Textatelier
BLOG vom: 23.11.2010

Das? Der? Geschlecht von jungen Wörtern wie Blog, E-Mail

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Was haben neue Wörter für ein Geschlecht, zumal sie ja geschlechtslos auf die Welt kommen? Wer schreibt, sieht sich immer wieder mit solchen Fragen aus der Androgynie konfrontiert. Wegen der ständigen Rechtschreibereformen verplämpert man viel Zeit mit Wörterbuch-Konsultationen, und am Ende entscheidet man sich bei der Auswahl von verschiedenen Möglichkeiten oder dann, wenn kein überzeugendes Angebot zur Verfügung steht, nach eigenem Gutdünken für seine eigene Variante. Der Duden ist kein Wegweiser mehr, sondern er registriert weitgehend nur noch den Sprachgebrauch.
 
Die Texte aus dem Textatelier.com dürfen keinesfalls schludrig (Variante: schluderig) daherkommen, weil dieses kreative Textzentrum ja etwas auf sich hält, auch wenn wir die absolute Fehlerfreiheit nie erreichen können. Schlampige Schriftsätze vertreiben die Glaubwürdigkeit. Deshalb betreiben wir einen enorm grossen Korrekturaufwand, der vor allem von meinem Bruder Rolf P. Hess (64) in Cebu (Philippinen) geleistet wird, selbst dann, wenn er irgendwo in der Welt herumfliegt. Überall findet er eine Zapfstelle, einen Zugang zum Netz. Bei seinem Streben um Perfektion mag es ihm auch um die Rettung, beziehungsweise Wahrung der Familienehre gehen ... doch in erster Linie kommt ihm diese Arbeit als Denksportübung mit Bezügen zur Logik und zur Verbesserung seiner (ohnehin überdurchschnittlichen) Deutschkenntnisse zustatten. Rolf beherrscht mehrere andere Sprachen, wozu auch gewisse Chinesisch-Kenntnisse gehören, was bei einschlägigen Themen den Blogs immer sehr zustatten kommt. Und nach über 40 Jahren Auslandaufenthalt hat seine Mundart noch keine Spur gelitten. Darüber hinaus kontrolliert er unsere Schreibereien auch hinsichtlich ihres Inhalts, überprüft alles und rechnet nach. Als ich kürzlich im Blog über Biberstein AG schrieb, unser Haus stehe etwa 400 Meter (Luftlinie) vom Schloss Biberstein entfernt, mass er auf Google Earth nach und fand heraus, dass es nur 276 m sind, so dass ich dann auf „rund 300 m“ abänderte.
 
Ebenfalls zu unseren regelmässigen Korrektoren gehört unser Blogger Heinz Scholz, der täglich auflistet, wo noch etwas zu verbessern wäre; denn eigentlich haben die Deutschen einen leichteren Zugang zum Deutsch als wir in Mundarten hineingeborene Deutschschweizer, die wir uns zuerst einmal die Hochsprache hinaufarbeiten müssen, was heisst, dass sie wir sie wie eine Fremdsprache erlernen müssen, vor allem durch häufiges Lesen.
 
Heinz Scholz war es denn auch, der mit einer (einem) E-Mail am 16.11.2010, als sich eben der Winter breitzumachen begann, eine Lawine lostrat. Er schrieb:
 
Soeben kam im Südwestfunk eine Duden-Redakteurin zu Wort. Es ging um die richtige Artikelwahl bei Blog und E-Mail.
 
Es gibt keine feste Regeln. Man kann sowohl das Blog als auch der Blog sagen. Bei E-Mail gelten das E-Mail oder die E-Mail.
 
In der SWF-Sendung meldete sich eine Pfälzerin zu Wort. Sie sagte, im Dialekt sprechen die Pfälzer von „des Blog“.
 
Das war mir bisher auch nicht so recht klar. Nun wissen wir es genauer ...“
 
Soweit die Zuschrift aus Schopfheim D. Ich antwortete wie folgt:
 
„Tatsächlich muss sich das mit der Geschlechtlichkeit von relativ neuen Wörtern immer wieder einspielen. Persönlich habe ich mich für das Blog (sächlich, mit Bezug auf das Wort Tagebuchblatt) entschieden.
 
Anders halte ich es mit der E-Mail. Für mich heisst das die E(lektronische) Post, also die E-Post = die E-Mail.
 
Für andere Argumente bin ich gern zugänglich. Vielleicht kommen wir zu einem Konsens.“
 
Bei Wikipedia habe ich unter „Blog“ (Kürzel für Web-Log = Tagebuch im Internet) das gelesen und mich bestätigt gefunden:
 
„Die Begriffe ,Blog’, ,Blogger’, ,Bloggerin’ und ,bloggen’ haben in den allgemeinen Sprachgebrauch Eingang gefunden und sind in Duden und Wahrig eingetragen. Die sächliche Form (‚das Blog‘) wird dort als Hauptvariante und die maskuline Form (‚der Blog‘) als zulässige Nebenvariante genannt.“
 
Rolf lieferte, als ich ihm von unserer Diskussion schrieb, die neuesten Versionen seines ordnungsgemäss erworbenen elektronischen Dudens, den er in Zweifelsfällen als Werkzeug beim Korrigieren benützt:
 
Blog, das, auch der; -s, -s (kurz für Weblog)  
 
E-Mail  ['i:meɪl ] die; -, -s, auch, bes. südd., österr., schweiz.: das; -s, -s <engl.>:
 
1. elektronischer Daten- u. Nachrichtenaustausch per Computer.
 
2. Nachricht per E-Mail (1)
 
Email [e'ma͜i , e'ma͜il], das; -s, -s, Email|le [e'maljə , auch e'ma͜i ], die; -, -n (Schmelzüberzug)
 
Meòs|sage [...sɪt͜ʃ ], die; -, -s (Nachricht; Information; auch für Gehalt, Aussage eines Kunstwerks u. Ä.)
 
© Duden - Die deutsche Rechtschreibung, 25. Aufl. Mannheim 2009 [CD-ROM]
 
Vereinheitlichung nicht gefragt
Ich versandte (andere Möglichkeit: versendete) eine Kopie unseres Briefwechsels an unsere produktivsten Bloggerinnen und Blogger und dachte, wir könnten uns vielleicht auf eine einheitliche Schreibweise einigen. Zu meiner grossen Freude aber durfte ich feststellen, dass wir eine Gruppe von ausgesprochenen Individualisten sind, die sich mit aller Kraft dagegen wehren, in ein Schema gepresst zu werden – es sind dies selbstbewusste Persönlichkeiten, in deren Ausstrahlungsbereich ich mich besonders wohlfühle.
 
Rita Lorenzetti mailte aus Zürich-Altstetten:
 
Für mich sieht das Thema Blog und E-Mail so aus:
 
Ich habe mich nie mit Deinem sächlichen Blog angefreundet, einerseits weil „das Blog“ für mich zu niedlich tönt, andererseits stehe ich unter dem „Zürich“-Einfluss. Ich habe mich sprachlich immer arrangiert, damit meine Dissonanz innerhalb unserer Gruppe nicht hervortritt. Ob Ihr mich korrigiert habt, weiss ich nicht mit Sicherheit.
 
Also: In Zürich ist Blog männlich besetzt. Ich kann zwar nicht für die ganze Stadt sprechen, aber mein Umfeld, und darunter ebenfalls Profis, sagen und schreiben „der Blog”.
 
E-Mail wird mehrheitlich sächlich benützt: das E-Mail.
 
Warum müssen wir einen Konsens finden, wenn beide Varianten richtig sind? Ich sage das, weil wir für unsere Aufsätze doch eigenverantwortlich sind.
 
Ich schlängle mich jedenfalls weiterhin so durch, dass man nicht merken kann, wie ich das Wort Blog behandle.
 
Kannst Du das goutieren? (:- ))

Mit liebem Gruss
Rita
 
Und ob! Natürlich ist das goutabel ... Meine Antwort:
 
Liebe Rita, Deine Zeilen haben mich weitergebracht. Bisher hatte ich immer das Gefühl, man sollte innerhalb des Textateliers eine mehr oder weniger einheitliche Schreibweise pflegen. Bei der NZZ wurde diese seinerzeit durch den Oberkorrektor Walter Heuer vorgegeben und galt für viele Zeitungen als Richtschnur. Doch nach all den Sprachrevisionen und -verunsicherungen, seit den Re-Reformen der reformierten Schreibreformen lernte ich dazu, wurde flexibler.
 
Heute gilt bei uns die Einheitsschreibe nur für ein und dasselbe Schriftstück – jeder Autor ist frei, seine persönliche Schreibweise zu pflegen (solange diese einigermassen richtig und verständlich ist und der Autor einfach eine von mehreren Möglichkeiten wählte). Schliesslich bin ich ja für eine möglichst reichhaltige, uneingeschränkte Biodiversität ... die sich, über die Natur hinaus, auch auf Schriftsätze erstrecken soll. Ich werde also die/das Blog/E-Mail nie mehr abändern.
 
Also: ich gebe Dir in allen Teilen recht (man könnte auch „Recht“ schreiben, aber auch hier sind beide Schreibweisen tolerabel, mir scheint die Kleinschrift im Gegensatz zum Recht als Sammlung von Gesetzesnormen sinnvoller).
 
 
Emils E-Mail
Die Eigenwilligkeit unserer hoch geschätzten Blogger geht so weit, dass selbst eingebürgerte Begriffe in Frage gestellt werden. Das geht aus dem Brief von Emil Baschnonga in London/Wimbledon hervor:
 
Spass muss sein. Hm! Warum nicht „Emil“ für E-Mail …?
 
Das Wort Blog hat sich leider weltweit eingebürgert. Mir gefällt es nicht, weil die Blogs (oder Blogge?) meistens mit Bockmist vergleichbar sind ‒ oder „Böcke“ aus der Nase grübeln, natürlich nur ausserhalb des Textateliers! Dort sind sie echte Perlen. Wir haben ein einzigartiges Perlencollier im Textatelier.com-Angebot.
 
Herzlich
Emil via E-Post
 
Die Antwort aus Biberstein:
 
Lieber Emil,
 
Dein originelles Wesen tut immer gut. Auf das Wort Blog (als stehender Begriff aus der Moderne) sind wir halt abgefahren. Ich akzeptiere dieses Wort, weil es auf die althergebrachten Logbücher zurückgeht, die es schon in den Kajüten der Schiffe der Eroberer zum Aufzeichnen der Positionen, Wetterlaunen und anderer Ereignisse gab, und zum heutigen Sprachgebrauch gehört. Ich schreibe stattdessen aber immer wieder einmal gern von einem Tagebuchblatt. Das tönt in meinen Ohren besonders schön.
 
Anglizismen-Salat
Die Schriftstellerin Lislott Pfaff aus Liestal/BL gab ihren Senf – ich wage das zu schreiben, weil es sogleich um Salat geht – mit folgenden Worten dazu:
 
Liebe Textatelier-Kommilitonen und –innen,
 
vielen Dank für die Aufklärungen. Da haben wir nun den Salat mit all den Anglizismen!
 
Herzliche E-Grüsse:
Lislott Pfaff
 
Ja, Salat ist gesund, was Lislott Pfaff als Vegetarierin besonders gut weiss, und man sollte ihn wahrlich nicht mit einer Einheitssauce banalisieren. Auch der Lebensmittelexperte Scholz hat sich gegen solch eine genormte Industriesauce, die immer gleich schmeckt, ausgesprochen.
 
Rolf spendete aus dem Anglizismen-Sauertopf mit der bescheideneren Saucenauswahl so etwas wie Trost:
 
Da haben wir’s im englischen Sprachraum schon viel einfacher!
 
Das Idiotikon im Internet
Einfach ist die deutsche Sprache wahrhaftig nicht, sondern aussergewöhnlich reich – und erst unsere Mundarten in der deutschsprachigen Schweiz, wie ein Blick ins Schweizerische Idiotikon beweist! Dieses gewaltige Werk ist neuerdings im Internet aufgeschaltet: www.idiotikon.ch. Die bisher abgeschlossenen 15 ½ von total 17 Bänden umfassen zusammen 150 000 Stichwörter, die bis aufs Spätmittelalter zurückgehen.
 
Das Idiotikon ist nicht für Idioten gedacht ... im Gegenteil. Der Begriff leitet sich von „Idiom“ (= Begriff, Ausdrucksweise) ab. So kann man auf guten Grundlagen weiterhin an den Sprachen herumtokteren. Das mundartliche „vertoktere“ heisst laut Idiotikon etwa, Gesundheit und Leben durch Massnahmen der Ärzte (Doktoren) ruinieren.
 
Wir bemühen uns weiterhin, die deutsche Sprache nicht zu vertoktern – um genau das zu verhindern, ist uns kein Aufwand zu gross.
 
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