Textatelier
BLOG vom: 04.11.2010

Obama-Stilbruch 29: Das „No, we cannot“ ab der 2. Halbzeit

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
„Du musst endlich die Serie ,Obama-Stilbruch’ fortsetzen“, befahl mir kürzlich ein intensiver Blogatelier-Leser. Das vorläufig letzte Blog dazu wurde am 28.08.2010 aufgeschaltet: Obama-Stilbruch 28: Das frei erfundene Ende des Irakkriegs.“ Ursprünglich war ich mit meiner skeptischen publizistischen Begleitung des neuen Messias’ meistens angeeckt. Kaum jemand konnte begreifen, dass ich diesem Alleskönner, der die Welt zum Guten, zum Besten zu führen versprach, keine Allmacht zutraute. Als Insider-Politiker hätte Obama eigentlich die amerikanischen Verhältnisse kennen müssen. Denn es sind immer die gleichen, die im Hintergrund die Fäden ziehen, und es kommt eigentlich nicht so sehr darauf, wer Präsident ist, abgesehen von der medialen Show, die je nach Hauptdarsteller etwas wechselt. Bei George W. Bush konnte man sich über verbale Patzer freuen, bei Barack Obama über die überzeugende Rhetorik, hinter der weit weniger überzeugende Taten standen, und gegebenenfalls bei der kommenden Sarah Palin über ihren weiblichen Charme und ihren Bildungsmangel. Das würde wieder schön lustig werden.
 
Der Restwelt könnte das US-Theater an sich wurst sein, wenn nicht alle wie gebannt nach New York und Washington (in dieser Reihenfolge) starren und sich jenen, die sich als neue Herren der Erde aufspielen, in vorausstolperndem Gehorsam bedingungslos unterwerfen würden, immer bereit, jeden Nonsens gedankenlos zu übernehmen, selbst die Banalkultur. Die internationalen Medien vernachlässigen ganze Kontinente wie Afrika, aber aus den USA werden jede Gaunerei und jeder PR-Quatsch akribisch registriert, Auswüchse einer merkwürdigen Wahrnehmung, welche die globale Desinformation beflügelt, ohne die keine Globalisierung existieren könnte.
 
Und so schauen wir halt auch mit Sondersendungen hin, wenn das demokratische Obama-Regime nach knapp 2 Amtsjahren seine grausame, rekordverdächtige Schlappe einfährt, von der Volksmehrheit abgestraft und im Stiche gelassen wird. Obama wird kleinlauter, depressiv und beginnt mir allmählich leid zu tun. Der Erdrutsch bei den Wahlen zum US-Repräsentantenhaus dürfte an den Steilhängen des Schuldenbergs stattfinden, den Obama in original-amerikanischer Manier aufgetürmt hatte. Sein im Dollardrucken ebenfalls nicht eben unzimperlicher Vorgänger erweist sich im nachhinein als geradezu knauserig. Schon als Wahlspendensammler hatte Obama alle Dimensionen gesprengt – solche Spenden haben in den USA den Charakter von Schutzgeldern, ohne den von den Gebern erhofften Schutz aber zu gewährleisten.
 
Von den 256 demokratischen Sitzen im Repräsentantenhaus blieben bloss noch deren 183 übrig; die Demoktaten konnen sich im Senat mit 1 einzigen Stimme Mehrheit äusserst knapp halten. Obama bleibt im Amt . Die Wahlen hatten an sich nichts mit seiner Person zu tun. Nur ist er jetzt mehr oder weniger schachmatt, muss tun und lassen, was die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus und die Tea-Party will – nur den Senat hat er noch knapp auf seiner demokratischen Seite. Er hatte nach dem Desaster der Ära Bush jun. zu viel versprochen. Sein Glanz als Popstar ist erloschen.
 
Das amerikanische Volk brilliert eigentlich nie mit einer auffälligen politischen Reife, sondern jubelt und krakeelt, wenn einer bloss hinsteht und in einfachen Sätzen ins Mikrofon brüllt, was es schon lange gern gehört hätte. Es folgt den einfachsten massenpsychologischen Lehrbeispielen, wie sie zum Beispiel Elias Canetti (in „Masse und Macht“) um 1960 beschrieben hat: Plötzlich legen immer mehr Individuen, die sich unverhofft zu einer Masse zusammengerottet haben, ihre Verschiedenheiten ab, und die Distanzen, die Abstände, die das normale Leben beeinflussen, existieren nicht mehr. Die Gleichheit manifestiert sich in der Masse in ihrer reinsten Form. Trennungen sind abgeworfen, und es erfolgt eine Entladung von ungeheurer Wucht. Die Meuten, die sich zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels zum Beispiel in Sippen, in Firmen usf. zusammentun, sind bloss die Verkleinerungsform der Masse.
 
Die Masse als solche kann aber nur bestehen, wenn ständig neue Individuen, die das Individuelle abgeben, zu ihr stossen – Stagnation oder Mitgliederschwund bedeuten Zerfall. Deshalb hat vorerst ein schweres Leben, wer sich der Masse widersetzt. Unter anderem an solchen Aussenstehenden kann sie ihre inhärente Zerstörungssucht ausleben. Und es wird nötig, die Masse zu bändigen. Sie gerät ins Stocken, und löst sich allmählich wieder auf ... bis zum nächsten geeigneten Anlass, der, meist unter dem verstärkenden Einfluss der Massenmedien, der Nährboden für eine neu entstehende Masse ist.
 
Wie eine Wahl kann nach ausreichend Enttäuschungen (nach der Phase der Selbsttäuschung) auch eine Art Abwahl, wie dies nun Obama indirekt erfahren musste, Anlass für eine neue Massenbildung sein – unter ganz anderen Vorzeichen. Je unreifer und lebensuntauglicher eine Gesellschaft ist, desto häufiger und intensiver sind die Ausschläge. Die Distanz zwischen dem himmelhohen Jauchzen und dem Zum-Tode-betrübt-Sein ist dann umso kürzer. So kann es vorkommen, dass ein Messias binnen zweier Jahre als Folge der „schrillsten Wahl aller Zeiten“ („Bild“) auf den harten Erdboden herunter zurückgeholt wird.
 
Wie das in der Praxis aussieht, hat der www.stern.de am Tag nach den Wahlen (03.11.2010) trefflich beschrieben: „Die Wähler haben sich in Scharen abgewandt von dem Hoffnungsträger, der Barack Obama noch vor kurzem für sie war. Die Wechselwähler vor allem, die Frauen, aber auch die jungen Enthusiasten der ,Yes, we can’-Bewegung, die vor 2 Jahren noch für Obama von Tür zu Tür gingen, jeden einzelnen Wähler mobilisierten. Zu sehr enttäuschte er seine grössten Anhänger: Guantánamo wurde bislang nicht geschlossen, ein Klimaschutzgesetz nicht verabschiedet. Zu trocken, zu sachlich, zu verkopft kommt er daher, der neulich noch so grosse Kommunikator, auch er längst gefangen im ,Bubble’, der Blase, die das White House umgibt.“ Ende Zitat. Dem wäre noch beizufügen, dass das Morden im zerstörten Irak auch nach der Friedensnobelpreisverleihung weitergeht und die Zahl der getöteten US-Soldaten und ihrer Gegner (inkl. Zivilisten) in Afghanistan ständig wächst. Und die seinerzeit von den Republikanern herbeigeführte Wirtschaftskrise, welche die ganze Erde in den Rand des Abgrunds riss, konnte nicht einmal der gottähnliche Obama beseitigen, wohl aber massiv verstärken.
 
Die oben erwähnten Scharen – das ist die neue Masse, die selbstverständlich wiederum eine nur beschränkte Lebensdauer hat. Sie wird bald ebenfalls wieder zerfallen, wenn der republikanische Weihrauch zum stinkenden Abgas geworden sein wird. Denn wer auch immer das Szepter im Weissen Haus schwingt, die Altlasten aus dem öffentlichen und privaten Leben auf Pump werden jede vernünftige Entwicklung auf Jahrzehnte hinaus hemmen und ins Gegenteil verkehren.
 
Die Welt muss endlich zur Kenntnis nehmen, dass die USA eine Nation im Niedergang, im Zerfall sind, die nicht mehr zu retten ist, schon gar nicht durch die Republikaner. Man wird überall endlich, endlich zur Kenntnis nehmen müssen und dürfen, dass den arroganten US-Ansprüchen auf die Weltherrschaft jeglicher Boden entzogen ist, die Unterwerfung aufgegeben werden kann und der Zeitpunkt gekommen ist, diesem anmassenden, labilen Amerika gegenüber selbstbewusst entgegenzutreten.
 
Dass Obama genau das der Weltöffentlichkeit klargemacht hat, das ist seine ganz grosse Leistung. THX.
 
Hinweis auf die bisher erschienenen Blogs über die Obama-Stilbrüche
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