Textatelier
BLOG vom: 13.11.2010

Auf Religionstrip: Die Bigotterie von Eveline Widmer-Schlumpf

Autorin: Lislott Pfaff, Schriftstellerin, Liestal BL/CH
 
Unsere Schweizer Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hält es in ihrem Leben mit Gott und mit der Zuversicht. Die Religion könne „Vertrauen ins Leben, Vertrauen im Leben schenken“, schreibt sie unter dem Titel „Was mir Gott bedeutet“ im soeben erschienenen Buch „Schweizer Persönlichkeiten über einen religiösen Text in ihrem Leben“ (Theologischer Verlag, Zürich 2010). Ich kann mir vorstellen, dass es nicht schwer fallen dürfte, voller gottgegebener Zuversicht zu sein, wenn man als Tochter eines eidgenössischen Bundesrats in gesicherten finanziellen Verhältnissen, in einer geborgenen Umgebung aufwächst und mit den besten Aussichten auf Erfolg im Leben ausgestattet ist. Was nützt jedoch eine solche gläubige Zuversicht jener Milliarde Menschen auf der ganzen Welt, die in ihrem Leben keine andere Perspektive als den Hunger haben? Was nützt diesen Menschen das Vertrauen in Gott, das Vertrauen ins Leben?
 
Im Zusammenhang mit einer Operation, die bei ihrer Tochter 4 Tage nach der Geburt notfallmässig vorgenommen werden musste, bemüht Widmer-Schlumpf sogar die Hebräerbriefe 10,35 und 11,1: „Darum werfet eure Zuversicht nicht weg, die eine grosse Belohnung hat“, und „Es ist aber der Glaube an eine Zuversicht auf das, was man hofft …“ Das Kind hat die Operation gut überstanden, gemäss der Mutter dank der Zuversicht, die eine wichtige Voraussetzung für die Genesung eines kranken Menschen sei. Da hat sie sicher recht. Nur – kann man die Kinder, die auf der ganzen Welt massenhaft verhungern (weltweit stirbt alle 7 Sekunden ein Kind infolge Hunger), mit göttlicher Zuversicht retten? Oder wird ein Neugeborenes in derart elenden Verhältnissen operiert, wenn es todkrank ist?
 
Man solle auch in der Politik mit Zuversicht den Weg gehen, den man für richtig erachte, glaubt Widmer-Schlumpf, und dazu sei ein „grundsätzlich altruistischer Blick hilfreich“. Ich frage mich, wie altruistisch ihr Blick als frühere Justizministerin hinsichtlich ihrer vehementen Ablehnung der Beihilfe zum Suizid bei Menschen war, deren Leben infolge Schmerzen und schwerster Behinderungen nur noch eine Qual ist. Aufgrund welcher christlichen Werte wollte sie solche verzweifelte Menschen zum Weiterleben zwingen? Weil das Leben ein Geschenk Gottes sei und man dieses Geschenk nicht einfach wegwerfen dürfe? Ist aber extremes Leiden auch ein Geschenk Gottes, wenn nicht mehr die geringste Aussicht auf Besserung besteht? Hier hätte die Justizministerin ihre Glaubenswerte unbedingt der Realität unterordnen und menschlich-solidarisch statt sogenannt christlich handeln müssen.
 
Das persönliche Glaubensbekenntnis von Widmer-Schlumpf, das in der Zeitung Der Sonntag vom 07.11.10 abgedruckt ist,wird von einem sehr vorteilhaften Foto begleitet: Die Augen blicken zuversichtlich, um den noch jugendlichen Hals blitzt solides Gold. Solche Extravaganzen können sich allerdings die 700 000 Menschen nicht leisten, die in der Schweiz ohne Aussicht auf ein besseres Leben unter der Armutsgrenze existieren und die demütigende soziale Fürsorge beanspruchen müssen. Hoffentlich gelingt es der neuen Finanzministerin, zumindest das Schicksal jener Armen zu erleichtern, deren Zuversicht auf dem Nullpunkt angelangt ist.
 
Sehr geehrte Frau Bundesrätin, Ihr persönliches Glaubensbekenntnis in Ehren, aber wir leben in einem säkularen Land, in dem weder die christliche noch irgendeine andere Religion die Staatsgeschäfte beeinflussen sollten. Behalten Sie also Ihren Glauben für sich und handeln Sie auf politischer Ebene so, wie es das Wohl der Bevölkerung erfordert. Das Vermauscheln von Religion und Politik führt zur Verhinderung befriedigender Lösungen, wie Walter Hess in seinem Textatelier-Blog vom 03.11.2010 („Kruzifix-Streit: Folterszenen als Werbegag fürs Christentum“) richtig sagte. Nicht, was Ihnen Gott bedeutet, ist in der Politik ausschlaggebend, sondern was die sozialen Gegebenheiten für jeden einzelnen Bewohner der Schweiz bedeuten. Hoffentlich können Sie diese beiden Kriterien als Finanzministerin besser auseinanderhalten, als dies früher im Justizdepartement der Fall war.
 
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