BLOG vom: 21.01.2011
Atommüll-Zwickmühle: Berner brauchen ein Zwischenlager
Autor: Heiner Keller, Ökologe, Oberzeihen AG (ANL AG, Aarau)
Weil sich im Kanton Bern der Regierungsrat (Exekutive) und der Grosse Rat (Legislative) wegen ihrer unterschiedlichen Haltungen gegen oder für neue Atomkraftwerke nicht einigen können, darf das Berner Stimmvolk am 13. Februar 2011 abstimmen. Das Volk wird an die Urne gerufen, um die folgende Frage zu entscheiden: Soll der Kanton Bern Mühleberg als einen möglichen Standort für ein neues Atomkraftwerk gegenüber den Bundesbehörden bejahen oder verneinen? Der Regierungsrat darf nicht für ein Nein weibeln – wie er es eigentlich möchte –, weil der Grosse Rat ein Ja beschlossen hat. Der Regierungsrat hat jetzt einfach den Entscheid des Grossen Rates der Volksabstimmung unterstellt, und jetzt stimmen sie halt ab, die Berner.
Die unterschiedlichen Haltungen von Regierung und Parlament entwickelte sich über Jahre. Wie es so üblich ist, spitzt sich die Situation umso mehr zu, je näher der Tag der Entscheidung kommt. Das Verhältnis ist inzwischen als leicht gestört, unfreundlich oder entsprechend der Jahreszeit als abgekühlt zu bezeichnen.
Der Stromverbrauch steigt kontinuierlich an, unter anderem wegen der staatlichen Förderung von alternativen Energien (z. B. Wärmepumpen). Auch in Bern. Niemand will oder kann bremsen, ohne dass er sich seine Karriere ruiniert. Denn was sind schon 3 Prozent Wachstum pro Jahr, wenn die Chinesen in der gleichen Periode 10 Prozent ausweisen? Der Regierungsrat sagt, den steigenden Energiebedarf könne man auch alternativ decken. Ich weiss nicht, ob das stimmt. Tatsache aber ist, dass nur verschwindend wenige Verbraucher sich auf den kleinen, exklusiven „Ökostrom“-Markt verlassen, konsumieren und dafür teurer bezahlen. Die weitaus überwiegende Mehrheit begnügt sich mit dem, was billig und zuverlässig aus der Steckdose kommt.
Die grossen Stromkonzerne, an denen auch viele Kantone ganz namhaft beteiligt sind, planen 2 neue Atomkraftwerke. Zur Auswahl stehen 3 mögliche Standorte, nämlich, wen wundert‘s, jene der bisherigen (älteren) Kernkraftwerke Beznau AG, Mühleberg BE und Gösgen SO. Wenn diese Standorte ja nicht geeignet wären, dann wäre ja etwas bisher nicht korrekt gewesen. Der Bund darf oder muss in aufwändigen Verfahren 2 von 3 auswählen. Die Stromkonzerne haben sich so verbandelt, dass es ihnen keine Rolle mehr spielt, wohin die beiden Kraftwerke kommen, wenn sie nur kommen.
In dieser Situation erkennt der Grosse Rat des Kantons Bern messerscharf: Wenn der Regierungsrat jetzt Nein sagt, bekommt das geplante Kraftwerk in Mühleberg eine schwere Schlagseite und riskiert den direkten Weg zu einer Planungsleiche. Das Bundesamt für Energie wäre eine undankbare Entscheidung los. Die Politiker im Solothurner Niederamt könnten jubeln, weil die Chancen für Gösgen steigen würden. Für den Aargau hätte der Entscheid kaum Konsequenzen, denn wenn ein neues Kraftwerk bewilligt wird, dann in der Beznau. Für Bern begänne das Zeitalter nach dem Atomstrom aus Mühleberg. Strom käme einfach über eine andere Leitung, aber das viele Geld für Investitionen und Betrieb bliebe nicht im Kanton – und das will der bürgerliche Grosse Rat nicht. Der Grosse Rat sieht die Wirtschaft darben oder aufblühen, je nach Entscheid des Volks.
So gut und so einfach ist es aber mit und inzwischen auch ohne Atom nicht mehr. Atom ist nie einfach, weil es keine angemessene Lösung für den Abfall gibt. Im Verlaufe des sich in Bern entwickelnden Hickhacks für oder gegen Atom, merkten helle Köpfe, dass für ein neues Atomkraftwerk Mühleberg auch ein neues Zwischenlager für radioaktive Abfälle erforderlich – und vorgesehen – ist. Nur steht nichts davon in den Abstimmungsunterlagen für den 13. Februar 2011. Logisch, denn abgestimmt wird nur über die Stellungnahme des Kantons und nicht über die Ausgestaltung einer neuen Anlage.
Mit der jetzt ablaufenden Diskussion und den verbalen Schuldzuweisungen – wer hat was verschwiegen oder versäumt – kommt die ganze Naivität der Gesellschaft gegenüber der Atomkraft zum Vorschein. Das heutige Kernkraftwerk Mühleberg, 14 km von der Stadt Bern entfernt und seit 1972 im Betrieb, kommt langsam in die Jahre. Dass jeder Atommeiler irgend einmal alt und immer riskanter für die Umwelt wird, ist eine Binsenwahrheit. Daran ändert auch nichts, dass der Bund dem Kraftwerk Mühleberg gegen alle Beschwerden eine unbefristete Betriebsbewilligung erteilt hat. Mit ständigem Unterhalt und Reparaturen kann die Anlage vorläufig in Betrieb gehalten werden. In absehbarer Zeit ist Schluss, Ende, und der strahlende Ofen muss abgestellt werden.
Ungeachtet der Ausserbetriebnahme geht die Strahlung weiter. Das Kraftwerk muss rückgebaut und die strahlenden Teile müssen in ein Zwischenlager, wo sie kommissioniert, abgepackt und so lange zwischengelagert werden, bis sie transportfähig sind und bis ein (Endlager) Tiefenlager betriebsbereit ist. Bisher ging aller Atommüll immer schön und problemlos nach Würenlingen AG. Aber selbst das reibungsloseste Zwischenlager Würenlingen kommt an seine räumlichen Grenzen. Die Lagerung eines abgebrochenen Kraftwerks Mühleberg ist in Würenlingen nicht vorgesehen und aus Platzgründen nicht möglich.
Liebe Berner: Den Atommüll des Kraftwerks Mühleberg müsst Ihr selber hüten und zwar unabhängig davon, ob Ihr am 13. Februar Ja oder Nein stimmt. Das ist halt so bei der Kernkraft. Da ist nicht nur Strom drin, da warten auch noch eine lange Zeit Teilchen und Strahlen darauf, dass sie entweichen können. Angesichts der Ernsthaftigkeit der Gefahren und der Tragweite bei einem Unfall ist jede Schadenfreude aus dem atomfreundlichen ehemaligen Berner Untertanenland des Aargaus fehl am Platz.
Schliesslich gibt es für ein Zwischenlager auch Geld, vielleicht halt nicht gar so viel wie für ein neues Atomkraftwerk Mühleberg.
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