Textatelier
BLOG vom: 22.01.2011

Haben wir wirklich jederzeit Spass an unserer Arbeit?

Autor: Ernst Bohren, Teufenthal AG/CH
 
„Die Arbeit macht Spass“, antwortete der vielbeschäftigte Unternehmensleiter auf die Schlussfrage des Interviewers, wie lange er noch die Geschäfte leiten wolle. Dann begab sich der Schreibtischhengst wieder an seinen Arbeitsplatz, scharrte kurz mit den Hufen und unterzeichnete mit seinem Mont-Blanc-Füller die Weisung, dass im Hinblick auf eine vorzunehmende Gewinnmaximierung des Unternehmens die Zahl der im Unternehmen beschäftigten Kostenfaktoren (pardon: Mitarbeitenden) um 15 Prozent minimiert werden müssten. Damit dürfte wohl für 300 Angestellte des Unternehmens der Spass vorbei sein.
 
Macht Arbeit überhaupt Spass? Für jede und jeden? In jeder Funktion? Der Spruch vom Spass an der Arbeit ist, genau besehen, eine ebenso Lifestyle-typische, falsche Formulierung wie zum Beispiel der Ausdruck „Respekt“ anstelle von „Angst“. Das aus dem Lateinischen kommende Wort Respekt bedeutet im eigentlichen Sinn „Rücksicht“, „sich Umsehen“. Respektieren meint achten (eine Person oder eine Einrichtung). Jemanden/etwas anerkennen, gelten lassen. Angst aber hat mit Unsicherheiten zu tun. Wir haben Angst vor dem Risiko, vor der Zukunft, vor einem Stellenabbau. Wobei wir wieder beim Spass an der Arbeit wären.
 
Arbeit ist für den Arbeitenden ganz bestimmt nicht eine nie versiegende Quelle der Erheiterung. Davon ausgenommen sind natürlich die speziell im Spassgewerbe tätigen Berufsleute wie Komiker, Gaukler, Volksschauspieler und Clowns. Doch selbst beim Clown kommen Zweifel auf: Da hört bekanntlich der Spass meist nach dem Auftritt in der Manege auf – Sie kennen doch die Geschichte vom traurigen Clown? Aber jetzt einmal abgesehen von all den kleinen und zufälligen Ausnahmen: Arbeit, gute Arbeit ist vor allem etwas Ernsthaftes, denn dahinter stehen in den allermeisten Fällen eine gute Ausbildung, Wissen und Können.
 
Arbeit sei auch Leidenschaft, trompeten oft die Kommunikationsfachleute. Aber da hapert es wiederum ein wenig mit der Wortwahl. Hat nicht Leidenschaft (französisch: passion) etwas mit dem Leiden Christi zu tun? Arbeit ist mehrheitlich Mühe und Plage. Ich denke da an meinen Vater, der jahrelang auf den vielen Baustellen der Firma Locher AG hart gearbeitet hat. Wenn betoniert wurde, stand er den ganzen Tag am Betonmischer, denn damals wurde der Beton noch auf der Baustelle hergestellt. Der Zement wurde in 50-Kilo- Säcken angeliefert und musste eigenhändig in die Mischtrommel gekippt werden. Die Arbeit am Betonmischer verlangte Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und Respekt (hier hat das Wort seine Berechtigung) Sie verursachte rissige Hände, die der Vater jeweils am Abend mit Melkfett salbte. Spass an ihrer harten Arbeit bei jedem Wetter hatten die Bauleute ganz gewiss nicht, aber manchmal wohl eine grosse Befriedigung, wenn das gelungene Werk vollendet war. Und auch die Tunnelbauer am Gotthard werden nach dem Durchstich im letzten Jahr hoffentlich ihren Spass gehabt haben. Aber Spass während der Arbeit? Manchmal wären die solchermassen hart arbeitenden Menschen recht froh gewesen, wenn sie nach getaner Arbeit wirklich ein bisschen mehr vom Leben gehabt hätten.
 
Der Spass an der Arbeit war auch bei mir kein Dauergast, als ich in den späten 1950er-Jahren neben meinem Hauptverdienst in der Clichéanstalt Rau & Co an der Brauerstrasse 51 im Zürcher Stadtkreis 4 morgens und abends im Knonaueramt rund 100 Mastschweine versorgte. Für die Beschaffung des Futters habe ich zweimal in der Woche während der Mittagspause bei den Restaurants und einigen Metzgereien links und rechts der Langstrasse die Küchen- und Schlachtabfälle abgeholt. Abends bin ich dann mit meinem vollgeladenen Lieferwägelchen heim nach Mettmenstetten gefahren zu meinen hungrigen Mastschweinen, wo ich das eingesammelte Gut gekocht und zu Schweinefutter aufbereitet habe. Grosse Befriedigung hatte ich immerhin, wenn meine Schweine bei dieser (heute verbotenen) Kost gut gerieten und auch einen schönen Batzen abwarfen. Aber Spass an der Arbeit?
 
Ob uns eine Arbeit befriedigt und auch Freude macht, kommt auf die Art der Arbeit an und natürlich auch auf das Umfeld. Wie viel Spass hat der mittlerweile rar gewordene Möbelschreiner an seiner Arbeit wenn er sein gelungenes Werk betrachtet? Und wie ist das etwa bei der Pflegerin im Altersheim, die Tag für Tag ihren pflegebedürftigen Patienten den Hintern säubert? Welches spassige Liedchen trällert denn die Leichenwäscherin bei ihrer Arbeit in der Leichenhalle? Ganz gewiss macht der kreativ arbeitenden Floristin ihre Arbeit bedeutend mehr Freude als dem Sackauflader bei der städtischen Kehrichtabfuhr. Wobei jetzt sicher ein paar Leser denken: „Wieso soll so ein Arbeiter aus dem Südosten von Europa oder von noch weiter her auch noch seinen Spass an der Arbeit haben? Soll er doch froh sein, dass er überhaupt hier bei uns arbeiten darf.“
Fragen über Fragen rund um den Spass an der Arbeit. Antworten dazu gibt uns der Dichterfürst Friedrich Schiller. Er hat die Arbeit ein für alle Mal in seinem Lied von der Glocke verherrlicht: 
Zum Werke, das wir ernst bereiten,
geziemt sich wohl ein ernstes Wort.
Wenn gute Reden sie begleiten,
dann fliesst die Arbeit munter fort. 
Zum guten Schluss noch einmal ein Abstecher ins Leichenhaus, dorthin wo wir alle nach einem an Arbeit und Spass reichen Leben dermaleinst landen werden: Da hatte doch ein deutscher Pfarrer (evangelisch) in einer kürzlichen Umfrage des „Stern“-Magazins zum Thema „Mögen sie Ihre Arbeit?“ geantwortet: „Mir macht die Jugendarbeit sehr viel Spass, manchmal sogar Beerdigungen …“ Na denn: Halleluja!
 
Hinweis auf ein weiteres Blog zum Thema Arbeit von Ernst Bohren
11.01.2011: „Von der Arbeit wird man eher bucklig als reich"
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
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