Wenn mich die Schreiblust übermannt ...
Autor: Emil Baschnonga
Woher kommt sie, diese Lust, Gedanken und Einfälle aufs Papier zu bannen? Ein Tag ohne Schreiblust wäre für mich, was dem Gläubigen ein Tag ohne Gebet (ist). Oft überfällt sie mich, wenn ich mitten in den Alltagskram eingespannt bin, mich etwa mit der Brotarbeit herumschlage.
Damals − und bis auf den heutigen Tag – konnte und kann ich ihr zu meinem grossen Lebensglück spontan und etappenweise nachgeben, was so vielen unter uns versagt bleibt: im Luxus des eigenen Büros. Die ineinander verschachtelten Grossraumbüros sind kaum als Arbeitsräume geeignet. Sie sind Umschlagsplätze für Klatsch, Erholungsräume, Sitzfleischzuchten, Brutstätten für Intrigen und Ring für Karriereboxer. Dort liegt man sich oft in den Haaren und hin und wieder in den Armen.
Es gelingt mir weitgehend, mich vor unliebsamen Einbrüchen abzusichern: Ich verhänge Sperrzeiten und lasse das Telefon umleiten. Ich konnte mich ausserdem damals mit einem dicken Zigarettenschleier umnebeln. Dieser vertrieb jeden hartnäckigen Störenfried furchtbar hustend.
Nur gegen eines kann ich mich schlecht absichern: gegen Sitzungen! Dort hält der Vorsitzende den Redezügel. Diesen gibt er nicht so leicht preis. Jene, die seiner Aussage beipflichten, lässt er zu Wort kommen. Andere müssen darum kämpfen. Heimlich schaue ich auf die Uhr: Schon wieder ist eine halbe Stunde nutzlos verstrichen. Ich warte auf meine Sekretärin, die endlich erscheint und mir ins Ohr flüstert: „Herr So-und-So ist am Telefon!“ Ich entkomme der Sitzung ungeschoren!
Aber woher kommt denn diese Schreiblust? Gewiss keimte sie in der Kindheit, als ich mit grossem Lesehunger Buch um Buch verschlang. Ich fand Vorbilder, denen ich nacheiferte. Ich schrieb Etüden genau so, wie man ein Musikinstrument übt und schliesslich in den Griff bekommt – mehr oder weniger.
Im Gegensatz zur Pflichtarbeit setzte ich mich nie hinter die PC-Tasten, um auf den Einfall zu warten. Er muss mich anrempeln, genau wie heute. Dies trifft auf Texte von jeweils einer Seite zu. Längere Texte, seien es kritische Essays oder Erzählungen, erfordern einen abgesteckten Reiseplan.
Jedermann frönt seiner Schreiblust, seinem Naturell entsprechend. Etliche brauchen eine vertraute Geräuschkulisse. Im Kaffeehaus schrieben viele wahre Meisterwerke. Die Inspiration anderer lebt in Wartesälen auf. Das ist sehr klug und geschickt, denn heute muss immer länger gewartet werden, besonders in Flughäfen. Ich brauche bloss Ruhe und ab und zu einen Blick vom Fenster auf die Bäume draussen und etwas Vogelgezwitscher. Und Kaffee. Und... hier unterbreche ich mich und schweige.
Was bezweckt die Schreiblust? Die Frage nach dem Zweck vergällt viel Freude. Die Zweckfrage erwürgt die Schreiblust. Gewiss denke ich an den Leser, der das Ziel meiner Schreiblust ist, und, so hoffe ich, das Ergebnis meiner Arbeit einst wird geniessen können. In der Zwischenzeit aber macht es mir nichts aus, die beschriebenen Blätter in den geräumigen Schubladen meines Pults abzulegen – oder, was einfacher ist, im PC zu speichern. Was geschrieben (ist), ist für mich erledigt. Das erhält meine Schreiblust wach.
Diese Seite jedoch ist mir entschlüpft.
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