Textatelier
BLOG vom: 16.01.2011

Ablenkungsmanöver – ein Abstecher nach Afghanistan

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Seit Wochen schon bin ich mit der längst überfälligen Aufdatierung meiner www.art-deco-nouveau.com beschäftigt. Dabei bin ich auf die Mithilfe meines IT-Fachmanns angewiesen. Ich hoffe, dass ich nachher aus eigner Kraft die alten und neuen Galerien unterhalten kann. Heute wollte ich vorbereitend die Plakate aus meiner Sammlung fotografieren. Aber dazu brauche ich Sonnenschein. Doch auch heute stauen sich die Wolken. So brauche ich mich für mein heutiges Ablenkungsmanöver nicht zu entschuldigen. Flugs schalte ich eine leere Seite hoch und halte unschlüssig inne. Worüber soll ich heute schreiben? Dieser Frage folgt eine lange Pause. Kann ich sie überbrücken und ein Schreibthema finden? Ja!
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The Kite Runner – Das Spiel mit Papierdrachen
So will ich einen Film über Afghanistan aufgreifen, der mich am letzten Sonntag sehr beeindruckt hat. Der Film „The Kite Runner“ (Der Drachenläufer) spielt sich grösstenteils in der Nähe der Hauptstadt Kabul ab und basiert auf einer Novelle von Khaled Hussein, 2007 verfilmt. Das war die heile Welt der 2 Buben, Amir und Hassan, bevor die Russen das Land überfielen. Die beiden Freunde spielten miteinander und wetteiferten in der Akrobatik ihrer bunten Papierdrachen, die hoch über der steinigen Landschaft unter sonnigem Himmel wie Schmetterlinge hin und her tanzten.
 
Der Dialog war im afghanischen Dialekt der persischen Sprache (die Hauptsprache des Landes), den meine Frau mit innigster Anteilnahme verfolgte und  mir erlaubte, dem im 3. Teil der Geschichte zunehmend komplizierten Geschehen besser zu folgen. Der 1. Teil des Films, glänzend gefilmt und gespielt, erwärmte mein Herz. Ich war in eine andere Welt verpflanzt. Die Leute in diesem Land, seit Jahrhunderten von Stämmen entlang der „Seidenstrasse“ bevölkert und durchmischt, kamen miteinander aus. Die winkligen und engen Gassen waren von Händlern dicht besiedelt: Es war ein reges Kommen und Gehen von Leuten, die dort einkauften und schwatzten. Ich konnte die Gewürze beschnuppern und die Düfte der von Strassenköchen zubereiteten Gerichte.
 
Amir war der Sohn eines wohlhabenden und gebildeten Grosshändlers, Baba genannt, und lebte in einer feudalen Villa. Dort diente Hassans Vater Ali. Babas enger Freund und Geschäftspartner Rahim Kahn und er förderte und unterstützte Amirs schriftstellerische Ambitionen. Sehr im Gegensatz zu Alis Sohn Hassan mangelte es Amir an Mut, seinem Freund bei Angriffen von grobschlächtigen Kerlen beizustehen. Mehr und mehr tat sich die soziale Kluft zwischen den Busenfreunden auf, von widrigen Umständen angetrieben. Ohne den Film gesehen zu haben, bleibt es schwer verständlich, weshalb Amir seinen Freund des Diebstahls einer Uhr bezichtigte. Hier trennten sich die Wege: Ali und Hassan verliessen in der Folge Babas Haus. Nach der russischen Invasion flohen Baba und Amir ins benachbarte Pakistan und wanderten von dort ins Asyl nach Amerika aus. In Freemont (Kalifornien) wurden sie sesshaft und lebten recht und schlecht in der Gemeinschaft von Einwanderer aus dem kriegsversehrten Afghanistan. Es entstand ein „Klein-Afghanistan“, wo alte Verwandte und Bekannte einander wieder entdeckten. Die Schnappschüsse aus ihrem Exilleben rührten mich und Lily, wie auch die alten Landesbräuche, die weiterhin gepflegt wurden.
 
Inzwischen war Amir zum jungen Mann herangewachsen und verzeichnete seine 1. literarischen Erfolge. Er bat General Tahiri um die Hand seiner Tochter Soraya. (Die Heiratszeremonie ist, nebenbei bemerkt, ein weiterer Glanzpunkt dieses Films.) Leider blieb das Paar kinderlos.
 
Hier beginnt der 3. und verworren spannungsgeladene 3. Teil des Films mit der Szene, in der Amir von seinem väterlichen Freund (Rahim Kahn) über das Schicksal seines in Afghanistan verbliebenen Freunds erfuhr: Hassan und dessen Frau Farzane wurden von den Taliban ermordet, nachdem sie sich weigerten, das Haus von Baba und Amir zu räumen. (Hassan war dorthin zurückgekehrt, um das Haus zu behüten). Hassans und Farzanes einziger Sohn Sohrab kam ins Waisenhaus. Mehr noch: Er erfuhr er, dass Hassan sein Halbbruder war. Amir beschloss kurzerhand, diesen verlorenen Sohn zu finden und reiste in seine alte Heimat zurück.
 
Überspringen wir hier Amirs langwierige Suche nach Sohrab. Dieser war von einem Taliban-Kriegsführer aus dem Waisenhaus verschleppt und vergewaltigt worden. Als Mädchen verkleidet, tanzte Sohrab zur Kassetten-Tanzmusik im Taliban-Versteck hinter hohen Mauern. Wie es Amir gelang, Sohrab aus den Klauen dieses Monsters zu retten, mutet recht unwahrscheinlich an. Auch wie es Amir gelang, mit Sohrab nach Amerika zurückzukehren, ist der übersteigerten Fabulierlust des Verfassers dieses Buches zuzuschreiben. Dennoch zähle ich „The Kate Runner“ zu den Filmen, die ich gern ein 2. Mal sehen möchte, dank der in den Teilen 1 und 2 gebotenen Einblicke ins Leben in Afghanistan – vor dem Überfall durch die Russen.
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Abschliessend stellt sich mir die Frage: Wie haben die Russen in Afghanistan gewütet, ehe sie vertrieben wurden? Darüber möchte ich mehr erfahren, während das traurige Kapitel, von den Amerikanern und Briten ausgeheckt, in Afghanistan andauert. Afghanistan, das steht fest, wird auch diesen Raubzug überstehen, wie so viele andere in seiner langen Geschichte. Die zivilen Opfer sind zu beklagen!
 
P.S. Wikipedia bietet eine gute vorbereitende Übersicht über das Filmgeschehen.
 
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