BLOG vom: 16.10.2010
Eine Betrachtung über die Lebensbahn und die Zufälle
Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
Die Lebensbahn der Menschen ist zum vornherein abgesteckt, ablesbar oder ableitbar – also vorgebahnt, gäbe es nicht die Kapriolen der Zufälle. Die Lebensläufe sind mit einem Rangierbahnhof vergleichbar, wo sie sich nach einem geheimnisvollen Gesetz ineinander verkoppeln, ehe die Fahrt ins Blaue durch die Lebenszyklen beginnt, zuerst als Bummelzug, zuletzt als Schnellzug.
Hier endet mein hinkender Vergleich. So will ich mich transparenter zum Thema äussern. Dabei beschränke ich mich auf die gütigen Zufälle.
Zur Norm
A) Das Leben gibt jedem Menschen sein Gepäck mit auf den Weg, teils stammt es vom Erbgut, teils wird es von sich wandelnden Umständen im Verlauf des Lebens bestimmt. Ist ein silberner Löffel in Ihrem Gepäck? Wenn ja, zehren Sie vom elterlichen Wohlstand: Sie kriegen einen gut gestopften Schulsack mit auf ihren Lebensweg, unter anderen Privilegien, die Sie von der Masse abheben. Werden Sie von widerlichen Zufällen verschont, geniessen Sie als ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft die Vorteile Ihres Standes. Ihr Lebenslauf ist somit vorgebahnt.
B) Wer aus bescheidener und rechtschaffener Familie entstammt, kommt ebenfalls gut im Leben zurecht. Er erlernt etwa ein Handwerk als Lehrling und findet eine ihm angemessene Stelle, soweit ihm dies der gütige Zufall beisteht. Er gehört zum Rückgrat der Gesellschaft, sei es als Bäcker oder kaufmännischer Angestellter, sei es als Maurer oder Autoverkäufer. Ihre Lebensläufe gleichen einer abgesicherten Bahnfahrt mit fahrplanmässigen Ankünften und Abfahrten durch ihre Lebensstationen.
Diese 2 Paragraphen veranschaulichen, aus meiner Sicht, die Normalfälle A) und B): Alles bleibt auf festen Gleisen eingeschient, es sei denn, etwas werfe sie aus der Bahn. Die meisten meiner Schulkameraden fallen in diese Kategorien. Aber etliche haben diese Schranken gesprengt und sind der Norm untreu geworden. Verschiedene Einflüsse oder Beweggründe mögen dabei mitgehalten haben. Ihnen gilt jetzt mein Augenmerk. Absichtlich klammere ich dabei jene, die auf Abwege geraten sind, aus meiner Betrachtung aus.
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Zum eigenen Willen
Einer meiner Mitschüler, ich nenne ihn hier Bruno, war ein schlechter Schüler, der sich als Minimalist von einem schlechten Zeugnis zum anderen durchmauserte. Dann packte ihn der Ehrgeiz, und er reihte sich innerhalb wenigen Monaten bei den Klassenersten ein. Was ihn dazu bewog, das weiss ich nicht. Ich hätte ihn damals fragen sollen, denn auch meine Schulnoten glichen einem wilden Gewoge, bis ich mich im letzten Augenblick aufraffte, um Scharten in meinem Notenbild auszumerzen. Aber meine Ausdauer sackte bald wieder ab, meine Lieblingsfächer ausgenommen.
Ich erinnere mich auch an den aufsässigen, selbstbewussten Robert. Wenn ihn der Unterricht langweilte, liess er gern einen Furz fallen, einen von der lauten Sorte. Ungehalten fragte ihn der Lehrer, was ihm einfalle, im Klassenzimmer zu furzen, und ob er dies auch anderswo tue. „Ja,“ antwortete er ihm, „im WC.“ Und dorthin verwies ihn der Lehrer. Grinsend verliess Robert das Klassenzimmer. Er hat es in seinem Leben weit gebracht. Nein, ich will ihn hier nicht entlarven.
Langweilte ich mich hinterm Schulpult, blickte ich hinter abgeschirmter Hand durchs Fenster und erfreute mich am wechselnden Wolkenbild, wo die Schwalben frei segelten, bis mich der Lehrer mit einer dummen Frage anrempelte.
Raimond war von der stillen Sorte und sprach wenig. Und wenn er sprach, dann immer leise – und klug. Er war undurchschaubar. Der Lehrer musste seine Ohren spitzen … Auch Raimond hat es weit gebracht in der ETH.
Was lässt sich aus diesen 3 Verhaltungsweisen ableiten? Sie besassen einen gewissen Eigenwillen, woraus sich der Charakter entpuppte.
Zur Scholle
Was mir bei der Durchsicht des Klassenverzeichnisses der „Ehemaligen“ auffällt: Bloss 3 von uns haben ihre Bleibe im Ausland gefunden. Etliche haben ein „obligates Auslandjahr“ entweder im Welschland (Westschweiz, die dem Ausland gleichkommt) und/oder in London verbracht. Die grosse Mehrheit ist ihrer Scholle in und rund um Basel treu geblieben und bestätigt das Normverhalten.
Manchmal bedaure ich, dass ich meine Heimat verlassen habe, aber verweile ich in ihr für einige Tage, vermisse ich, als eingefleischter Städter, die abwechslungsreiche Londoner Metropole, die meine 2. Heimat geworden ist. Ich kann dazu nur sagen: Der Zufall hat es so gewollt. Ob es der gütige war oder nicht, bleibe dahingestellt.
Zu gütigen Zufällen
Zu den gütigen Zufällen rechne ich Freundschaften und kunterbunte Begegnungen mit Menschen – Zugsgefährten. Vor einem Jahr hat mich ein alter Schulfreund in London entdeckt. Dieser Zufall hat mich gefreut und meine Verbindung mit der Heimat gestärkt. Hinzu rechne auch meine Begegnung mit Walter Hess, die sich zur Freundschaft gefestigt und mir die Sprachtüre ins Textatelier.com erschlossen hat. Immer wieder bin ich in meinem Leben Menschen begegnet, beruflich und privat, die mich innerlich bereichert haben.
Ich hoffe, dass ich dies gebührend entgelten konnte.
Zum springenden Punkt
Genug über mich … Immer wieder stelle ich fest, dass es mehr Menschen gibt als man glaubt, die sich am innigsten an Lebensinhalten erlaben, die abseits der materiellen Interessen liegen. Steckenpferde, gleich welcher Art, gehören dazu, um den persönlichen Lebenslauf, durch alle Zyklen, zu würzen. Damit ist der wahre Silberlöffel gefunden – der goldene für Jene, denen die Kunst zublinzelt.
Hinweis auf weitere Feuilletons von Emil Baschnonga
18.09.2010: Die geköpfte Helena auf dem Londoner Ramschmarkt
06.02.2009: Zum Lob der Flausen: Wegweiser zu Lebensinhalten
14.07.2007: Reissaus genommen – Der wunde Punkt im Leben
24.09.2006: Hin und Her: Gespräche zwischen dem „Ich und Du”
06.07.2006: Auf Abwegen: Lumpazi Vagabundus und die Wehmut
13.05.2006: Abnabeln und Verknoten: Rund um den Bauchnabel
Hinweis auf weitere Blogs von Faber Elisabeth
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