Textatelier
BLOG vom: 31.12.2010

Miniaturbändchen: Auswahl aus meinem Schatzkästlein

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
In einem reich geschnitzten, chinesischen Holzkästchen sind etwa 2 Dutzend Miniaturbändchen eingelagert, worunter Franz Grillparzers Novelle „Der arme Spielmann“, Hans Christian Andersens „Schneekönigin“, Albert Schweitzers Worte „Kein Sonnenstrahl geht verloren“. Die meisten Büchlein sind buntfarbig illustriert.
 
Für mich genügen 2 Weihnachtstage vollauf. Doch erst heute, am 31. Dezember 2010, habe ich wieder freien Zugang in meine Bude gewonnen. Sollte ich jemals auf dem Meer Schiffbruch erleiden, hoffe ich, dass ich dieses Schatzkästlein, wasserdicht umwickelt, auf ein Eiland retten kann.
 
Von Grillparzer (Wien 1791‒1872) habe ich leider fast nichts gelesen – ein Versäumnis, das ich im Jahr 2011 wettmachen muss. Von den Andersens Märchen hingegen habe ich die1900 erschienene Luxusausgabe aus dem Paul Neff Verlag, Stuttgart, von Hans Tegner illustriert, vor vielen Jahren mit Genuss verschlungen. So ist es an der Zeit, diesen Band bald wieder in die Hand zu nehmen. Albert Schweitzer, u. a. Organist, Bach-Kenner, Theologe und Urwalddoktor, habe ich einst vor seiner Abreise nach Lambarene auf dem Basler Münsterplatz gesehen. Er hat mich nachhaltig beeinflusst, ganz besonders sein Bekenntnis zur Ehrfurcht vor dem Leben.
*
Albert Schweitzers Werk und Leben haben andere weitaus besser gewürdigt als ich es vermöchte. Hier will ich nur einige seiner Worte aufgreifen, die in mir ein kräftiges Echo ausgelöst haben:
 
„Blicke ich auf mein Leben zurück, so bin ich vom Gedanken bewegt, wie vielen Menschen ich für das, was sie mir gaben, zu danken habe. Zugleich aber stellt sich das niederdrückende Bewusstsein ein, wie wenig ich jenen Menschen in meiner Jugend von diesem Dank wirklich erstattet habe. Wie viele von ihnen sind aus dem Leben geschieden, ohne dass ich ihnen ausgedrückt habe, was die Güte oder Nachsicht, die ich von ihnen empfing, für mich bedeutete!
 
Unausstehlich waren mir vom ersten bis zum letzten Schuljahr die Stunden, in denen Gedichte ,durchgenommen’ wurden. Dass mir ein Gedicht nahegebracht werden sollte, indem man es erklärte, empfand ich als etwas Hässliches und Unsinniges.
 
Viel Kälte ist unter den Menschen, weil wir nicht wagen, uns so herzlich zu geben, wie wir sind.
 
Immer bin ich ohne Illusionen in das Unbekannte eingestiegen.
 
Bei abnehmender Flut wird das, was tief geht, auf den Strand gesetzt, während das Flache flott bleibt.“
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Der arme Spielmann“ von Franz Grillparzer, erzählt von einem Geiger, den er (Grillparzer) abseits vom Rummel der Wiener Kirchweihe im Augarten bemerkt hatte. Dieser barhäuptige und kahlköpfige Bettlermusikant kratzte sehr unbeholfen, jedoch mit Inbrunst seine Geige. Er lächelte dabei, von seinem Spiel hingerissen, doch die nach Genuss lechzende Menge ging achtlos an ihm vorbei. Der Abkömmling einer Familie aus dem gehobenen Mittelstand darbte am Rande der Familie, als Versager von seinem Vater verachtet und verstossen. Das Erbgut seines Vaters verlor der gutgläubige Jakob an geldgierige Schurken. Zuletzt blieb ihm nur noch seine Geige zum mageren Lebensunterhalt übrig.
 
Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten, ausser dass er nach seiner Heldentat während einer Überschwemmung, sein Trauergeleit fand, selbst in der hartherzigen Umwelt, die sein Leben erschwerte.
 
In meine zwangsläufig beschränkte Einleitung zu dieser meisterhaft geschilderten Novelle habe ich nur einige wenige Hinweise auf Grillparzers kraftvoll bezeichnende Worte eingeflochten.
 
Mir wirft sich die Frage auf: Ersetzen Fleiss und Hingabe den Mangel an Talent? Diese Meisternovelle bleibt bis auf den heutigen Tag aktuell. Die Umwelt hat versagt, nicht der als Versager abgestempelte und verachtete Bettlergeiger.
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Das von Andersen in 7 Geschichten untergliederte Märchen beginnt mit einem teuflischen Zerrspiegel des bösen „Trollteufels“. Der Leseanreiz ist geschaffen, weil dieser Zerrspiegel alles Gute ins Grässliche verzerrte: „Die schönsten Landschaften sahen darin aus wie gekochter Spinat, und die besten Menschen wurden widerlich oder standen auf dem Kopf ohne Bauch. Die Gesichter wurden so verzerrt, dass sie nicht zu erkennen waren, und hatte man eine Sommersprosse, dann konnte man sicher sein, dass sie sich über Nase und Mund ausbreitete. Das sei äusserst lustig, sagte der Teufel.“
 
Andersens Fabulierlust ist unübertrefflich: Sie unterhält und gibt erst noch viel zu bedenken.
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Endlich ist die Weihnachtszeit mit all ihren Exzessen vorbei – ausser den Preisschlagern, die Kohorten in die Läden treiben. Halt! Neujahr steht uns noch bevor, ehe wir den von mir gepriesenen Alltag wieder gewinnen …
 
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