BLOG vom: 30.08.2010
Staffeleggzubringerfunk: GSM-Trojaner aus dem Tunnelbauch
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Das war ein strahlender Tag, der Sonntag, 29.08.2010, als das zweitägige Tunnelfest Küttigen AG (Bezirk Aarau) fortgesetzt wurde. Die vorgezogene Festfreude galt dem neuen Staffeleggzubringer, der allerdings erst Mitte Dezember 2010 eröffnet werden wird.
Die neue Strassenverbindung führt von der Telli Aarau aus über eine schwungvolle Aarebrücke dem Jura entgegen. Zwischen Biberstein und Küttigen AG verläuft sie unterirdisch durchs Horentäli unterhalb der Kirche Kirchberg einerseits und neben dem Fluewald unter dem Chispisrain anderseits, bis sie, beim Horenhof, wieder ans Tageslicht auftaucht. Die Staffeleggstrasse erreicht die zweispurige Strasse oberhalb des Dorfs Küttigen, noch vor dem strassenanstössigen Kalksteinbruch. Gewiss wird sich eine Entlastung des Dorfs Küttigen und der Ortsverbindungsstrasse Bibersteiner Aarebrücke/Rohrerschachen ergeben; die restlichen Auswirkungen bleiben abzuwarten. Niemand wird behaupten können, bei diesem brücken-, strassen- und tunnelbautechnischen Glanzstück seien nicht alle Register verkehrs- und umwelttechnischer Sicherheitserkenntnisse gezogen worden.
Der Gemeinderat und die Gemeinde Biberstein, die an ihrer Westgrenze von der neuen Strasse beinahe tangiert wird, standen dem 3,1 km langen Bauwerk reserviert bis ablehnend gegenüber, dies aus der Erkenntnis heraus, dass neue Strassen neuen Verkehr gebären. Aber inzwischen erübrigen sich Diskussionen. Sicher wird die Fahrt über die Staffelegg ins Fricktal (eine ausgebaute Verbindung besteht seit 200 Jahren) und an den Westrand von Aarau ab Dezember 2010 einfacher sein als bisher. Und begrüssenswert ist auch die Renaturierung von Auengebieten im Rohrerschachen („ökologischer Ausgleich“), die im Rahmen des Brückenbaus vorgenommen wurden.
Wahrscheinlich hat niemand im (naturgemäss innen hohlen), bescheidene 700 m langen Strassentunnel ein kriegslistiges Trojanisches Pferd aus der griechischen Mythologie erwartet, das eines Tages seinen Bauchinhalt freisetzen könnte, obschon man sich noch gut an die griechischen Soldaten erinnert, die in einem Holzpferd in die Stadt Troja hinein geschleust wurden, worauf sie die Stadttore von innen öffnen konnten, um den eigenen Truppen den Einmarsch zu ermöglichen.
Mit Ausnahme von friedliebenden, das Feuerhorn blasenden Feuerwehrleuten auf Feuerwehr-Oldtimern habe ich am Tunnelfest nichts gesehen, das mit Kampf zu tun hatte. Doch traute ich meinen Augen nicht, als ich auf einem erläuternden Plakat erkennen musste, dass zur unbemannten Tunnel-Betriebszentrale Horental über dem unteren Tunnelteil eine furchterregende GSM-Antenne gehört. Parallel zum Wachstum der Mobiltelefonie stehen solche Gestänge wie unerwünschte Neophyten in Höchstformat überall im Lande herum, falls sie nicht gerade in einem Kirchturm versteckt wurden, um die Gläubigen mit ihren Mikrowellen besonders intensiv zu verstrahlen. Dort fallen sie am wenigsten auf, zumal ja viele religiöse Darstellungen wie die lichtverklärte Madonna ohnehin innerhalb eines Strahlenkranzes dargestellt werden.
Diesmal aber gehört der kommende Mast, der bald einmal rund um die Uhr strahlen wird, zum Zentralen-Betonbau im offenen Feld. Er wird im Dienste von Swisscom, Sunrise und Orange und, damit verbunden, in jenem des Global System for Mobile Telecommunication – eben dem GSM – stehen. Dieser aufstrebende, schlanke Tunnel-Trojaner gehört zum Spielzeugarsenal der unermüdlichen Handy-Herumtelefonierer, wobei mit einer einzigen Trägerfrequenz bis zu 8 Teilnehmer gleichzeitig bedient werden können.
Mit anderen, interpretierenden Worten: Es ist der mobilgemachten, telekommunikativen, modernen Gesellschaft nicht zuzumuten, auf ihren Autofahrten in einem 700 Meter kurzen Tunnel, den man selbst bei schläfriger Fahrweise in weniger als 1 Minute hinter sich bringt, im telefonlosen Abseits zu stehen. Inzwischen ist das Telefonieren im Auto zwar nur noch mit Freisprechanlage erlaubt, so dass man beide Hände für die Bedienung des Steuerrads frei hat, wenn schon die Konzentration in andere Gefilden entschwindet. Aber da sind ja noch die Mitfahrer, die eben auch gern herumtelefonieren.
Ablenkungsmanöver sind bei Autofahrten verpönt, und nach meiner ganz persönlichen Auffassung sollte man in Strassentunnels, die sicher einer besonderen autolenkerischen Aufmerksamkeit bedürfen, das Telefonieren nicht noch unterstützend fördern.
Die Tunnel-Sicherheitsexperten werden gegen solch hinterwäldlerische Ideen sofort und wohl auch mit Berechtigung einwenden, dass es den Tunnelfunk allein schon aus Sicherheitsgründen brauche, zum Beispiel das Polycom-Sicherheitsfunknetz, den Feuerwehrfunk, UKW-Übertragungen zur Informationen via Radio gerade in Katastrophenfällen usf. – und damit eben auch den Funkmast über der Tunnelvorzone. Zudem wären Unterbrüche von laufenden Telefongesrächen beim Einfahren in den Tunnel lästig.
Die Menschen haben immer gute, beste Gründe, wenn es darum geht, die tägliche Portion elektromagnetischer, niederfrequent gepulster Hochfrequenzstrahlung zu verbreiten und abzubekommen, obschon sie keine Ahnung von allfälligen biologischen und damit gesundheitlichen Schäden haben können; dieses Wissen verschwindet im Nebel der widersprüchlichen, bestellten Fachexpertisen.
Irgendwie verstehe ich mit dem besten Willen nicht, dass es für 700 Tunnellaufmeter einen schätzungsweise 15 Meter hohen Handymast braucht, zumal wir bereits bis anhin nicht in einer handyfreien Zone dahinvegetiert haben. Ich werde den Verdacht nicht los, dass, auch in Anbetracht der 3 daran beteiligten Telefonitisgesellschaften, da doch höhere Ziele angestrebt werden. Die Leistung von Sende- sowie Empfangsanlagen und damit die Reichweite (bis etwa 35 km) können schliesslich manipuliert werden, und ich könnte mir vorstellen, dass da gewisse Reserven weit über die eigentliche Tunnelbestrahlung hinaus eingebaut sind.
Was ebenfalls erstaunt: dass im Allgemeinen gut informierte Bibersteiner von ihrem Schicksal, bald in der Nähe solch eines Masts ihre prächtige Wohnlage geniessen zu müssen, vollkommen überrascht wurden – ich auch. Wie 1983, als unverhofft Hochspannungsmasten im friedlichen Horentäli standen und über die Staffelegg marschierten, wird nächstens ein Handymast in der Landschaft auftauchen, einfach so.
Leitungsbauten und offenbar auch Telekommunikationsmasten sind der Einflussnahme durch lokale Behörden weitgehend entzogen – und jener des Volks der Handybenützer sowieso. Diesbezüglich herrschen bei uns demokratische Defizite, wie sie in allen anderen Länder an der Tagesordnung sind. Das wühlt ungute Gefühle auf.
Ich habe mich während all den Jahren brav über den Staffeleggzubringer orientiert und die schön gestalteten und tatsächlich informativen Info-Blätter des Aargauer Departements Bau, Verkehr und Umwelt pflichtgemäss studiert, auch die Ausführungen über die „Zentrale Horental“ in „INFO 3“. Von einem Funkmast war nirgends die Rede.
Unser unabwendbares Schicksal wird es sein, zusätzlich zu all dem etablierten Elektrosmog noch bis zu 217 Mal pro Sekunde ein gepulstes Signal zu hinzunehmen. Ich bin schon ganz kribbelig, wenn ich nur schon daran denke, und hoffe, dass mich irgendeine kompetente Stelle wieder etwas beruhigen kann.
Über die Tunnel-Möblierung und das Tunnelfest werde ich in einem weiteren Blog berichten, sobald sich mein gepulster Puls einigermassen reguliert haben wird.
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