die Sprachenlandschaft, Aspekte zur Schweizer Literatur, Inspirierendes zu den sprachlichen Grundformen, Historisches zur Rechtschreibung usf. aufgetischt werden. Eine bedeutende Rolle spielen darin die Helvetismen (von denen vom schweizerischen Duden-Ausschuss etwa 1500 beschrieben sind), deutschsprachige, in der Schweiz gebräuchliche Wörter, die sich vom Hochdeutschen absetzen und die aus der kulturellen und politischen Struktur der Schweiz herauswuchsen. Auch die Diglossie, die Verwendung von 2 Sprachen nebeneinander (mündliche Umgangssprache und Schriftsprache), ist ein häufiges Thema der Vereinszeitschrift, genau wie die Dialekte, die „ihre eigene regionale Musik“ sind (so Christian Uetz in seinem Feuilleton „Die Musik des Dialekts“). Im Vorwort zum Buch „Deutsch in der Schweiz“ (verlag sprachverein.ch) schreiben Jürg Niederhauser und Johannes Wyss: „Sprachkultur ist nichts Abgehobenes. Sie wird im täglichen Gebrauch gelebt, im Privaten wie im Beruf“ – und wenn immer sich sprachliche Zweifelsfälle ergeben, kann man eine erklärende Auskunft beim „Sprachspiegel“ einholen.
Das tönt beispielsweise so (aus dem „Sprachspiegel“ 2-2010):
Frage: Was ist der Unterschied zwischen „Fels“ und „Felsen“?
Antwort: „Fels“ heisst „hartes Gestein“ und „Felsblock“; „Felsen“ heisst „aufragendes Gestein“ und ebenfalls „Felsblock“: Die beiden Wörter sind also weitgehend synonym. Zur Bezeichnung der Beschaffenheit des betreffenden Materials wird eher „Fels“ als „Felsen“ gebraucht.
Alles in allem befasst sich der DVDS, der heute rund 700 Mitglieder hat, wie seit der Gründung als Deutschschweizerischer Sprachverein (1904) mit der Sprachpflege und dem Sprachschutz. Als offensichtlich beliebter und unternehmungsfreudiger Präsident amtet seit 1995 Johannes Wyss aus Thalwil ZH. Dass ihn die Sprache sehr interessiert, bewies er beim Traktandum „Bericht des Quästors (Bruno Enz) und des Rechnungsprüfers (Andreas Schmitt)“. Hiess es früher, die Rechnung sei geprüft und für richtig befunden worden (was natürlich auch auf die SVDS-Rechnung 2009 zutrifft), sind heute distanziertere, umständliche, rechtlich absichernde Formulierungen üblich:
„Für die Jahresrechnung ist der Vorstand verantwortlich, während unsere Aufgabe darin besteht, diese zu prüfen und zu beurteilen. Wir bestätigen, dass wir die Anforderungen hinsichtlich Befähigung und Unabhängigkeit erfüllen.“ Es folgen eine Darstellung der Prüfungsweise nach dem Schweizer Standard zur eingeschränkten Revision und die Bekanntgabe des Resultats: „Bei unserer Prüfung sind wir nicht auf Sachverhalte gestossen, aus denen wir schliessen müssten, dass die Jahresrechnung nicht Gesetz und Statuten entsprechen.“
Zwar müsste es hier meines Erachtens „entspricht“ heissen. Doch darum ging es nicht, sondern um die in diesem Zusammenhang noch ungewohnte Form der Verneinung. Es wird also nicht die Korrektheit betont, sondern die Abwesenheit von Ungereimtheiten – ein Muster von Sprachanwendung auf der Grundlage der berühmten Porzellankisten-Mutter, der Vorsicht zu Absicherungszwecken. So lebt die Sprache den modernen Lebensstil mit. Im Falle dieses Beispiels steht das zunehmende Absicherungsbedürfnis dahinter, das aus der zunehmenden Prozessierfreude nach US-Vorgaben erwächst, die zu einer einträglichen (Sammel-)Klageindustrie mutierte.
Die Sprachpflege ist auf eine andere Art gewinnbringend. Die Bereicherung ergibt sich aus der Pflege eines wichtigen, identitätsbildenden Kulturguts.
Hinweis auf weitere Blogs zur Sprache
29.07.2005: Oft stört mich das Wort „verkaufen“
26.02.2005: Die unsägliche Mühe mit der Ich-Form
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