Textatelier
BLOG vom: 14.09.2010

Wenn und wie die Zeitungsverleger auf den Strich gehen

Autor: Ernst Bohren, Teufenthal AG/CH
 
Hier soll nur zum Einsteig ins Thema „Prostitution“ kurz von den volksverdummenden Zeitschriften aus den Tiefdruck-Rotationsmaschinen die Rede sein. Obwohl es über diese bunten Elaborate allein aus den Verlagen von Ringier über Burda in Offenburg bis Springer in Berlin allerhand Buntes über ihre reklamig daherkommenden Textseiten zu berichten gäbe. Diese PR-Postillen haben sich als Edelhuren schon längst mit Haut und Haaren der Werbewirtschaft verkauft. Mit ihren redaktionell getarnten PR-Seiten zu allen „brennenden“ Fragen des gerade aktuellen Lifestyles kommen auch die „Schweizer Illustrierte“ und die „Glückspost“ finanziell recht gut über die Runden – um nur 2 Beispiele aus dem Ringier-Verlag zu nennen.
 
Aber konzentrieren wir uns doch jetzt auf die Tages- und Sonntags-Zeitungen. Auch deren Verleger haben mittlerweile begriffen, was die Werbewirtschaft braucht: Keine langweiligen Platzierungen auf separaten Seiten in einem Inserate-Friedhof (womöglich noch links von der Textseite, wie es früher der Brauch war), sondern voll in den redaktionellen Teil integrierte Werbeauftritte ‑ optisch und inhaltlich. Ganz im Stil der Unterbrecher-Werbung, wie sie uns im Fernsehen begegnet. Auffallen um jeden Preis heisst das Gebot der Stunde. Heraustreten aus dem Gebrüll der übrigen Werbebotschaften, aber ja nicht auf den ersten Blick auch als Werbung erkannt werden. Wenn sich die Werbewirtschaft in den Printmedien schon mit passiven Darstellungen begnügen muss, mit Bildern, die sich nicht bewegen und nicht sprechen können, dann will sie mindesten einen bevorzugten (herausragenden) Platz. Es genügt den Reklamikern nicht mehr, dass sich der Leser in Zeitungen und Magazinen mühsam die Artikel aus der alles selig machenden Reklamewelt herausklauben muss, sondern die Artikel selbst sind schon lange von der omnipräsenten Werbeindustrie kontaminiert worden.
 
Dem Anspruch der Werbewirtschaft haben sich also die Verleger schon längstens gebeugt. Im vorauseilenden Gehorsam werden sie zudem nicht müde, ihre Titel nach den Vorstellungen der Werber auszurichten und immer wieder mal einem Relaunch zu unterziehen. Dass solche Re-Designs beileibe nicht immer die Interessen einer treuen Leserschaft berücksichtigen, kommt nicht von ungefähr, denn auch im Verlagsgeschäft gilt die Maxime „Wer zahlt, befiehlt“. Und das sind nun wirklich nicht die Leser, die mit ihrem Abonnement nur einen kleinen Teil an die Produktions- und Vertriebskosten beitragen. Vielleicht gehen aber eines Tages den Verlegern die Augen auf. Dann nämlich, wenn ihnen sämtliche Leser davon gelaufen sind, die Wert auf eine saubere Trennung von redaktioneller Leistung und Werbeumfeld legen ‑ langjährige Abonnenten, die sich ihr Lesevergnügen nicht länger von einer verhurten Pseudo-Ästhetik der Werbung vergällen lassen. Ob sich dann aber die weggelaufenen Leser voll und ganz durch neu hinzukommende Lifestyle-Freaks ersetzen lassen, wage ich ernsthaft zu bezweifeln. Was dann? Letztlich will doch die Werbewirtschaft glaubhafte Leserzahlen sehen, sie will Informationen über Reichweiten und das jeweilige Leserprofil der belegten Titel.
 
Daneben tun auch die Verleger ab und zu viel Gutes. Während zum Beispiel Michael Ringier seinen Urs Heller als umtriebigen Verlagsleiter und Chefredaktor tüchtig in der PR- und Werbewelt wirbeln lässt, widmen sich Michael und seine edle Ehefrau Ellen Kulturellem und Wohlfährtigem. Der gute Dr. Burda in Offenburg stiftet Bambi-Preise und lässt sich auch sonst bei jeder Gelegenheit in gehobenen kulturellen Kreisen sehen. Und hat nicht die Tamedia neben „Tages Anzeiger“, „Annabelle“, „Schweizer Familie“ & Co. auch das „DU“, ein hochgradig kultureller (und ebenso defizitärer) Titel, bis 2004 herausgegeben? Fast könnte man meinen, bei unseren Zeitungsverlegern gehe es so zu wie in der Geschichte jener verarmten mittelständischen Familie, wo der Vater die Tochter auf den Strich schickt, damit der Sohn studieren kann.
 
Als treuer Leser des Tages- Anzeigers hatte ich schon zweimal Ärger mit dem Verleger. Eines Tages schrie mir auf der Frontseite ein Aufkleber ungefähr im Postkartenformat entgegen. Dies ist in der heutigen Drucktechnik ‑ auch bei grössten Durchlaufgeschwindigkeiten ‑ kein Problem (nur sollte man nicht immer alles machen, was machbar ist). Die Werbebotschaft auf jenem Kleber ist mir nicht mehr in Erinnerung. Jedenfalls packte mich die Wut, worauf ich die verantwortliche Werbebeauftragte in einem harschen Brief fragte, ob man beim Tages-Anzeiger neben dem Leser nicht auch ein bisschen an die Mitarbeiter der Zeitung gedacht habe, wenn man ihre Arbeit einfach mit einem Kleber zudecke. Zum Beispiel an den Redaktor, der sich doch sicher einige Mühe beim Abfassen seines Leitartikels gegeben hat, an den Fotografen (mit dem Kleber wurde auch das Titelbild verschandelt), der ein gutes Bild anvisiert habe und nicht zuletzt auch an den Drucker, der unermüdlich die Farbgebung, den makellosen Druck der Zeitung kontrolliert und sicherstellt. All diesen Berufsleuten werde nun mit diesem Kleber auf der Frontseite drastisch gezeigt, wie wenig ihr Engagement für eine gute Qualität geschätzt wird. Wenn ich nun damit rechnen müsste, weitere Reklamekleber auf der Frontseite anzutreffen, so schrieb ich weiter, müsste ich in Zukunft nicht nur auf den Tages-Anzeiger verzichten; ich würde sogar im Verlag persönlich vorbeikommen und dem Verlagsleiter besagten Kleber dorthin klatschen, wo er am schönsten ist (der Verlagsleiter, nicht der Kleber).
 
Die Reklamefrau hat mir dann immerhin zurück geschrieben, dass sie keineswegs die Arbeit der Drucker usw. gering schätze. Sie konnte mir aber nicht schlüssig erklären, wie und warum so ein Kleber überhaupt auf die Frontseite einer reputierten Tageszeitung kommen konnte.
 
Seitdem kam kein Kleber mehr auf die Frontseite des Tages-Anzeigers, Doch dann kam der Samstag, 07.11.2009 und mit ihm „DAS MAGAZIN“, das jeder Samstagausgabe beiliegt. Schon wollte ich die vermeintliche Reklamebeilage beiseite legen, denn was sich da auf der Titelseite ganzseitig präsentierte, war eine Werbung von H & M und zeigte Stilettos für Fr. 179.- von „JIMMY CHOO FOR H & M“ an verführerischen Frauenbeinen. Und damit die Werbebotschaft auch ganz sicher beim Leser haften bleibe, zeigte sich „JIMMY CHOO“ nochmals ganzseitig auf der Rückseite des Hefts (diesmal war es eine Handtasche). Mit total 4 Seiten haben sich die Werber von H & M im Magazin eingekauft. Auf der 3. Seite kam dann der eigentliche Magazin-Titel. Er kündigte einen Artikel des Literaturnobelpreisträgers Imre Kertész an, der in Auschwitz und Buchenwald weggesperrt war und 40 Jahre Kommunismus überlebt hatte!
 
Das war’s dann. Doch, doch, der Artikel und das Gespräch über Leben und Tod mit einem der letzten Zeugen der Leiden in den Konzentrationslagern waren sehr interessant. Nicht, dass ich dem Verlag die Werbeeinnahme missgönnen würde, aber hier wurde einmal mehr der Leser verschaukelt. Die Geschichte roch stark nach Hurerei. Dieser spezielle Fall von Prostitution lag ziemlich nahe beim Angebot einer Edelhure zum – excusez l’expression ‑ „Vögeln ohne Kondom“.
 
10 Monate später haben die Freier (pardon: die Werber) erneut zugeschlagen. Am Samstag, 11.09.2010, kommt mir das Tages-Anzeiger-Magazin auf die gleiche Art in die Hände: Wieder sind der Titel und die letzte Seite zum ganzseitigen Werbeauftritt umfunktioniert. Auf 4 Seiten (1, 2, 55 und 56) präsentiert diesmal Manor seine Mode in der unteren Preislage. Im redaktionellen Angebot – welche Ironie des Zufalls! – dann die Geschichte „Sex in the Bankenstadt“, ein absolut lesenswerter Report von Sacha Batthyany und David Torcasso zum Thema Luxus-Prostitution und Edelhuren für Zürichs betuchte Freier aus der Geschäftswelt.
 
Kein Zweifel, es geht bergab mit unseren Verlegern. Die Werber sind die Freier, die Verleger machen als Huren fleissig mit – aber wer sind denn nun die Zuhälter? Vielleicht passt jener Witz, der einst die Bank UBS im Visier hatte – zum Ruf des Zeitungsverlegers von heute: In der 6. Klasse geben die Schüler Auskunft über den Beruf ihres Vaters: Gottfrieds Vater ist Gärtner. Der Vater von Peter arbeitet beim Abfuhrwesen. Dem Familienoberhaupt von Andreas können die Gläubigen (wenn sie denn wollen) am Sonntag bei der Predigt zuhören … So geht es weiter, bis Fritz an der Reihe ist. „Mein Vater ist Tabledancer in einer Schwulenbar“ bekennt er. Grosses Gelächter, doch da läutet die Pausenglocke, das Klassenzimmer leert sich, nur Fritz bleibt mit dem Lehrer zurück. Sagt dieser: „Aber Fritz, was erzählst Du da? Dein Vater ist doch nicht Tabledancer in einer Schwulenbar!“ Da erwidert Fritz: „Das wissen Sie, und das weiss ich. Aber ich kann doch meinen Klassenkameraden nicht sagen, dass mein Vater Verlagsleiter einer grossen Tageszeitung ist“.
 
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