Textatelier
BLOG vom: 14.11.2010

G-20 in Seoul: Wie die Chaoten das Chaos gerettet haben

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Zweck und Ziel der Globalisierung ist die Herbeiführung wirtschaftlicher und damit politischer Dominanz über die Erde und deren weitere erreichbare Umgebung durch die am schwersten bewaffnete USA mit ihren auf Ausbeutung ausgelegten Finanzeinrichtungen. Die mediale Berichterstattung hat ihre Terminologie und ihre kommentierende Tätigkeit und ihr Bewertungssystem darauf eingeschossen: Mehr Umsatz, Absatz und Gewinn sind gut, Stagnation oder gar Rückgang sind schlecht, verwerflich, weil mit der Globalisierung unvereinbar. Dabei geht es immer nur ums Zählbare, um Mengen, nie aber um innere Qualitäten. Es ist ähnlich wie beim Sport, wo der Schnellste und Treffsicherste der Grösste ist, auch wenn er dabei seine Gesundheit ruiniert, und nicht etwa der Anständigste, der sich nach ethischen Prinzipien verhält und die Gesundheit auf- statt abbaut, also eine Vorbildwirkung hätte. Die Kriterien sind hier wie dort ein Unsinn.
 
Das funktioniert. Die Welt ist zum Banaldenken erzogen worden. Die intellektuellen Fähigkeiten der Menschen werden durch Schulen und Medien laufend nach unten nivelliert; dabei müsste alles, was der Öffentlichkeit vorgelegt wird, darauf abzielen, den allgemeinen Bildungsstand anzuheben, die Leute aufzurichten und demokratietauglich zu machen statt zu verdummen. Doch haben Machthaber kein Interesse an denkenden Menschen. Manipulierte Mitläufer sind gefragt.
 
Die Strategie der nivellierenden Globalisierung kann aus einem entscheidenden Grund nicht funktionieren: weil sie auf einer endlichen Erde auf ein unendliches Wachstum ausgerichtet ist. Nicht alle Produktionen und Handelsüberschüsse können ständig wachsen; das würde die Erde als Lebensraum binnen kurzer Zeit vollständig ruinieren – wir sind ohnehin auf dem Weg dazu. Eine Zeit lang war es den USA noch möglich, die Kauflust und damit die Güterproduktion über ihre amtlich forcierte Schuldenwirtschaft anzukurbeln, womit ein grosser Teil der Amerikaner, die nach staatlichem Wunsch über ihre Verhältnisse lebten, ins Elend getrieben wurde, auch weil auf den Schulden Wucherzinsen bezahlt werden mussten. Die Menschen verloren Hab, Gut und mussten ihr Heim verlassen. Und das Ganze beginnt wieder von vorn: Mit ultra-niedrigen Zinsen werden die Amerikaner schon wieder dazu verführt, sich weiterhin zu verschulden und in risikoreiche Vermögenswerte zu investieren. Die nächste Blase wird aufgeblasen. Hinzu kommen Gaunereien aller Art, die in den USA an der Tagesordnung sind, wie soeben die auffliegenden Betrügereien aus einem Entschädigungsfond für Holocaust-Opfer als aktuelles Beispiel bewiesen haben (ähnliche Exzesse haben die Holocaust-Geschäftemachereien schon früher begleitet). Mit gefälschten Ausweisen, getürkten Behörden-Unterlagen und guten Kenntnissen des Holocausts wurden und werden Millionen erschlichen.
 
Eine Gaunerei grössten Stils haben die USA in den vergangenen Jahrzehnten dadurch in Szene gesetzt, dass sie ihre gigantische staatliche Schuldenwirtschaft (Aufrüstung, Finanzierung von weltweit aktiven Geheimdiensten, Kriegskosten, unnütze Prestigeprojekte im Weltall usf.) über den Zerfall der Leid- und Leitwährung Dollar auf die ganze Welt verteilten. Das Land aller Alpträume steht mit etwa 13,5 Billionen Dollar (in den USA Trillionen genannt) in der Kreide; Dollarschwächen aber verringern das Gewicht der Schuldenlast. Die viel gerühmte „Wirtschaftslokomotive Amerika“ kommt für ihre Betriebskosten nicht auf. Wo immer es ums Bezahlen geht, wie etwa beim Wiederaufbau des zerbombten Irak, drückt man sich um jede Verantwortung herum.
 
Die Dollar-Aushöhlung
Der Dollarzerfall in Richtung Wertlosigkeit wird durch eine ständige Neuproduktion von diesem Papiergeld tatkräftig gefördert. Der neueste Gag ist wenige Tage vor dem (durch nichts legitimierten) G20-Gipfel in Seoul mitgeteilt worden: Fed-(Notenbank-)Chef Ben Bernanke lässt die Dollarschwemme gerade wieder um 600 Milliarden für den Aufkauf von US-Staatsanleihen und anderer Zinspapiere anschwellen, um der US-Wirtschaft (und damit der Welt) Gutes zu tun ... Das sind gezielte Währungsmanipulationen nach unten, um einheimische Produkte auf den aussernationalen Märkten zu verbilligen. Damit wird das Sparen wegen niedrigeren Zinsen immer unattraktiver, die Aufnahme von Krediten aber erleichtert. Es geht inzwischen global um einen eigentlichen Wettlauf um die schwächste Währung, bei dem der abgehalfterte US-Dollar aus einem Land mit seiner bei 10 % liegenden Arbeitslosigkeit und seinen gigantischen Schulden natürlich ausgezeichnete Aussichten hat.
 
Kritik kam von allen Seiten. Der chinesische Zentralbankberater Xia Bin erklärte, solange sich die USA nicht bei der Dollar-Ausgabe zurückhielten, sei eine neue Krise unvermeidlich. Brasiliens Aussenhandelsstaatssekretär Welber Barral seinerseits ereiferte sich aus guten Gründen, die Fed bestrafe mit ihrer Politik die Nachbarländer und provoziere Vergeltungsmassnahmen. Und der deutsche Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) zeigte sich skeptisch, ob die Fed-Strategie denn überhaupt aufgehen werde, weil Liquidität nicht gleichbedeutend mit Konsum sei. Selbst der Internationale Währungsfonds forderte die USA auf, endlich eine „glaubhafte Strategie zum Abbau der Schulden“ vorzulegen. Ein Ruf in die Wüste – Glaubhaftes ist erfahrungsgemäss von dort nicht zu erwarten.
 
Die USA sind marod, versinken im Schuldenmorast, verlieren erfreulicherweise ihre internationale Führungsrolle. Man kann sie ja nicht mehr ernst nehmen. Selbst der Stern ihres Unheilbringers Barack Obama ist verblasst, was seit der Demokraten-Schlappe bei den Wahlen im Oktober 2010 messbar wurde. Obama hat den Bush-2-Unsinn akzentuiert weitergeführt. George W. Bush seinerseits rechtfertigt seine kriminellen Handlungen wie die Anzettelung von Kriegen und die Wiederbelebung der Folter in seiner Biografie – ein tolles Vorbild.
 
Der Währungs- und Handelskrieg ist im Gange
Nach all den anderen scheusslichen Kriegen haben die USA auch einen Währungs- und Handelskrieg ausgelöst. Ihr Markenzeichen ist eine neue Form von Protektionismus, der darauf abzielt, auf dem globalen Freihandel einen Wettbewerbsvorteil zu ergattern. Solche Machenschaften wurden bisher, falls andere sie begangen haben, vom Weltpolizisten immer schwer bestraft (die Bussgelder konnte man ja gut gebrauchen); Amerika kannte kein Pardon. Geschäft ist Geschäft. Macht wird ausgespielt. Im Moment werden gerade in den USA tätige Schweizer Unternehmer schikaniert und mit Millionenbussen ausgenommen, wie gehabt.
 
Gegen alles wäre nichts einzuwenden, wenn der Weltpolizist eine ehrbare Persönlichkeit wäre. Doch ist nichts von einem anständigen Verhalten zu spüren, dafür aber von Arroganz. So werfen ausgerechnet die USA China seit längerer Zeit vor, ihre Währung künstlich tief zu halten. Das sagt ein Esel dem anderen Langohr. Der Vorwurf aus dieser Ecke könnte ja wohl nur dann Bedeutung haben, wenn die USA mit einer reinen Weste dastehen würden, also nicht das Gleiche täten, was China zur Exportförderung im Prinzip ebenfalls tut. Allerdings hat es kürzlich seinen Renminbi (Yuán, was eigentlich Zahlungsmittel heisst) sogar ein wenig aufgewertet.
 
Es ist unerträglich, mit ansehen zu müssen, mit welch ungleichen Ellen der Schurkenstaat USA misst und hemmungslos andere anprangert, wenn sie dasselbe tun wie er. Willfährige Medien enthalten sich der Kritik. Gerechtigkeitssinn wurde zum Fremdwort. So prangert das Land mit den Tausendenden von Atombomben den Iran an, weil es ein Atomkraftwerk baut und sich in Israels Nachbarschaft gezwungen sieht, ebenfalls atomar aufzurüsten.
 
Die Arroganz der G-20
Die Anmassungen sind grenzenlos, und zu solchen Überheblichkeiten gehört auch die selbst ernannte Institution der G-20, die den Amokläufen der Wirtschaft begegnen wollte, ausgerechnet sie. Sie ist ein anmassender Club der Wirtschaftsmächtigen, vor dessen Führung allen voran die US-freundliche Frankfurter Allgemeine Zeitung einknickt: „Man kann vor der Art und Weise, wie die Vereinigten Staaten die G-20 für ihre Ziele einspannen, nur den Hut ziehen“ (aus dem Artikel „Mit Geschick und Chuzpe“ von Patrick Welter). Der Autor weist immerhin daraufhin, dass sich die Exportüberschussländer gegen das im keynesianischen Denken verhaftete Ansinnen der Amerikaner wehren, letztlich Nachfrage in die Vereinigten Staaten umzuleiten. Es geht doch immer um Eigennutz.
 
So blieb denn auch in diesem Club der selbst ernannten Egoisten die Lösung der brennendsten Probleme wieder einmal aus. Wollte man sie aus der Wirtschaftswelt schaffen, müsste man sich von der Neuen Weltordnung verabschieden. Die Grossen 20 einigten sich bloss auf schärfere Eigenkapitalvorschriften für Banken (was schon vor der Konferenz unbestritten war) und eine umfassende Reform des Internationalen Währungsfonds IWF, dieser marktradikalen, US-geführten Kampftruppe auf den Devisenschlachtfeldern. Ich frage mich allerdings, ob dieser Interessenclub dafür überhaupt zuständig war. China, Indien und andere aufstrebenden Volkswirtschaften sollen im IWF mehr Gewicht erhalten, Industrieländer wie Deutschland geben Macht ab. Die US-Dollar-Dominanz bleibt unangetastet, und die „Reform“ wäre zweifellos abgeblockt worden, hätte sie den US-Einfluss geschmälert. Doch damit verliert der IWF weiter an Bedeutung und Einfluss.
 
Die Schweiz als starke Finanznation ist im G-20-Klub nicht dabei; sie hat wenigstens im französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy einen Freund, der ihr etwas von dem ihr zustehenden Gewicht wenigstens in Arbeitsgruppen geben möchte (er wird 2011 die G-20-Präsidentschaft übernehmen). Immerhin ist es der Schweiz gestattet, dem IWF mit Milliardenkrediten wie einem Verpflichtungskredit in der Höhe von 950 Millionen Franken an den Treuhandfonds des Internationalen Währungsfonds für Armutsbekämpfung und Wachstum unter die Arme zu greifen.
 
Weiterhin ohne Goldstandard
Die Revision des Weltwährungssystems durch eine Rückkehr zum Goldstandard nach dem Vorschlag der Weltbank bzw. deren Präsidenten Robert Zoellick, mit dem Exzesse bei der Devisen-Ausweitung tatsächlich verhindert werden könnten, wurde von den G-20-Mächtigen zwar angesprochen, fiel aber gleich aus Abschied und Traktanden. Zumindest sollte das System laut dem Amerikaner Zoellick in Betracht ziehen, „Gold als einen internationalen Bezugspunkt für Markterwartungen zu Inflation, Deflation und künftigem Währungswert zu nutzen“.
 
Das Chaos im Denken, Handeln und auf den Märkten lässt sich nur aufrecht erhalten, wenn Orientierungspunkte fehlen, wenn eine expansive Geld- und Fiskalpolitik mit beliebig vermehrbarem, ungedecktem Papiergeld, das nur vom Glauben an seinen Wert lebt, möglich sind. Und die Chaoten, die das Chaos produzieren und zu schätzen wissen, haben den Informationsvorsprung der Insider und können sich dadurch weiter bereichern. Das hat bis jetzt funktioniert und wird es auch in Zukunft tun.
 
Die wirtschaftsmächtigen G-20, zu einem Globalisierungsinstrument verbunden, ist eine weitere Zumutung an den gesunden Menschenverstand, die sich kein Land bieten lassen sollte. Sie erledigt sich zwar durch den offensichtlichen Trend zu Bedeutungslosigkeit selber, aber es könnte nicht schaden, diesem Prozess etwas nachzuhelfen.
 
Literatur zum Thema
Hess, Walter: Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7.
 
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