BLOG vom: 04.09.2010
Welthunger: Spekulanten nutzen Nahrungsmittel-Knappheit
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
„Brich dem Hungrigen dein Brot.“
(Jesaja, 58, 7)
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„Beim G8 Gipfel in L`Aquila 2009 wurden 22 Milliarden US-Dollar für die Verbesserung der globalen Ernährungssituation versprochen. Dieses Versprechen ist eine Luftblase, die zerplatzt ist.“
(Rudolf Buntzel, Berater für Welternährung des Evangelischen Entwicklungsdienstes = EED)
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Es gibt immer Finanzinvestoren, welche die Knappheit an Nahrungsmitteln zum Einfahren von hohen Gewinnen nutzen. Als Vladimir Putin nach den höchsten Temperaturen seit 130 Jahren, der schlimmsten Dürre seit 3 Jahrzehnten und den Hunderten von Wald- und Torfbränden, ein Exportverbot für Weizen verhängte, stiegen die Weltmarktpreise für diese Getreideart. Die Russen dürften in diesem Jahr 70 Millionen Tonnen Weizen ernten. Im letzten Jahr waren es noch 97 Millionen Tonnen, wovon 21 Millionen Tonnen exportiert wurden. Die Russen haben jedoch noch 24 Millionen Tonnen Weizen auf Lager (weltweit: 197 Millionen Tonnen, deutlich mehr als 2008). Der Premierminister Valdimir Putin erwähnte jedoch die Reserven mit keinem Wort. Der russische Bauernverband ist sauer, weil dadurch die USA profitieren, indem sie die Märkte übernehmen.
Der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore ist über den Exportbann erfreut, da sich dieser nicht an bestehende Verträge zu halten braucht (bestehende Lieferverträge mit Kunden, die oft zu deutlich niedrigen Preisen abgeschlossen wurden, sind nichtig). Die New York Times und das Wall Street Journal mutmassten sogar, dass eine russische Tochter von Glencore die Moskauer Regierung zu einem Exportbann gedrängt hat. Dies dementierte natürlich Glencore sofort.
Hauptleidende sind Weizenimporteure wie etwa jene aus Ägypten. Diese müssen jetzt den Weizen aus Frankreich teuer einkaufen (283 Dollar pro Tonne; im August/September 2010 kostete der russische Weizen 183 Dollar). Ein privater Geheimdienst der USA vermutet, dass Russland seine Weizenexporte als politische Waffe einsetzten und ein Weizenkartell aufbauen möchte.
Der Hunger der Spekulanten
Wolfgang Kessler, Publizist und Chefredakteur der Zeitschrift „Publik-Forum“ kritisiert in einem BZ-Gastbeitrag („Badische Zeitung“ vom 31.07.2010), dass Finanzinvestoren die Knappheit an Nahrungsmitteln zu Spekulationen mit hohen Gewinnen nutzen.
Die Politiker wollten schon nach der von der USA ausgelösten, weltweiten Finanzkrise die Spekulanten zähmen. Aber nichts geschah. Die Finanzinvestoren dürfen weiterhin das schnelle Geld einheimsen.
„Es kann sein, dass wir bald wieder Hungerrevolten erleben“, warnte Jacques Diouf, der Chef der Welternährungsorganisation. Wolfgang Kessler schrieb, es würden zwar weltweit noch genügend Nahrungsmittel produziert, aber viele würden zweckentfremdet. So wird ein Drittel (manche sprechen sogar von 50 %) des Getreides an Tiere verfüttert (7 kg Getreide sind für 1 kg Fleisch notwendig), und ein erheblicher Teil wird zu Biosprit verarbeitet. Der Hunger nach Fleisch wird immer grösser, und die Expansion des Biospritmarkts stellt ein Risiko für die Agrarmärkte und die Lebensmittelversorgung dar.
Es ist klar, dass die Nahrungsmittel für den Menschen in Zukunft immer knapper werden. Darauf spekulieren die Finanzinvestoren. „Schon im vergangenen Jahr machten die grosse Investmentbank Goldman Sachs allein mit Rohstoffen Gewinne von 5 Milliarden Dollar. Die Bank of America, die Deutsche Bank und die Citigroup mischen in dem Geschäft mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln ebenso kräftig mit (…). Die Investoren wollen gar keine Nahrungsmittel, sie wollen nur von Preissteigerungen profitieren. Durch ihre Aktivitäten treiben sie jedoch die Handelspreise für Weizen oder Reis auf ein Niveau, das die Ärmsten der Armen nicht bezahlen können“, äusserte sehr einleuchtend Wolfgang Kessler.
In der Online-Ausgabe des „Spiegels“ (www.spiegel.de) vom 30.08.2010 wurde unter dem Titel „Zocker spekulieren die Armen in den Hunger“ auf das Riesengeschäft der Spekulanten hingewiesen. Diese stürzen sich heute nicht mehr auf US-Immobilien, sondern auf Öl, Metalle und landwirtschaftliche Produkte. Experten warnen, dass auch die Preise für Reis und Mais ansteigen werden. Der Reis ist ja Grundnahrungsmittel für die Hälfte der Weltbevölkerung.
Wie ein US-Farmer betonte, hoffen auch die Bauern auf höhere Preise und halten ihre Ernte zurück. Das birgt ebenfalls eine Gefahr in sich. In Indien und China sind durch Zurückhaltung Bestände teilweise verrottet. Es ist eine fatale Entwicklung. „Verlierer des Spiels sind die Ärmsten der Armen“, wie Christian Teevs und Jan Willmroth in der Online-Ausgabe des „Spiegels“ berichteten.
Das Welternährungsprogramm (WFP) der Uno, das Agrarprodukte aufkauft und dann an Flüchtlinge und Opfer von Naturkatastrophen verteilt, kann jetzt viel weniger Getreide liefern, da ihr Budget beschränkt ist.
Ich finde dieses Gebaren skandalös, zumal es in der Welt fast 1 Milliarde Hungernde gibt. Aber das ist den Finanzinvestoren schnuppe. Die Folge ist, dass die Konsumenten wieder einmal die Zeche zahlen und die Armen auf der Welt noch mehr Hunger leiden müssen.
Ich wünsche mir, dass der Handel mit Nahrungsmitteln von den Regierungen reguliert wird. Ein Verbot der Spekulationen mit Nahrungsmitteln ist längst überfällig. Der Binnenmarktkommissar der EU, Michel Barnier, ist jetzt bereit, entsprechende Regulierungsvorschläge zu machen.
Walter Hess schrieb mir in einer E-Mail vom 01.08.2010 seine Meinung wie folgt dazu: „Die Spekulation mit Nahrungsmitteln ist ein übler Auswuchs des Neoliberalismus. Noch schlimmer sind die Bestrebungen des Monsanto-Konzerns, der über die Gentechnologie die Nahrungsversorgung der Menschheit unter seine (und damit unter US-amerikanische Kontrolle) bringen will.“
Man muss unbedingt gegen solche grössenwahnsinnigen, von Machtbesessenheit geprägten Bestrebungen rechtzeitig vorgehen.
1 Milliarde Menschen hungern
Den Finanzjongleuren sollte man einmal die folgenden Zahlen unterbreiten. Vielleicht gibt es dann doch einige, die menschlich reagieren und auf Spekulationen auf Nahrungsmittel verzichten. Aber das ist wohl ein Wunschdenken von mir.
Wie die BBC am 19. 06.2009 berichtete, hungern jetzt offiziell 1 Milliarde Menschen. Das ist etwa jeder 7. Mensch. 8,8 Millionen Menschen, insbesondere Kinder, sterben jedes Jahr als Folge von Unterernährung.
Die meisten Hungernden leben in Asien und der Pazifikregion, Afrika, Lateinamerika, dem Nahen Osten und in einigen osteuropäischen Staaten. 820 Millionen Hungernde sind in den Entwicklungsländern zu Hause.
Hungernde auch in den USA
Dies konnte ich zuerst nicht glauben: Auch in den „grossartigen“ USA hungerten im Jahre 2005 etwa 10,8 Millionen Bürger. Feeding America (FA) berichtete 2010, dass es in den USA sogar 37 Millionen Bewohner gibt, die nicht genug zu Essen bekommen (darunter 14 Millionen Kinder und 3 Millionen Senioren). Hilfsorganisationen liefern ebenfalls Zahlen, die beweisen, dass im „gelobten“ Land USA viele Menschen hungern. So gab es 2007 1,3 Millionen New Yorker, die die Hilfe von Suppenküchen in Anspruch nahmen.
Aber offiziell gibt es keine Hungernden in den USA. Die Regierung sprach von Menschen mit „sehr geringer Nahrungssicherheit“. Das ist, sehr beschönigend ausgedrückt, deutlich an der Wahrheit vorbei.
Ursachen des Welthungers
Welches sind die Ursachen des Welthungers? Es sind insbesondere soziale, politische und ökonomische Faktoren.
Die Armen können nach Ernteausfällen beispielsweise keine Nahrungsmittel in ausreichenden Mengen dazukaufen, die Bauern erzielen keine guten Preise für ihre Waren. Wer auf Monsanto hereingefallen ist, muss viel Geld ausgeben, um das genmanipulierte Saatgut zu kaufen. Die Armut wird auch durch Naturkatastrophen, bewaffnete Konflikte, Korruption und durch unfähige Regierungen gefördert.
Weitere Faktoren von Hungerkrisen sind laut Wikipedia die Folgenden: Zunahme der Weltbevölkerung und Schrumpfung der landwirtschaftlichen Nutzfläche pro Kopf (1950: 5000 m2, 2025: 2000 m2). Der Hunger in den Entwicklungsländern wird auch durch die Strukturen des Welthandels gefördert. So wird die Landwirtschaft in den Industrieländern subventioniert; billige Nahrungsmittel gelangen in Entwicklungsländer. Die Landwirte können ihre eigenen nicht so preisgünstigen Produkte nicht mehr verkaufen. Die armen Länder sind dann von Importen abhängig. Die einheimischen Produkte können wegen der Handelsbarrieren der Industrieländer nicht mehr abgesetzt werden. Die Industrie ist in den Entwicklungsländern nicht konkurrenzfähig. Die Staatsverschuldung ist in den betreffenden Ländern sehr hoch. Das Geld fehlt dann für Programme zur Armutsbekämpfung wegen der hohen Zinszahlungen ans Ausland.
Was ist zu tun?
Ein Patentrezept zur Bekämpfung des Welthungers gibt es nicht. Aber es werden zum Glück einige Lösungsvorschläge angeboten, wie beispielsweise den Abbau der Exportsubventionen, Schuldenerlasse, höhere Entwicklungshilfen, Sicherstellung der Rohstoffpreise, Verbesserung des Zugangs für landwirtschaftliche Produkte aus Entwicklungsländern zu den Märkten der Industrieländer, Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktionsmethoden, Propagierung von umweltschonenden Anbautechniken, Bildungsprogramme für Bauern, keine Verwendung von genmanipuliertem Saatgut, Schaffung von demokratischen Reformen und Programme zur Bekämpfung der Korruption, Eindämmung des Bevölkerungswachstums (sexuelle Aufklärung, Familienplanung usw.).
Persönlich habe ich einen weiteren Vorschlag: Abbau der riesigen Militärausgaben (2009 waren es 1,53 Billionen Dollar weltweit) und Verwendung der Einsparungen für die Armuts- und Hungerbekämpfung. Dann würden alle Menschen satt werden.
Zum Glück gibt es jetzt schon in einigen afrikanischen und asiatischen Ländern beeindruckende Fortschritte in der Armutsbekämpfung. Es bleibt zu hoffen, dass es auch in anderen Ländern bald Erfolge diesbezüglich gibt. Allerdings müssen die reichen Staaten hier verstärkt Hilfe leisten. Wenn diese Staaten jammern, sie hätten nicht viel Geld übrig, dann sollte man sie auf die unsäglich hohen Militärausgaben und andere Geldverschwendungen aufmerksam machen.
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Anhang
Beim diesjährigen G8-Gipfel in Huntsville, Kanada, stand die Hungerbekämpfung erst gar nicht auf der Tagesordnung. Die Teilnehmer konzentrierten sich in Gesprächen auf die Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Verantwortlichen hatten das Problem schon 2009 in L’Aquila erörtert und zusätzliche Gelder in Aussicht gestellt. „Wahrscheinlich werden nur 6 Milliarden US-Dollar von den versprochenen 22 Milliarden von den G8 für die Lösung der Nahrungsmittelkrise in den nächsten 3 Jahren bereitgestellt. Diese 6 Milliarden sind zudem keine zusätzlichen Gelder, sondern sind schon für bestehende Entwicklungsprogramme bewilligt“, so Bernhard Walter, Ernährungsexperte von „Brot für die Welt“.
Rudolf Buntzel vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) betonte, dass ohne beherzte Reformen das Millenniumsziel der Halbierung des Hungers bis 2015 nicht zu erreichen sein wird.
Die Organisationen „Brot für die Welt“ und „EED“ haben im November 2009 beim Welternährungsgipfel in Rom ein Komitee geschaffen, das in der Tat ein Welternährungsparlament darstellt. Dieses Parlament schliesst internationale Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaft und die Privatwirtschaft mit ein. Diese Organisationen machen Vorschläge über effektive Massnahmen zur weltweiten Hungerbekämpfung. Diesem Komitee ist viel Erfolg zu wünschen.
Internet
www.eed.de („G8-Gipfel: Hungerbekämpfung nicht auf der Tagesordnung“).
www.badische-zeitung.de („Der Hunger der Spekulanten“ und „Die Profiteure des Exportverbots“).
www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-58638.html („Wie sich der Preis von Weizen und Reis entwickelt“).
www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,713090,00.html („Lebensmittel-Spekulation: Agrarökonom warnt vor Hungerkrise“, 21.08.2010).
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