Textatelier
BLOG vom: 27.06.2010

Ein Zufallsfund: „Das weisse Lama" von V. G. Calderón

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Am letzten Samstag fand ich beim Stöbern auf dem Wimbledoner Flohmarkt das Buch „The white lama“ von der „The Golden Cockerel Press“ 1938 in London erschienen und mit einprägsamen Holzschnitten von Clifford Webb illustriert. Diesen „Calderón“ habe ich zuerst mit Pedro Calderón, einem berühmten spanischen Schriftsteller und Dramaturg (1600–1681), verwechselt.
 
Ventura Garcia Calderón (1886–1957) stammt tatsächlich von Pedro Calderón ab und war ein bedeutender peruanischer Schriftsteller, erfuhr ich, als ich meine Wissenslücke stopfte. „Das weisse Lama“ ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, innerhalb seiner zwischen 1919 und 1987 erschienenen Kurzgeschichtenreihe „La venganza del cóndor“ (Die Rache des Kondors).
 
Ich las die 123 Seiten dieser Kurzgeschichten, hervorragend von Richard Phipps übersetzt, zunehmend beglückt und gefesselt in einem Zug. So brauchte ich mich nicht erst mühselig in der Originalsprache zurechtzufinden …
 
Alles, was mit Peru zu tun hat, kam aus 2. Hand zu mir, worunter die Schilderungen über die Inka-Kultur seitens eines peruanischen Ehepaars, und aus diversen Nachschlagswerken. Die architektonischen Leistungen der Inkas sind in Ruinenstädten wie Cuzco und Machu Picchu, auf den Talanhöhen der Anden, ersichtlich. Das Land hat 29 Mio Einwohner, mit einem geschätzen Anteil an Inka-Abkömmlingen von 31 bis 45 %. Das Land mit seinen rund 1.3 Mio km2 wurde im 16. Jahrhundert von den Spaniern erobert, und neben Spanisch wird u. a. die Inka-Sprache Quecha weiterhin von Teilen der Urbevölkerung gesprochen.
 
Calderóns Geschichten spielen sich in der Sierra (Hochebene bei den Anden) ab und reichen bis in die Selva (Dschungelregion). Anders als in Nordamerika und Kanada wurde die Urbevölkerung von Peru nicht niedergemetzelt. Gewiss wurden auch die Inkas von den Spaniern brutal unterworfen, doch zeigten sich die Inkas äusserlich unterwürfig und suchten ein Einvernehmen mit ihren Siegern. Sie entwickelten ihr eigenes Verhältnis zum Katholizismus, doch sie verehrten, neben der christlichen Heiligengalerie, weiterhin den Mond und ihre Lamas. Die Abkömmlinge der Inkas scheinen stoisch oder phlegmatisch zu sein. Sie sind undurchschaubar, genauer gesagt rätselhaft, und lassen sich ihre Gedanken nicht vom Gesicht ablesen.
*
Hier wird mit der Leitgeschichte des weissen Lamas begonnen.
 
Don Vicente Cabral, der Besitzer einer Hazienda, verabscheute den Aberglauben der Indios, indem sie ihre sanftäugigen Lamas achteten und verehrten, ganz besonders das weisse Lama „La Killa“. In seiner Rage erschoss er es.
 
Die Indios trugen das tote Lama zur urzeitlichen Grabstätte von Huiracocha und seiner Prinzen beim Ufer des Stroms, von den Anden gespiesen. Der Mond war weiss geworden, und die traurigen Weisen der Flöten begleiteten ihr Trauergeleit. Sie begruben das weisse Lama unter dem heiligen Felsen.
 
Am nächsten Tag traute Don Vicente Cabral seinen Augen nicht: Genau das gleiche Lama, das er tags zuvor mit einem Schuss durchs Ohr getötet hatte, führte die Lama-Herde an. Betroffen und fröstelnd ging er in seinen Hof. Wie immer senkten die Indios ehrerbietig ihre Augen und behielten ihre Gedanken bei sich. Don Vicente Cabral wusste aus seiner hart gewonnenen Erfahrung über die seltsamen Zauberkräfte seiner Landarbeiter, kannte ihren stillen Hass und ihre Rachegefühle und stellte keine Fragen mehr, denn ihre Antwort war wie immer: „Manan taita“ – sie  wussten nichts, hatten nichts gesehen …
 
Wie er sich umdrehte, spuckte ihm das Lama ins Gesicht. Er wollte deswegen seine Untertanen peitschen, „aber er verlor den Kopf“ und verzog sich ins Bett. „Uta“ nennen die Indios die von der Spucke des Lamas verursachte Schwellung. Diese frass sich in sein Gesicht. Als ihr Gebieter im Sterben lag, sahen die Indios die roten Flecken, die alle der Schusswunde des Lamas glichen.
*
Aus der Geschichte, „Die Rache des Kontors“, stammt folgender stark verkürzter Auszug:
 
Calderón genoss das Vertrauen seines Indio-Führers, der ihn und den Captain Gonzales durch eine unwirtliche Landschaft führte. Eines Tages sah Calderón unverhofft unten in der Schlucht den Captain, wie dieser vom Katarakt fortgespült wurde. Mit trauriger Stimme sagte sein Führer: „Das war der Captain, Mister.“
 
Dieser Captain misshandelte Indios mit seiner bleibespickten Peitsche. Auch diesem Führer wollte er „Beine machen“ und schlug ihn blutig. Es gelang Calderón, ihn dabei aufzuhalten.
 
Ich sah davon ab, Fragen zu stellen, denn es gibt Geheimnisse in meinem Land, das kein Indio den Weissen erklären kann. Vielleicht besteht ein dunkler Pakt zwischen ihnen und dem Kontor, um uns für unsere Eroberung ihres Reichs  zu strafen.
 
Aber ich lernte von meinem unvergleichbaren Führer, der meine Hand küsste und seinen Lohn von mir ausschlug, dass es manchmal unvorsichtig ist, mit der Peitsche die Resignation eines eroberten Volkes zu geisseln.
*
Zuletzt noch ein Auszug, kürzer und bezeichnender kann er nicht sein, aus Calderóns Geschichte: „Creole Good Friday“ (kreolischer Karfreitag):
 
Die Indios wohnen der Osterprozession innig bei, als sei der Osteraufzug gestern in Judäa geschehen – in einer Provinz von Peru … Die sanfte „Santa Rosa“ (Maria) wird auf der Sänfte gaukelnd durch die Strasse getragen. (Noch viel bizarrer als ich es mehrmals in Chiclana de la Frontera in Spanien gesehen habe, von schauriger Blechmusik begleitet).
 
In dieser Geschichte schildert Canderón meisterhaft das Spektakel, das seine stark gestauchte Meinung zum Katholizismus durchblicken lässt, wobei er wohlweislich den Namen des Dorfs verschwieg, „denn“, wie er sagte, „möchte ich es vielleicht wieder einmal besuchen …“
 
Gewisse weise Priester mussten der Bevölkerung einst erzählt haben, dass Jesus auf einer mit bunten Wipfeln geschmückten Eselin am Umzug mithielt. Die gläubigen Indios befestigen das Heilige Bild ausgerechnet am Ende des Esels. Wird der Esel auf den blankpolierten Kiesel des Flussbetts mitsamt Jesus ausrutschen? Einerlei, ob dieses Jahr der Esel ausrutscht oder nicht, wird der beliebte Chirimoyas-Fruchtsaft (aus der‚Annona cherimola’- Frucht in den Anden gewonnen) reichlich fliessen.
Dank Calderóns berufener Feder habe ich Peru miterlebt! Wirklich ein wahrer Zufallsfund.
 
 
PS. Es gibt verschiedene deutsche Übersetzungen von V.G. Calderóns Geschichten, (bei www.google.com nachschlagbar).
 
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