Textatelier
BLOG vom: 01.08.2010

Meinungsdiversität: Ist die Rose das Wichtigste im Leben?

Vorwort
Dies ist das Debüt eines neuen Bloggers, und wir freuen uns über diesen Zuwachs: Ernst Bohren (1934) war seit Jahren ein Grenzgänger zwischen Journalismus, Public Relations (PR) und anderen Ausprägungen von kommerzieller Kommunikation, der manchmal auch „einen grausamen Spagat“ machen musste, wie er mir gegenüber einmal eingestand. Bohren erfüllt die Kriterien nach Fachkenntnissen, Unabhängigkeit und Respektlosigkeit seinem eigenen Tummelfeld gegenüber.
 
Er war Alleinredaktor beim „Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern“, kam dann zum „Aargauer Tagblatt“, wurde Pressechef bei Möbel Pfister und betrieb 15 Jahre lang seine eigene PR-Agentur im unteren Wynental. Ernst Bohren ist ein Kommunikationsmensch durch und durch. Meine persönliche Sympathie zu ihm basiert auf seinem ausgesprochenen Talent zum kritischen Denken bis zur Selbstkritik, seinem Erkennen von Zusammenhängen und Abläufen über grössere Zeiträume hinweg, seiner Originalität, Kreativität und seinem Sarkasmus. Er hat es längst aufgegeben, allzu ernst zu nehmen, was um ihn herum passiert und was er selber inszenierte.
 
Ein lockeres Verhältnis zu all den Botschaften und Gags, die Aufmerksamkeit erheischen und die unablässig auf uns einhämmern, ist allgemein angezeigt. Dazu will Ernst Bohren mit seiner Mitarbeit am Textatelier einige Grundlagen liefern.
 
Man darf in zuversichtlicher Stimmung gespannt sein.
Walter Hess, Textatelier.com
*
Autor: Ernst Bohren, Teufenthal AG/CH
 
Vorrede: Vorerst herzlichen Dank für das Gastrecht im Textatelier.com. Lesegast im Textatelier bin ich schon seit längerer Zeit – und dies mit dem grössten Vergnügen. Wobei ich mir das Recht jedes denkenden Lesers herausnehme, beileibe nicht mit allen hier präsentierten Gedanken und Postulaten einverstanden zu sein. Und so wie ich die Publikationen des Textateliers verstehe, wird dies wohl auch im Sinn der Autoren sein: Mit ihren Texten gegen den Mainstream wollen sie erstens provozieren und zweitens zum Selberdenken anregen, wenn ich alles richtig interpretiere. So will ich es in meinen künftigen Auftritten ebenfalls halten. Zum Einstieg präsentiere ich heute ein paar Gedanken zur Frage:
 
Was wirklich zählt im Leben
Für Gilbert Bécaud, den grossen französischen Chansonnier, war schon immer klar: Das einzig Wichtige im Leben ist die Rose. „L’important c’est la rose“ hat er zu Lebzeiten gesungen. Oder brauchen wir zu unserem Glück einfach, dass wir „immer chly und zfriede“ (klein und zufrieden) sind und uns mit dem begnügen, was wir haben? Genau so, wie es im Song aus der Kleinen Niederdorfoper tönte: „Quand on a pas ceux qu’on aime il faut aimer ceux qu’on a“.
 
Doch lassen wir das und gehen wir lieber ernsthaft der Frage auf den Grund, was Glück ist und worauf es im Leben denn wirklich ankommt. Im Internet weiss das Wikipedia wie immer Bescheid: „Als Erfüllung menschlichen Wünschens und Strebens ist Glück ein sehr vielschichtiger Begriff, der Empfindungen eines momentanen Glücksgefühls bis zur anhaltenden Glückseligkeit einschliesst, uns aber auch als äusseres Geschehen begegnen kann, zum Beispiel als glücklicher Zufall oder als eine zum Lebensglück verhelfende Schicksalswende. Das Streben nach Glück (The Pursuit of Happyness) hat als originäres individuelles Freiheitsrecht Eingang gefunden in das Gründungsdokument der ersten neuzeitlichen Demokratie, in die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten.“
 
Inzwischen haben die Nachkommen jenseits des grossen Teichs (zumindest jene, die sich jeweils an die Macht geschummelt haben) dieses individuelle Freiheitsrecht jeweils für ihren Bedarf zurecht gebogen und das Ergebnis dermassen verinnerlicht, dass sie sich berufen fühlen, ihre Ideologie der ganzen Welt aufzuzwingen.
 
Darüber, was wirklich zählt in unserem Leben, hat vor mehr als 200 Jahren Immanuel Kant in seinem Hauptwerk ausgiebig philosophiert. Sein kategorischer Imperativ fordert: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte“. Eigentlich einfach und einleuchtend, aber trotzdem ein hoher Anspruch an die von den täglichen Sachzwängen arg gebeutelte Menschheit. Aufgrund dieser Erkenntnis hat dann Bertolt Brecht im vergangenen Jahrhundert zu Recht resigniert festgestellt, dass bei den Menschen noch immer das Naturgesetzt gilt: „Erstens kommt das Fressen und zweitens die Moral.“
 
Nichtsdestotrotz sollte aber nach Erich Fromm für uns alle das „Sein“ erstrebenswerter sein als das „Haben“. Nur lässt sich auch hier – wie in den meisten Fällen – die Sache aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Das hat Lorenz Keiser in einem seiner Kabarettprogramme glasklar erkannt und ein für allemal festgehalten, dass es für den Einzelnen weitaus besser ist, ein Bratpoulet zu haben als ein gebratenes Poulet zu sein.
 
Zählt nun im Leben, ob wir (für uns selbst) ein glückliches Leben führen oder ob wir auch unsere Umwelt glücklich gemacht haben? Oder ist das, was wirklich zählt, einfach „unser Lebenswerk“ schlechthin? In beiden Fällen sähen dann wohl die meisten von uns recht alt aus.
 
Und was heisst denn eigentlich Glück? Letztlich muss jeder Mensch für sich selbst entscheiden, auf was es in seinem Leben wirklich ankommt. Ist es die Rose des Gilbert Bécaud oder der kategorische Imperativ von Immanuel Kant? Oder wie wär’s mit einer rechten Portion „Glück“ per Swisslos (so ein Hauptgewinn wäre ja auch nicht schlecht). Und wie viel ist uns die Erinnerung wert?
 
Lauter Fragen. Noch haben wir nicht von der Fantasie gesprochen, dieser kreativen Zauberfee, die mehr als wir denken unser Leben bestimmt und es erst erträglicher macht. Mit Sicherheit sind es nicht einfach die materiellen Werte. Und wenn wir schon bei den nichtmateriellen Werten sind: Da singt doch immer wieder eine Glarner Folkloreformation im Wunschkonzert: „All’s was bruuchsch uf der Wält, das isch Liebi…“ (Alles, was du auf der Welt brauchst, ist Liebe).
 
Es verbleiben noch die Religion und der Glaube daran; doch diese sind schon lange nicht mehr mein Ding. Ich denke da vor allem an die monotheistischen Religionen, die sich als Machtinstrument den Herrschenden andienten und kräftig mit dabei waren, wenn es galt, deren Macht zu erhalten und die Niedrigen niederzuhalten. Nach meiner Meinung sollten wir nicht Unfrieden stiften, gerade in Glaubensfragen nicht. Denn das hatten wir ja alles schon mehrmals – vom Mittelalter bis weit in die Neuzeit und gerade in der Zeit des Tausendjährigen Reichs mit seiner Judenverfolgung. Ich wünsche mir, wenn schon bei jeder Gelegenheit die „christliche Ethik“ bemüht wird, etwas mehr Toleranz. Auch wenn uns diese Toleranz nicht von allen Seiten entgegengebracht wird … aber darüber soll jeder denken, wie es in sein Weltbild passt.
 
Nochmals zurück zur eingangs gestellten Frage „Was wirklich zählt im Leben“: Es ist zweifellos die Art, wie wir miteinander umgehen! Dafür braucht es nicht so sehr Verhandlungsgeschick und geschulte Redegabe wie uns Marketing Consultants und Seminartrainer in hoch bezahlten Kursen immer wieder einreden, sondern ganz einfach Offenheit und den ehrlichen Respekt gegenüber unseren Mitmenschen.
 
Wobei wir nun in meinem Lieblingsfach, der Kommunikation, angekommen wären. Ein weites Gebiet, höchst anspruchsvoll und vor allem sehr fragil, wird es doch von den ernannten und selbst ernannten Professionellen bei jeder Gelegenheit zur Manipulation der Massen eingesetzt. Hier habe ich während einiger Jahrzehnte mitgewirkt ‑ als Journalist und Redaktor und später als PR-Meinungsmacher und Werbetexter. Ich weiss also, wovon ich rede, wenn ich die Leser vom Textatelier.com mit diesem Thema ab und zu in den kommenden Ausgaben „beglücken“ werde.
*
Meine „frisch von der Leber“ publizierten Beiträge dürften weniger ein Beitrag zur Weltverbesserung sein, noch sind sie eine Frucht der persönlichen Psychohygiene. Immer aber wollen sie zum Selberdenken anregen, und nicht zuletzt als Beitrag zur Förderung der Meinungsvielfalt dienen. Wenn wir in diesem Jahr der Biodiversität gedenken, sollten wir auch tatkräftig etwas für die Förderung der „Meinungsdiversität“ tun.
 
Wenn Sie also, liebe Leserin, lieber Leser, mehr über die Welt der Medien, erfahren wollen, wenn sie wissen möchten, wie Meinungen manipuliert werden und wie wenig es zur Volksverdummung braucht, beachten Sie die demnächst die hier präsentierten Beiträge.
 
Hinweis auf weitere Blogs über den Lebenssinn
27.12.2004: Glücksstreben, Glückwünsche und Lebenssinn
Hinweis auf weitere Blogs von Bohren Ernst
Die Schere im Kopf: obligatorisch für Schreiber und Verleger
Haben wir wirklich jederzeit Spass an unserer Arbeit?
„Von der Arbeit wird man eher bucklig als reich"
Corporate Identity 3: Mit diesem Zeichen werdet ihr siegen
Corporate Identity 2: Ein guter Name ist der beste Bürge
Corporate Identity 1: Sind Namen nur Schall und Rauch?
Wir denken in Bildern, reden und schreiben aber Floskeln
Wie „mündige“ Konsumenten fröhlich manipuliert werden
Wenn und wie die Zeitungsverleger auf den Strich gehen
Das Korrektorensterben beschleunigt das Zeitungssterben
Die Traditionslüge: „Lindt, Maîtres chocolatier depuis 1845“
Die uralte, schöne und immer heile Werbe-Märchenwelt
Meinungsdiversität: Ist die Rose das Wichtigste im Leben?